Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen
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Künftiger Landwirtschaftsminister Özdemir will mehr Tierwohl

Er ist Schwabe mit türkischem Migrationshintergrund, gelernter Sozialpädagoge, grüner Realo, Vegetarier und demnächst Bundeslandwirtschaftsminister. Cem Özdemir will mehr Tierwohl- und Klimaschutzvorgaben für die Bauern. Das sorgt für Diskussionen.

"Wer Fleisch essen will, kann das gerne tun. Wer Fleisch produziert, darf das auch tun, aber unter Berücksichtigung des Tierwohls, des Klimaschutzes und nicht zu Lasten unserer Umwelt", sagte Cem Özdemir am Wochenende in einem Zeitungsinterview. Der zukünftige Bundeslandwirtschaftsminister ist seit seinem 17. Lebensjahr bekennender Vegetarier, verspürt aber nach eigenen Angaben keinen missionarischen Eifer. Jeder solle nach seinem Geschmack glücklich werden, sagt er.

Forderung nicht neu: Mehr Tierwohl in deutschen Ställen

Dass es in Zukunft in deutschen Ställen mehr Tierwohl geben soll und dass man die Landwirte für Stallneu- oder -umbauten finanziell unterstützen muss, ist eine Forderung, die seit Jahren auf dem Tisch liegt. Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) schrieb sich das auf die Fahnen, ebenso die Zukunftskommission Landwirtschaft und auch die sogenannte Borchert-Kommission. Der Deutsche Bauernverband und andere Landwirtschaftsverbände ziehen mit; einiges ist auch schon umgesetzt. Was bisher gefehlt hat: ein staatliches Tierwohl-Siegel.

Tierhaltung soll umgebaut werden

Jetzt steht dieses Ziel klar formuliert im Koalitionsvertrag: "Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst." Außerdem wollen SPD, FDP und Grüne die Landwirte dabei unterstützen, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen. Noch sind das alles sehr vage Formulierungen. Erst vor ein paar Monaten hatte bereits Julia Klöckner angekündigt, für neue Tierwohlställe gebe es in Zukunft bis zu 80 Prozent staatliche Förderung.

Was aufhorchen lässt, ist aber folgender Satz im Koalitionsvertrag: "Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren." Das könnte eventuell auf eine sogenannte Flächenbindung von maximal zwei Großvieheinheiten pro Hektar hinauslaufen und würde in manchen Gegenden Deutschlands gezwungenermaßen zu einer Reduzierung der Tierzahlen führen. Zu viele Tiere auf zu wenig Hektar führen unter anderem zu Problemen bei der Ausbringung von Gülle.

  • Zum Artikel "Berlin: Rot-Grün-Rot einigt sich auf Koalitionsvertrag"

Vorwurf: Özdemir kommt nicht aus der Branche

Ist Cem Özdemir der richtige Mann im Landwirtschaftsministerium? Kaum wurde die Personalie letzte Woche bekannt, gab es in den sozialen Medien unzählige Kommentare: "Der hat ja von Landwirtschaft überhaupt keine Ahnung", kommentieren viele Nutzer. Özdemir wurde in Deutschland geboren und ist Erzieher und Sozialpädagoge, seine Eltern hatten in der Türkei einen Bauernhof. Verglichen mit seinen Vorgängern und Vorgängerinnen hat er genauso viel oder wenig Ahnung vom Fach: Horst Seehofer (CSU) war Verwaltungsbeamter, Renate Künast (Grüne), Christian Schmidt (CSU) und Hans-Peter Friedrich (CSU) waren Juristen, Ilse Aigner (CSU) war Elektrotechnikerin.

Bauern: "Besser als Hofreiter und Klöckner"

Gleichzeitig zeigen sich in den sozialen Medien viele erleichtert, dass nicht der grüne Fundi Anton Hofreiter das Landwirtschaftsministerium übernimmt. Und einig sind sich auch viele Bäuerinnen und Bauern: Schlechter als mit Julia Klöckner (CDU) könne es nicht werden. Die noch amtierende Bundeslandwirtschaftsministerin und studierte Politikwissenschaftlerin kommt zwar aus der Branche, ihre Eltern haben ein Weingut, aber die meisten Landwirte haben ihr jegliche Fachkompetenz abgesprochen. Immer wieder stand sie in der Kritik, weil sie viel versprach, aber wenig Ergebnisse vorweisen konnte. Das staatliche Tierwohllabel, das sie immer wieder ankündigte, gibt es bis heute nicht.

Hilfe für Schweinebauern?

Cem Özdemir wird gut zu tun haben. Das drängendste Problem: Die Schweinehalter in Deutschland sind existenzgefährdet und fordern seit vielen Monaten Hilfe. Zahlreiche runde Tische auf Bundes- und Länderebenen haben bisher nichts gebracht. Doch die Frage ist, ob ein Politiker überhaupt den Markt beeinflussen kann. Und die zweite Frage, ob der grüne Minister, der selbst kein Fleisch isst, den Schweinehaltern überhaupt helfen will. Oder ob er sagt: Zusperren, wir haben ohnehin zu hohe Tierbestände in Deutschland.

Grüner, tierfreundlicher, klimafreundlicher

Im Koalitionsvertrag steht außerdem: Bis Ende 2023 soll kein Glyphosat mehr auf deutschen Feldern zur Unkrautbekämpfung versprüht werden. Eine realistische Forderung, denn auch auf EU-Ebene könnte der Wirkstoff bis Ende nächstes Jahres keine Wiederzulassung mehr bekommen. Außerdem soll nun nach jahrelangen Diskussionen die Anbindehaltung von Rindern verboten werden - bis 2031.

Mit dieser Übergangsfrist von zehn Jahren wird das vermutlich zu keinem plötzlichen Strukturbruch in der Milchviehhaltung führen, denn viele Anbindehalter hätten ihre Ställe ohnehin in den nächsten Jahren zugesperrt. Außerdem sollen laut Koalitionsvertrag die Emissionen aus Ställen aus Ammoniak und Methan unter Berücksichtigung des Tierwohls deutlich vermindert werden. Wie man das konkret umsetzen will, ist allerdings nicht formuliert.

Bauernverband ist zufrieden

Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied zeigte sich froh, dass es in der neuen Ampel-Regierung weiterhin ein eigenes Landwirtschaftsministerium geben wird. In der Vergangenheit war immer wieder diskutiert worden, ob die Ressorts Landwirtschaft und Umwelt zusammengelegt werden. Auch die mangelnde Fachkenntnis von Cem Özdemir ist nach Rukwieds Meinung kein Problem: "Stallgeruch ist nicht nötig, ein wacher Geist arbeitet sich schnell ein."

Christine Schneider (Archiv 14.07.2024)
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Christine Schneider, Redakteurin bei Landwirtschaft und Umwelt (Archiv 14.07.2024)

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