Bäume vor dem Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München
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Auf der Intensivstation 3 in München-Großhadern steigt die Zahl der Patientinnen und Patienten, die einen schweren Covid-19-Verlauf haben.

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Corona: In Großhadern werden die Intensivbetten knapp

Ein Intensivmediziner des Klinikums Großhadern nennt die Situation auf seiner Station "dramatisch", nur noch wenige Betten seien frei. Das Personal arbeitet an der Grenze zur Überlastung. In anderen bayerischen Kliniken ist die Lage ähnlich.

Menschen, die noch keine 50 Jahre alt, schwer an Covid-19 erkrankt sind und künstlich beatmet werden müssen. Kaum mehr freie Intensivbetten und Personal, das seit Wochen an der Grenze zur Überlastung arbeitet: Mediziner auf Bayerns Intensivstationen schlagen Alarm.

Lage im Klinikum Großhadern dramatisch

Auch an Münchens größtem Krankenhaus in Großhadern ist die Situation dramatisch. Sonja May ist Krankenpflegerin auf der Corona-Intensivstation in Großhadern. Gerade nimmt sie einem Patienten Blut ab, der lange Zeit an die sogenannte ECMO angeschlossen war. Dabei handelt es sich um eine Maschine, die das Blut mit Sauerstoff anreichert. Denn die Lunge der Patientinnen und Patienten ist dazu nicht mehr in der Lage.

Durch die Beatmungsmaschine haben sich die Lungenmuskeln des Patienten zurückgebildet, erläutert May. Nun muss sich der Mann von der lebensrettenden Behandlung erholen. "Seine Atemmuskulatur ist derzeit sehr schwach und da kann es passieren, dass sich die Muskulatur erschöpft, das müssen wir mit den Blutabnahmen überwachen."

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Mit Mitte vierzig an der Beatmungsmaschine

Einen Gang weiter kümmert sich Oberärztin Sandra Frank um eine neue Patientin. Die Patientin ist Mitte vierzig, hat sich mit der britischen Mutante angesteckt. Jetzt musste sie an die Lungenmaschine. Gerade haben vier Ärztinnen und Ärzte die Frau wieder von Bauch- in Rückenlage gedreht.

"Sie hat eine sehr schwere Form von Covid-19, die Lunge versagt und daher bekommt sie die maximale Therapie, die wir an einem Universitätsklinikum anbieten können", erklärt die Anästhesistin und Intensivmedizinerin Frank. "Jetzt müssen wir hoffen, dass die Therapie auch anschlägt bei ihr."

Unterschied zu ersten beiden Wellen

Auf der Intensivstation 3 in München-Großhadern steigt die Zahl der Patientinnen und Patienten, die einen schweren Covid-19-Verlauf haben. Aufgrund der Personalknappheit sind hier alle verfügbaren Betten belegt, sagt der Direktor der Anästhesie und Intensivmedizin Professor Bernhard Zwißler. Eine Notfall-Reserve könnte man im schlimmsten Fall noch aktivieren.

Und: Die Betroffenen werden immer jünger: "Das Problem ist, dass wir zunehmend Patientinnen und Patienten sehen, die eben nicht mehr wie in den ersten beiden Wellen deutlich über 60 sind, sondern 50 oder zum Teil auch 40 Jahre alt sind und schwerst erkrankt sind", so Zwißler.

Operationen werden teils verschoben

Laut Zwißler ist die Lage inzwischen "wirklich dramatisch". Jeden Tag müssten seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter priorisieren, welche Patientinnen und Patienten sie auf den Intensivstationen noch aufnehmen können. Andere, nicht lebensnotwendige Behandlungen müssen teils schon verschoben werden.

Als Generalsekretär der deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin nimmt Zwißler hier auch die Politik in die Pflicht: "Wir bewegen uns definitiv auf eine Grenze zu und die Mitarbeiter würden nicht verstehen, warum beispielsweise die Politik die Hände in den Schoß legt und der Entwicklung tatenlos zusieht, wenn hier praktisch jedes Bett belegt ist."

Bayernweit werden Intensivbetten knapp

Aktuell sind in Bayern 90 Prozent aller verfügbaren Intensivbetten belegt. Keine freien Betten gibt es beispielsweise im Landkreis Landshut und Regensburg. Die Landkreise Cham, Schwandorf und Kelheim und mehrere andere Kommunen meldeten nur noch ein bis zwei freie Intensivbetten.

25 Prozent der Intensivbetten werden von Covid-Patientinnen und Patienten belegt."Dass eine einzige Krankheit ein so hohes Maß an Intensivkapazität benötigt, ist einmalig", bilanziert der Intensivmediziner Zwißler.

Aber wenn sich nichts ändere, werde das medizinische Personal bald an die Belastungsgrenze kommen, sagt Zwißler. Belastend sei auch, mitzuerleben, dass nach tage- manchmal wochenlanger Intensivpflege die Patientinnen und Patienten trotzdem sterben.

Holetschek: Situation "noch beherrschbar"

Laut Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sei die Situation "noch beherrschbar", bereite aber angesichts der steigenden Infektionszahlen Sorgen.

Tatsächlich zeigt ein Blick ins Intensivregister Deutschland: Noch vor einem Dreivierteljahr, Ende Juli, lagen bundesweit knapp 700 Patientinnen und Patienten mehr auf den deutschen Intensivstationen. Sind derzeit in ganz Deutschland 21.006 Intensivbetten belegt, waren es am 30. Juli 2020 noch 21.693.

Auch in Großhadern selbst waren die Zahlen schon höher. An Neujahr wurden hier rund 40 Corona-Erkrankte mehr behandelt als derzeit. Sorgen macht sich Zwißler darüber, dass die Mutanten oftmals eine längere intensivmedizinische Behandlung erfordern würden.

Patient schreibt auf: "Tolles Team"

Zurück bei Intensivpflegerin Sonja May und ihrem Patienten. Er wird derzeit noch durch einen Luftröhrenschnitt beatmet und kann deshalb nicht sprechen. "Er schreibt uns mit dem Stift auf, was er braucht oder was er für Bedürfnisse hat", erzählt May.

Gerade hat er aufgeschrieben, dass er eine dickere Decke haben möchte, weil ihm kalt ist. "Und er hat geschrieben, dass wir ein tolles Team sind", freut sie sich. "Das liest man natürlich am liebsten", sagt May und lacht.

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