Der gehörlose Maschinenbaustudent Sebastian Diehm gestikuliert
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Die schwierige Suche nach Gebärdensprachdolmetschern

Gehörlose Menschen sind im Alltag auf Gebärdensprachdolmetscher angewiesen. Allerdings gibt es viel zu wenig Dolmetscher für die etwa 9.500 Gehörlosen in Bayern und es könnten noch weniger werden. Denn an den Hochschulen bleibt der Nachwuchs aus.

Über dieses Thema berichtet: Sehen statt Hören am .

Der Münchner Sebastian Diehm benötigt für sein Maschinenbaustudium regelmäßig Gebärdensprachdolmetscher. Hier sind sogar zwei Dolmetscher erforderlich, damit sie sich während der langen Vorlesung abwechseln können. "Wenn aber jemand kurzfristig erkrankt oder aufgrund eines anderen wichtigen Termins bei mir absagen muss, suche ich zwar kurzfristig nach Ersatz und frage herum, aber die meisten haben keine freien Termine und sind ausgebucht. Da habe ich dann Pech", sagt er.

Das Problem: In Bayern herrscht seit Jahren akuter Dolmetschermangel. Davon ganz besonders betroffen sind die ländlichen Regionen in der Oberpfalz und in Niederbayern. Anja Bergmann aus der Nähe von Straubing ist im Umkreis bis Cham und zum Bayerischen Wald weit und breit die einzige Gebärdensprachdolmetscherin. "Das Problem oder die Herausforderung daran ist, dass ich viele Anfragen aus Straubing/Bogen oder Cham bekomme, aber ablehnen muss, weil ich das allein nicht alles schaffe." In Niederbayern leben etwa 690 Gehörlose, davon 49 im Landkreis Straubing-Bogen.

Zwar ist die Zahl der in Bayern gelisteten Dolmetscher insgesamt seit 2019 sogar etwas gestiegen – von 100 auf 155. Aber gleichzeitig ist auch der Bedarf deutlich größer geworden. Seit der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 haben Gehörlose mehr Rechte, etwa das Recht auf Bildung in Gebärdensprache. Im Zuge der Inklusion an Schulen und Universitäten sind Dolmetscher vermehrt im Einsatz – gebunden an feste Stundenpläne und damit weit im Voraus ausgebucht. Auch im Arbeitsleben, bei Firmen oder Ämtern und Behörden hat die Nachfrage über die letzten Jahre zugenommen.

Wo bleibt der Nachwuchs?

Seit dem Wintersemester 2015/2016 gibt es den Studiengang "Gebärdensprachdolmetschen" an der Hochschule Landshut. Aber seit ein paar Jahren geht die Zahl der Studierenden hier deutlich zurück. Während es 2018/19 noch 81 Bewerbungen und 22 Einschreibungen gab, waren es im letzten Wintersemester 2022/23 nur noch 28 Bewerbungen und gerade mal 10 Einschreibungen. "An der Gebärdensprache liegt es nicht", betont Prof. Dr. Sabine Fries, die den Studiengang leitet.

Vielmehr sieht sie eine Ursache darin, dass die geburtenstarken Jahrgänge abnehmen. Und auch die Corona-Pandemie hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Studierendenzahlen. Hinzu kommen die hohen Zulassungsvoraussetzungen: "Landshut hat, soweit ich weiß, die höchsten Aufnahmekriterien deutschlandweit. Wir verlangen 90 Stunden DGS-Unterricht (DGS=Deutsche Gebärdensprache) vorab, bevor das Studium überhaupt begonnen werden kann. Wir möchten so einen guten Qualitätsstandard erreichen. Allerdings müssen wir jetzt darüber nachdenken, das hier zu reduzieren, denn es ist schon eine große Hürde."

Um wieder mehr Nachwuchs zu gewinnen, versucht die Hochschule im Rahmen der "signs4inclusion"-Kampagne bei Schulabgängern und auf Messen für den Studiengang zu werben. Das Bayerische Staatsministerium für Soziales hat kürzlich die Finanzierung des Projekts übernommen. Prof. Dr. Sabine ist zuversichtlich und möchte die Öffentlichkeit stärker sensibilisieren für den Beruf des Gebärdensprachdolmetschers. Ein Beruf mit Zukunft. Denn es gibt einen sehr großen Bedarf und man hat einen sicheren und flexiblen Arbeitsplatz.

Aber bis es wieder mehr Dolmetschernachwuchs gibt, wird sich für die Betroffenen wie Sebastian Diehm wohl erstmal nichts ändern. "Ich wünsche mir, dass es in Zukunft mehr Dolmetscher gibt und gehörlose Menschen die Möglichkeit haben, schnell und einfach Dolmetscher zu bestellen – man kann schließlich nicht alles im Leben vorausplanen."

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