Tanja Reiter hatte zunächst nichts mit Landwirtschaft zu tun. Nach einem Almsommer entschied sich die Bürokauffrau Landwirtin zu werden.
Bildrechte: privat / Tanja Reiter

Tanja Reiter hatte zunächst nichts mit Landwirtschaft zu tun. Nach einem Almsommer entschied sich die Bürokauffrau Landwirtin zu werden.

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Landwirt werden ohne Hof: Immer mehr Quereinsteiger

Immer mehr junge Leute wollen Landwirt werden, obwohl sie nicht vom Bauernhof kommen und auch keinen erben werden. Danach außerfamiliär einen Hof übernehmen zu können, ist sehr selten. Doch die Quereinsteiger haben gute Perspektiven auf Anstellung.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Während es noch vor gut zehn Jahren nur vereinzelte Exoten waren, sind inzwischen laut dem Bayerischen Landwirtschaftsministerium ein Drittel der Landwirt-Azubis nicht vom Hof.

Nach ihrer Ausbildung haben sie gute Perspektiven auf eine Anstellung, erklärt Ursula Gründl von der Staatlichen Berufsschule Mühldorf am Inn: "Ich wüsste keinen Schüler, der nach der Ausbildung Probleme hatte, eine Anstellung zu finden. Viele satteln dann den Meister oder den Techniker drauf. Und dann sind das sehr gefragte Leute." Zum Beispiel bei Verbänden, Ämtern, Landmaschinenherstellern oder Futtermittelfirmen. Oder die gelernten Landwirte werden an großen Höfen angestellt.

Manche Höfe stellen Landwirte an

Veronika Haselbeck ist zum Beispiel am Eggertshof im Landkreis Freising als Herdenmanagerin angestellt. Sie kommt nicht von einem Hof, hatte erst Ernährungs- und Reformfachberaterin gelernt und in einem Bioladen gearbeitet.

Ihr fiel auf, dass viele Menschen über die Landwirtschaft schimpfen – ohne wirklich etwas davon zu verstehen. Sie wollte selbst erfahren, woher Lebensmittel kommen und wie Landwirtschaft funktioniert und begann mit 25 Jahren ihre zweite Ausbildung, nämlich die zur Landwirtin – als Älteste in ihrer Berufsschulklasse.

Viele haben vorher schon eine andere Ausbildung gemacht

Auch Bernhard Mairock machte erst eine Ausbildung als Heizungsbauer - obwohl Landwirt schon immer sein Traumberuf war. Ohne Hof sah er es erst als sinnlos an, Landwirt zu lernen. Doch heute hat er einen Job auf einem Hof gefunden, sitzt in der Berufsschule Mühldorf am Inn und macht die Landwirtsausbildung. Er sagt: "Das ist mein Lebenstraum gewesen und den habe ich mir erfüllt."

Auf dieselbe Berufsschule geht auch die 22-jährige Tanja Reiter. Auch sie machte erst eine Ausbildung zur Bürokauffrau. In ihrer Familie arbeitet niemand in der Landwirtschaft. Für Tanja war der Büro-Job nicht das Wahre. Sie erfüllte sie sich ihren Traum, einmal als Sennerin auf einer Alm zu arbeiten. Die Arbeit dort gefiel ihr so gut, dass der Gedanke reifte, Landwirtin zu werden.

Außerfamiliäre Hofnachfolge sehr selten

Dass ein Landwirt einen Hof außerhalb der eigenen Familie übernehmen kann, kommt allerdings sehr selten vor. Denn: Hat ein Landwirt in Bayern keine Nachfolger, verpachtet er seine Flächen meist an andere Höfe. Dafür bekommt er gutes Geld, denn landwirtschaftliche Flächen sind begehrt.

Der Anteil an außerfamiliären Hofübergaben liegt laut einer Studie der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf bei unter zwei Prozent.

Azubis können sich Betriebe aussuchen

Die Landwirtschafts-Lehrlinge in Mühldorf können sich die Betriebe derzeit aussuchen, weil es vor allem in Oberbayern mehr Ausbildungsbetriebe als Azubis gibt. Gut für die Azubis, erklärt Ausbildungsberater Josef Mühlhauser vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Töging: "Die Betriebe müssen sich schon zusammenreißen. Es ist unter den Lehrlingen bekannt, wenn die Arbeitszeit etwas problematisch ist oder der Umgang mit dem Lehrling. Das spricht sich rum."

Denn manchmal gibt es tatsächlich große Probleme. Lehrlinge oder ihre Eltern berichteten der BR-Redaktion Landwirtschaft und Umwelt von verschiedenen Missständen: Dass mehr als 12 Stunden Arbeit pro Tag die Regel waren, dass der Lehrling nicht angemeldet wurde, dass der Lohn nicht rechtzeitig ausgezahlt wurde, dass oft beim Essen über Ausländer geschimpft wurde, dass die Lehrlinge zu wenig lernten oder dass es für Lehrlinge schwer war, sich abzugrenzen, wenn sie auch am Hof wohnten.

Betriebswechsel sind üblich

Trotzdem sei die Abbrecherquote bei Landwirts-Azubis recht gering, erklärt Ausbildungsberater Josef Mühlhauser. Wem es an einem Betrieb nicht gefällt, der kann wechseln. Betriebswechsel sind ohnehin üblich in der Landwirtsausbildung, um verschiedene Betriebszweige kennenzulernen. In Zukunft sollen Ausbildungsberater noch häufiger auf Lehrbetrieben vorbeischauen, damit die Azubis wissen, an wen sie sich wenden können, wenn etwas nicht passt.

Rein rechtlich dürfen Azubis übrigens nur 40 Stunden in der Woche arbeiten. Das Azubigehalt liegt zwischen 800 und 1.000 Euro im Monat. In anderen Lehrberufen gibt es mehr Geld und angenehmere Arbeitszeiten. Warum also machen junge Menschen dann eigentlich die Ausbildung zum Landwirt?

Azubis sprechen von "Leidenschaft" und "Lebenstraum"

"Am Anfang vom Schuljahr machen wir zum Kennenlernen immer eine gemeinsame Runde: Warum werde ich Landwirt? Und es kommt ganz oft die Antwort "Leidenschaft" oder "Weil ich das einfach mag" oder "Weil mir das taugt"", erklärt Berufsschullehrerin Ursula Gründl.

Auch Tanja Reiter ist glücklich, dass sie sich statt fürs Büro für Schlepper und Melkstand entschieden hat: "Ich bin sehr froh und habe es bis jetzt nicht einmal bereut, dass ich das gemacht habe."

Weitere Beiträge zu diesem Thema im BR-Fernsehen und Radio:

Dieser Artikel ist erstmals am 22.11.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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