Autos parken vor einer Häuserlücke, in der bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl gestanden hat. Am Amtsgericht hat.
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In dieser Häuserlücke stand bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl.

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Chronologie eines Skandals: Das Uhrmacherhäusl in Giesing

War es ein Versehen, dass ein denkmalgeschütztes Gebäude abgerissen wurde? Oder doch ein geplanter Abriss vom Eigentümer? Nach jahrelangem Rechtsstreit wird am Freitag ein Urteil erwartet. Chronologie einer der skandalträchtigsten Baulücken Münchens.

Um was geht es?

Der Skandal dreht sich um eine Baulücke, die in München-Obergiesing klafft – genauer gesagt, in der Oberen Grasstraße 1, unweit der Heilig-Kreuz-Kirche. Bis 2017 stand an dieser Stelle ein denkmalgeschütztes Wohnhaus, das die Giesinger auch liebevoll das "Uhrmacherhäusl" nannten. Im Jahr 1840 wohnte dort bis zu seinem Tod ein Handwerker mit eben dieser Profession. Mit 170 Jahren auf dem Buckel schaffte es das alte Wohnhaus auf die Denkmalliste der Stadt München.

Was ist der eigentliche Skandal?

Denkmalgeschütze Gebäude dürfen nicht abgerissen werden. Und will der Eigentümer es sanieren, müssen bestimmte Vorgaben eingehalten und die Genehmigung der Behörden eingeholt werden.

Der Eigentümer Andreas S. hatte eine solche Sanierungserlaubnis beantragt und erhalten und einen Bauunternehmer mit den Arbeiten im Spätsommer 2017 beauftragt. Am 31. August 2017 schlug ein Bagger gegen die Fassade des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls in Giesing. Sanieren bedeutet aber nicht Abreißen. Und deswegen verhängte die von Anwohnern herbeigerufene Polizei einen Baustopp. Trotzdem riss der Bagger einen Tag später das Uhrmacherhäusl bis auf die Grundmauern nieder. Zurück blieb ein großes Bauloch, schockierte Anwohner und wütende ehemalige Bewohner.

Vorwürfe und Gegendarstellungen

Der Vorwurf des Bündnisses "Heimat Giesing" – in dem sich viele Anwohner und Bürger Giesings zusammengeschlossen haben: Der Eigentümer und der Bauunternehmer haben gemeinsame Sache gemacht, das Uhrmacherhäusl abreißen lassen und es danach als großes Versehen dargestellt.

Der Eigentümer Andreas S. weist alle Anschuldigungen zurück. Weder habe er Mieter kalt entmietet, noch habe er den Abriss des denkmalgeschützten Wohnhauses gewollt. 2016 habe er das Uhrmacherhäusl gekauft, um es in ein Einfamilienhaus umzugestalten und selbst einzuziehen. Als der Besitzer vom Abbruch erfahren habe, sei er "geschockt" gewesen.

Etappen des Rechtsstreits: Forderung nach originalgetreuem Wiederaufbau

Nach dem Abriss wurde gegen den Hausbesitzer 2017 ein Bußgeldverfahren eröffnet, bei dem geprüft wurde, ob der Abriss eine Straftat war. Außerdem verfügte die Stadt, dass das Uhrmacherhäusl innerhalb von zwei Jahren original wiederherzustellen sei. Dagegen legte Andreas S. wiederum Klage ein und bekam Recht, denn die Stadt hatte einen Formfehler gemacht. Im Juli 2021 legte die Stadt München Berufung ein und dieses Mal folgte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen der Rechtsauffassung der Stadt. Kurzum: Das Uhrmacherhäusl muss in seiner ursprünglichen Gestalt wiederaufgebaut werden.

Denkmalschutzgesetz drastisch verschärft

Die Causa Uhrmacherhäusl schlug hohe Wellen: Immer wieder kamen Politiker, darunter vor allem Oberbürgermeister Dieter Reiter, zu Mahnwachen des Bündnisses "Heimat Giesing". Ein Signal gegen Gentrifizierung und Spekulantentum. Die nicht abreißenden Proteste der Giesinger führten schließlich dazu, dass im April dieses Jahres der Bayerische Landtag Strafen für Verstöße gegen das Denkmalschutzgesetz drastisch erhöhte. Beschlossen wurde eine Verschärfung des Bußgeldrahmens von 250.000 Euro auf 5 Millionen Euro.

Nach der Verhandlung ist vor dem Wiederaufbau

In dem nun fast zwei Monate dauernden Prozess vor dem Amtsgericht München soll jetzt ein Urteil gesprochen werden. Konkret ist der Besitzer des Uhrmacherhäusls Andreas S. gemeinsam mit dem Baggerfahrer Cüneyt C. wegen Sachbeschädigung sowie Beihilfe dazu angeklagt. Andreas S. wird zudem beschuldigt, die letzten verbliebenen Mieter des Hauses vergrault zu haben, indem er beispielsweise im Winter die Haustür ausgehängt und wegen der in der Folge vereisten Leitung das Wasser und den Strom abgestellt habe.

Alles Unsinn, behauptet der Eigentümer, der in den letzten Prozesstagen sein Schweigen brach und darauf beharrte, beim Abriss habe es sich um ein reines Versehen gehandelt. Außerdem beteuerte er, das Uhrmacherhäusl in seiner ursprünglichen Form wiederherstellen zu lassen. Die Pläne für das Vorhaben habe er eingereicht und von den Behörden die Erlaubnis erhalten.

Ein Urteil wird am Freitag, den 29. Juli, erwartet. Die Frage bleibt offen, ob damit der Giesinger Krimi endet. Die engagierten Giesinger werden jedenfalls auch in Zukunft sehr wachsam verfolgen, wie es mit den Aufbauarbeiten ihres Uhrmacherhäusls weitergeht.

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