In einem Stall geht ein Landwirt mit einer Milchkanne in der Hand an Kühen vorbei.
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Milchbauern fordern eine bessere Marktstellung und mehr Planungssicherheit.

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Gezerre um Preisverträge – Mehr Macht für Milchbauern?

Nicht Bauern bestimmen, wie viel sie für ihre Milch bekommen, sondern die Molkereien. Festgelegt wird das oft erst im Nachhinein. Das soll sich ändern. Özdemirs Landwirtschaftsministerium entwickelte einen Entwurf, der die Branche aufwühlt.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Seit Jahrzehnten klagen Milcherzeuger immer wieder über die schlechten Preise, die sie für ihre Milch bekommen. Bekommen die Landwirte jetzt mehr Macht und Planungssicherheit? Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will Vorgaben für Milchlieferverträge machen und damit Milchbäuerinnen und -bauern in der Wertschöpfungskette stärken.

Milchbauern können die Preise für ihre Milch nicht selbst bestimmen

Derzeit müssen sie sich nämlich mit den Milchpreisen zufriedengeben, die letztendlich die Molkerei vorgibt. Oft erfahren die Landwirte sogar erst im Nachhinein - rund sechs Wochen nach Abholung - wie viel sie für ihre abgelieferte Milch bekommen. Nun plant das Bundesagrarministerium, dass Privatmolkereien mit den Landwirten feste Milchlieferverträge vereinbaren, bei denen schon vor der Lieferung feststeht, über welchen Zeitraum, wie viel Milch, zu welchem Preis abgenommen wird.

Dafür soll der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation - einer EU-Verordnung - jetzt auch in nationales, deutsches Recht umgesetzt werden. Özdemirs Ministerium erarbeitete dafür schon einen Verordnungsentwurf. Offiziell ist noch nichts, doch aus Ministeriumskreisen sickerten die Pläne durch.

Künftig müsste schon vor der Milchlieferung der Preis feststehen

Vor der Milchlieferung soll es einen schriftlichen Vertrag geben, der Laufzeit, Liefermenge und Preis beinhaltet. Die Molkereien müssen den Bauern ein Angebot für mindestens 80 Prozent der voraussichtlichen Milchmenge vorlegen. Ist der Landwirt mit dem Angebot nicht zufrieden, kann er ein neues einfordern.

Das Recht, das Angebot abzulehnen, beinhaltet aber nicht, die Milchlieferung an die Molkerei einzustellen. Genossenschaftliche Molkereien sind von dieser Vertragspflicht ausgenommen, wenn deren Satzungen oder Lieferordnungen ähnliche Wirkung haben.

Selbst Befürworter des Artikels 148 finden den Entwurf zu ungenau

Doch dieser Entwurf sorgt in der Milch-Branche für mehr Verwirrung als für Klarheit. Selbst die Befürworter des Artikels 148 hätten sich etwas Anderes erwartet. Die Verbände MEG Milch Board, LsV Deutschland, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und EMB (European Milk Board) begrüßen und unterstützen es, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium den Artikel 148 endlich anwenden will.

Allerdings sind sie von der noch viel zu unklaren und in Teilen unwirksamen Ausgestaltung dieses Entwurfs enttäuscht und fordern Nachbesserungen. Es sei überhaupt nicht erklärbar, warum die Verordnung lediglich eine Angebotspflicht für nur 80 Prozent der Milchmenge vorsieht, heißt es in einer Stellungnahme der Verbände. Sie fordern eine Vertragspflicht für 100 Prozent der Milchmenge. Außerdem sollen auch Genossenschaftsmolkerei - genauso wie Privatmolkereien - zu vertraglichen Vereinbarungen über Menge, Preis und Laufzeit verpflichtet werden. Schließlich werde 70 Prozent der Milchmenge in Deutschland in Genossenschaften verarbeitet, so die Verbände.

Bauernverband und Molkereien gegen Artikel 148

Der Bauernverband und die Molkereien sind grundsätzlich gegen die Einführung des Artikels 148. Der Geschäftsführer der Molkerei Gropper in Bissingen, Heinrich Gropper, argumentiert, viele Molkereien würden schon auf freiwilliger Basis den Landwirten entgegenkommen: "Wir praktizieren seit langer Zeit mit unseren Landwirten eine bilaterale Verhandlungsthematik. Ich bin überzeugt davon, dass sie zufrieden sind mit dem System, wie wir das handhaben. Sonst würden wir es ändern."

Gropper führt quartalsweise Verhandlungen mit Milchbauern-Vertretern. Dabei wird immer für die kommenden drei Monate der Milchpreis festgelegt. In den meisten Fällen käme es zur Einigung. Doch das letzte Wort habe immer die Molkerei, erklärt Gropper.

Längere Festpreismodelle würden mehr Planungssicherheit bewirken

Tatsächlich sind einige Milchbauern mit diesem System zufrieden - aber eben nicht alle.

Milchviehhalter Josef Bissinger aus Mertingen im Landkreis Donau-Ries liefert zwar nicht zu Gropper, sondern zu Zott, doch das Modell ist dort dasselbe. Auch er erfährt immer drei Monate im Voraus den Milchpreis. Doch das hilft ihm auch nicht wirklich weiter. Denn ist er mit dem Preis nicht zufrieden, kann er nichts ändern.

Er hat einen Drei-Jahres-Vertrag mit einjähriger Kündigungsfrist. In diesen drei Jahren muss er die komplette Milch an die Molkerei liefern, obwohl er nicht weiß, wie viel er während dieser langen Laufzeit dafür bezahlt bekommt. "Mit diesem System bin ich nicht zufrieden und sind die allermeisten nicht zufrieden. Wie kann man da zufrieden sein? Wenn der Käufer den Preis macht", so Bissinger.

Seine Forderung und auch die des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM): einen festen Preis und eine feste Menge im Voraus für mindestens ein halbes, besser für ein ganzes Jahr, festlegen. So könnten Landwirte besser kalkulieren - etwa die Fütterung, Trockenstehzeiten (in denen nicht gemolken wird) oder Schlachtungen an den Milchpreis anpassen.

Schwankender Milchmarkt lasse einen lange festgelegten Milchpreis nicht zu

Molkereichef Gropper hält nichts davon, den Milchpreis für so einen langen Zeitraum festzulegen: "Ich persönlich sehe das sehr, sehr kritisch und möchte nahezu sagen, dass das nicht möglich ist, weil wir sehr volatile Märkte haben." Die Molkereien orientieren sich bei der Milchpreisgestaltung am Weltmarktpreis. Der schwankt stark: in den vergangenen Jahren um 20 Cent pro Liter herum. Außerdem seien den Molkereien angesichts relativ kurzer Verträge mit den Lebensmitteleinzelhändlern und deren Preisdruck die Hände gebunden.

Artikel 148 führt vermutlich nicht zu höheren Milchpreisen

Viele Experten bezweifeln, dass sich mit Einführung des Artikels 148 die Situation der Landwirte verbessern würde - geschweige denn, dass das zu einem besseren Preis führe. Professor Holger Thiele, Agrarökonom an der Fachhochschule Kiel erklärt: "Nein, diese Erwartung haben wir nicht, dass es zu einem besseren Milchpreis kommt. Weil es nach vorne raus immer Preisabschläge geben muss. Weil, wenn Sie Umsätze in der Zukunft nicht kennen, muss eine Molkerei mit Preisabschlägen arbeiten - also nicht aus bösem Willen, sondern einfach aus kaufmännischer Vorsicht."

Die Prognose: Die Molkereien werden in Verträge, die den Milchpreis für eine lange Zeit im Voraus festlegen, möglichst niedrige Preise schreiben, um sich gegen Marktschwankungen abzusichern.

Dessen ist sich auch Landwirt Bissinger bewusst. Dennoch: Die Landwirte nehmen dann vielleicht nicht mehr die - ohnehin seltenen - Preissteigerungen mit, wären aber zumindest vor starken Preisabstürzen geschützt. Er argumentiert: lieber ein mittlerer Preis und damit mehr Planungssicherheit, als ständige Preisschwankungen. Außerdem sei ihm auch klar, dass der Artikel 148 nur einer von vielen Bausteinen sein könne, um die Marktstellung der Landwirte zu verbessern. Doch irgendetwas müsse endlich passieren, damit die Landwirte mehr Macht bekommen, wenn es um den Preis für ihre Milch geht.

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