Ein deutscher und ein türkischer Pass
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Bundesinnenministerin Faeser will die Einbürgerung erleichtern.

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Leichtere Einbürgerung: Hoffnung in der türkischen Community

Bundesinnenministerin Faeser will die Einbürgerung erleichtern. Während die CSU die Pläne kritisiert, macht sich in der türkischen Community in Bayern Hoffnung breit: endlich dazugehören und sich politisch einbringen können.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Mustafa Erciyas sorgt dafür, dass der Verkehr in München fließt. Als Verkehrsingenieur der Stadt München plant er Kreuzungen, Ampeln und Fahrradwege – aber den Bürgermeister darf er nicht wählen. Das frustriert ihn: "Ich liebe München. München ist meine neue Heimat geworden. Als Verkehrsingenieur darf ich die Stadt mitgestalten, aber nicht politisch."

Erciyas kommt aus der Türkei, hat in Darmstadt studiert und lebt mittlerweile seit 22 Jahren in Deutschland. Knapp 200.000 Menschen mit türkischen Wurzeln in Bayern haben keinen deutschen Pass. Sie arbeiten hier, zahlen Steuern – aber dürfen nicht wählen. Das kann sich aber ändern: Die Ampelkoalition hat sich auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der die Einbürgerung erleichtern und auch den Doppelpass zulassen soll.

Ampelkoalition einigt sich auf Gesetzentwurf zur Einbürgerung

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat einen Gesetzentwurf zu einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht vorgelegt – und das Bundeskabinett hat diesen nun Ende August gebilligt. Die Kernpunkte: Mehrstaatigkeit soll möglich werden, statt nach acht Jahren kann man sich schon nach fünf Jahren einbürgern lassen und bei älteren Migranten sollen die schriftlichen Sprachnachweise wegfallen. Das betrifft vor allem Menschen aus der sogenannten "Gastarbeitergeneration", die vor 1970 nach Deutschland gekommen sind. Die Bundesregierung möchte mit der Reform das Land besonders für ausländische Fachkräfte attraktiver machen.

Kritik am Gesetzentwurf: Bayern lehnt Doppelpass ab

Die Bayerische Staatsregierung kritisiert die Ampel-Pläne. Für Innenminister Joachim Herrmann (CSU) geht die Reform zu weit: "Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf weit über das Ziel hinausschießt", sagt er. Für ihn stehe der deutsche Pass am Ende eines Integrationsprozesses, betont er. Er befürchtet, dass eine ganze Reihe an Personen in den nächsten Jahren den deutschen Pass bekommen, die sich nicht wirklich mit Deutschland identifizieren würden und die noch überhaupt nicht richtig integriert seien. Auch das Wegfallen der schriftlichen Sprachnachweise bei Älteren aus der "Gastarbeitergeneration" lehnt er ab: "Es ist völlig verfehlt, wenn jemand den deutschen Pass bekommt, der nicht richtig Deutsch sprechen kann."

Türkische Community: Mehr Teilhabe mit Doppelpass

Die türkische Gemeinde in Bayern sieht das anders: Vural Ünlü, Vorstandssprecher, widerspricht der Position der Bayerischen Staatsregierung: "Wer eine echte Teilhabe und Integration will, der kommt an einer doppelten Staatsbürgerschaft gar nicht vorbei", sagt er. "Das entspricht der hybriden Identität eines Mehrstaatlers. Man sollte das ganze als Loyalitätsgewinn aus deutscher Sicht bewerten." Gerade für viele Türkinnen und Türken spielt der Doppelpass eine besondere Rolle, denn sie mussten in der Vergangenheit bei der Einbürgerung ihren türkischen Pass abgeben. Für EU-Bürgerinnen und Bürger sowie für Geflüchtete gab es Ausnahmen. Auch Mustafa Erciyas möchte seinen türkischen Pass nicht abgeben: "Ich liebe die Türkei und das ist auch ein Teil meiner Identität. Und wenn ich das abgebe, dann würde ich auch einen Teil meiner Identität abgeben", sagt er.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage über die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland im internationalen Vergleich hat die Redaktion aufgrund der Diskussionen in den Kommentaren und in den sozialen Medien im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es in Deutschland nur bei gewissen Ausnahmen möglich, die doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die europäische Globalcit-Datenbank, die am europäischen Hochschulinstitut (EUI) im italienischen Fiesole erhoben wird, hat einen klaren Trend zur vollen Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft in den 191 untersuchten Ländern ausgemacht. Demnach akzeptierten im Jahr 2022 49 Prozent der Länder weltweit die doppelte Staatsbürgerschaft vollständig, während nur 21 Prozent die doppelte Staatsbürgerschaft gar nicht akzeptieren.

Auch in Europa kann man in vielen Ländern mittlerweile ohne Restriktionen eine mehrfache Staatsbürgerschaft erwerben. Finnland zum Beispiel akzeptiert mehr als eine andere Staatsbürgerschaft bei finnischen Bürgern. Ebenso handhaben Nachbarländer wie Frankreich die sogenannte Mehrstaatigkeit, auch hier ist es möglich, mehr als zwei Staatsangehörigkeiten zu besitzen, ohne eine dieser Staatsangehörigkeiten aufzugeben. 💬

Politische Stimme für Migrantinnen und Migranten

Nesrin Gül, stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Integrationsbeiräte Bayern, kurz AGABY, vertritt die Interessen von Migrantinnen und Migranten in der Kommunalpolitik. Für sie bietet der Gesetzentwurf endlich die Möglichkeit, Einwanderern eine politische Stimme zu geben. "Die Chancen sind, dass wir mehr Teilhabemöglichkeiten und Chancengleichheit sehen. Wer sich zur Demokratie bekennen soll, muss auch Teil der Demokratie sein", sagt sie. Das Wahlrecht sei demnach ein entscheidender Punkt für die politische Teilhabe. Doch dafür müsse auch die Infrastruktur gestärkt werden, denn die kommunalen Einbürgerungsstellen seien jetzt schon überfordert, so Gül.

Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert Nachbesserungen: Er befürchtet, dass viele Menschen durch das Raster fallen und nicht von den Vorteilen profitieren können. Dazu zählt er Personengruppen, denen es nicht möglich ist, Vollzeit zu arbeiten, wie beispielsweise Alleinerziehende, Auszubildende, Menschen mit Behinderung oder mit Krankheiten.

Optimistischer Blick in die Zukunft

Mustafa Erciyas bleibt zuversichtlich, auch wenn der Gesetzentwurf noch im Bundestag beschlossen werden muss. "Mit dem neuen Einwanderungsgesetz kann ich die Gesellschaft gleichberechtigt mitgestalten", sagt er. "Und wenn ich mitgestalte, dann kann ich mich auch besser mit ihr identifizieren." Erciyas will auch in Zukunft Münchens Verkehr planen – und darf dann auch sein Kreuz in der Wahlkabine setzen, wenn das Gesetz so wie angekündigt umgesetzt wird.

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