Verteidigerin Regina Rick legt ihre Hand auf die Schulter des Angeklagten.
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Regina Rick ist die dritte Verteidigerin des Angeklagten im Prozess um den mutmaßlichen Mord an Hanna aus Aschau.

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Hanna-Prozess: Schweigender Angeklagter, schweigende Zeugin

Sie sollte endlich Licht ins Dunkel bringen: Die erneute Aussage einer der Hauptzeuginnen im Prozess um den mutmaßlichen Mord an Hanna aus Aschau. Doch dann kommt vor dem Landgericht Traunstein alles anders.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Alle Blicke sind auf Verena R. gerichtet, als sie an diesem Dienstagmorgen den großen Sitzungssaal des Landgerichts Traunstein betritt. Schon zum dritten Mal soll die junge Frau heute die Fragen der Vorsitzenden Richterin beantworten. Hat der Angeklagte seiner Schulfreundin wirklich schon wenige Stunden nach dem Fund von Hannas Leiche am 3. Oktober 2022 in der Prien von einem Mord an einem Mädchen in Aschau erzählt? Zu einer Zeit, als dieser Fund noch nicht öffentlich war, Hannas Eltern sich noch gar keine Sorgen um ihre Tochter machten – also diese Aussagen höchstwahrscheinlich als Täterwissen zu werten wären? Oder hat das Gespräch einen Tag später stattgefunden, als der Fund einer weiblichen Leiche bereits Schlagzeilen machte?

Unerwartete Ankündigung

Verena R. setzt sich auf den Platz mit der Aufschrift "Zeuge", neben ihr nimmt der Zeugenbeistand Platz. Sie bestätigt ihre Personalien, die Richterin rasselt die formalen Belehrungen herunter: Die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage. Und das Recht, die Auskunft zu verweigern, sollte diese eine Gefahr darstellen, selbst belangt zu werden, zum Beispiel wegen Falschaussage.

Und dann passiert das Unerwartete: Der Zeugenvorstand ergreift das Wort. Die Zeugin mache von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch, sie werde keine Fragen des Gerichts beantworten. Die Mundwinkel der Richterin Jacqueline Aßbichler fallen sichtlich nach unten.

Befragung sollte mehr Licht in hochkomplexen Prozess bringen

Die Befragung heute sollte endlich etwas mehr Licht in den hochkomplexen Prozess bringen. Wie ist die 23-jährige Hanna in den frühen Morgenstunden des 3. Oktobers 2022 zu Tode gekommen? Hat der Angeklagte die Medizinstudentin aus sexuellen Motiven überfallen, bewusstlos geschlagen und in einen Hochwasser führenden Bach geworfen, wo sie ertrunken ist? Das wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.

Oder könnte es doch ganz anders gewesen sein, ein tragischer Unfall zum Beispiel? Diese Hypothese scheint die Verteidigung beweisen zu wollen. Die gerichtsmedizinischen Gutachter halten das für wenig wahrscheinlich.

Jedes Indiz, jedes kleine Detail zählt

Weil der Angeklagte seit über einem Jahr schweigt, zählt im Prozess jedes Indiz, jedes kleine Detail. Die Aussagen von Verena R. hatten den Angeklagten bisher schwer belastet. Sie war die wohl beste – oder einzig richtige – Freundin des 21-Jährigen.

Am Abend des 3. Oktobers seien sie spazieren gewesen, in der Nähe des Eiskellers, wo Hanna in der Nacht ihres Todes Feiern war. Da habe ihr der Angeklagte von einem Mord in Aschau erzählt, sie habe sich erschreckt. Die Aussage hatte sie schon bei der Polizei gemacht, sie war mitentscheidend dafür, dass ihr Schulfreund vom Zeugen zum Tatverdächtigen wurde.

Zeugin mit Erinnerungslücken

Doch schon beim ersten Auftritt von Verena R. am Landgericht Traunstein Mitte Oktober kommen Zweifel auf. Die junge Frau ist sichtlich überfordert von der Situation, die Verhandlung muss ständig unterbrochen werden. An manche Details erinnert sie sich genau, an wesentliche Aussagen, die sie bei der Polizei gemacht hat, nicht mehr. Die Richterin wirft ihr vor, sie wolle den Angeklagten schützen.

Andererseits macht sie neue, belastende Aussagen, die sie bei der Polizei noch nicht gemacht hatte. So soll der Angeklagte die Tat bei einem Abend in ihrem Elternhaus kurz vor seiner Festnahme gestanden haben. Auch eine zweite Vernehmung Anfang November, bei der sie nur per Video zugeschaltet ist, räumt nicht alle Widersprüche aus. Noch immer decken sich die Aussagen der Zeugin nicht voll mit denen, die sie bei der Polizei gemacht hatte.

Handydaten sorgen für Überraschung

Mitte November werden die Handydaten von Verena R. ausgewertet. Ein exaktes, vollkommen zuverlässiges Bewegungsprofil eines Menschen können diese zwar nicht liefern, erklären die Experten der Polizei. Doch es scheint, als könnte der Spaziergang in der Nähe des Eiskellers eher am 4. Oktober stattgefunden haben.

Die Aussagen des Angeklagten über einen Mord an einem Mädchen in Aschau wären damit kein Täterwissen mehr - ein wichtiges Indiz für eine mögliche Schuld des Angeklagten wären damit vom Tisch. Doch was sich wirklich am 3. oder 4. Oktober abgespielt hat, dazu will sich die Zeugin jetzt nicht mehr äußern.

Schweigender Angeklagter, schweigende Zeugin

Hannas Eltern sind Nebenkläger in dem Prozess, heute waren sie nicht vor Ort. Ihr Anwalt Walter Holderle sagt nach dem unerwartet kurzen Prozesstag: "Das macht den Prozess nicht leichter. Jetzt haben wir nicht nur einen schweigenden Angeklagten, sondern auch noch eine schweigende Zeugin".

Theoretisch könnte das Gericht noch prüfen, ob die Zeugin wirklich das Recht hat, ihre Auskünfte zu verweigern. Vorerst sieht es aber so aus, als würde es für Hannas Eltern noch schwieriger werden, die Wahrheit über den Tod ihrer Tochter zu erfahren.

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