Flüchtling Abdou Lahat Seck arbeitet in der Wäscherei des Franziskuswerk Schönbrunn.
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Der Flüchtling Abdou Lahat Seck in der Wäscherei des Franziskuswerk Schönbrunn.

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Chancenaufenthalt für Geduldete: Hürdenlauf für ein Bleiberecht

Geduldete Flüchtlinge bekommen durch das neue Chancenaufenthaltsgesetz eine Perspektive auf eine dauerhafte Bleibeerlaubnis. Es zeigt sich: Bei vielen stößt die neue Regelung auf große Resonanz. Allerdings gibt es auch zahlreiche Hürden.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Abdou Lahat Seck arbeitet seit Anfang Februar als Hilfskraft in der Wäscherei des Franziskuswerk Schönbrunn, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Soweit – so normal. Für den Senegalesen ist das allerdings ein großer Schritt. Seit elf Jahren lebt er in Bayern. Doch bis vor Kurzem konnte der 28-jährige Geduldete nur ehrenamtlicher oder gemeinnütziger Arbeit nachgehen. Weil der Senegal in Deutschland als sicherer Herkunftsstaat gilt, bekam Seck für einen regulären Job ein Arbeitsverbot. Für den Geduldeten war es eine große Belastung, immer abhängig vom Staat zu sein. Zudem hatte er dadurch keine echte Chance auf Integration.

Der Chancenaufenthaltstitel: Eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe

Dank des sogenannten Chancenaufenthaltsgesetzes habe er nun keine Angst mehr und müsse weniger grübeln, erzählt Seck. Denn durch den Chancenaufenthaltstitel erhält der Senegalese - neben der Erlaubnis zum Arbeiten - für 18 Monate eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe.

Dafür musste Abdou Lahat Seck bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Er musste zum Stichtag, dem 31. Oktober 2022, seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen geduldet sein, musste sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, durfte nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt sein. Und er durfte nicht wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben – so schreibt es das Gesetz vor. Es trat am 31. Dezember 2022 in Kraft.

Besonders viele Anträge in Bayern

Abdou Lahat Seck ist einer von 14.500 Flüchtlingen in Bayern, die den Chancenaufenthalt bis Ende vergangenen Jahres beantragt haben. Etwa mehr als die Hälfte der Anträge wurde bisher genehmigt. In rund 1.200 Fällen wurde sofort eine dauerhafte Bleibeerlaubnis erteilt. In Bayern gingen verglichen mit anderen Bundesländern besonders viele Anträge auf den Chancenaufenthalt ein.

Ist das Chancenaufenthaltsgesetz ein Erfolg?

Asylrechtsanwälte und Flüchtlingshelfer sehen zwar in dem Recht eine Chance für Geduldete, sich endlich integrieren zu können. Sie kritisieren aber die teils hohen Voraussetzungen. Der Ehrenamtliche Peter Barth vom Helferkreis im oberbayerischen Hebertshausen hat einigen Geflüchteten beim Antrag auf einen Chancenaufenthalt geholfen. Auch Abdou Lahat Seck hat er bei den Behördengängen unterstützt. Er ist skeptisch, ob der Senegalese ein dauerhaftes Bleiberecht nach 18 Monaten erhält. Nur schon vorher gut integrierte Geduldete würden es schaffen, glaubt Barth. Senegalesen aber dürften nicht arbeiten, geschweige denn in eine Schule gehen, so der Ehrenamtliche weiter. Die seien nicht gut integriert.

Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu hoch?

Um nach den 18 Monaten ein dauerhaftes Bleiberecht zu bekommen, muss der Analphabet Seck Deutsch auf dem Niveau A2 mündlich sprechen. Da er bisher keinen offiziellen Deutschkurs besuchen durfte, sind seine Deutschkenntnisse jedoch mäßig. Zudem braucht er einen senegalesischen Pass. Bei der Beschaffung des Passes sieht Gisela Seidler, Anwältin für Migrationsrecht, für einige Flüchtlinge eine große Hürde. Manche Länder hätten gar keine Botschaft in Deutschland, so Seidler. Das mache es schwierig.

Seck bekommt nur in der senegalesischen Botschaft in Paris einen Pass. Dafür braucht er aber erst eine Geburtsurkunde aus dem Senegal. Die müssen Verwandte oder Freunde für ihn besorgen. Damit muss er zur Botschaft in Berlin. Erst dann kann er in Frankreich seinen Pass abholen. Falls ein Flüchtling die geforderten Voraussetzungen nicht nachweisen kann, erhält er auch kein dauerhaftes Bleibereicht. Er fällt wieder in die Duldung zurück und kann, wenn er sich einen Pass besorgen konnte, abgeschoben werden. Ein großes Dilemma.

Rechtsanwältin kritisiert Ermessensspielraum von Ausländerbehörden

Trotzdem ist Abdou Lahat Seck froh, dass sein Antrag im ersten Schritt genehmigt wurde. Denn: 1.380 der rund 14.500 bayerischen Anträge auf den Chancenaufenthaltstitel für 18 Monate wurden bis Ende 2023 direkt abgelehnt. Die Gründe sind laut Bayerischem Innenministerium: Es habe unter anderem kein fünfjähriger, ununterbrochener Voraufenthalt in Deutschland nachgewiesen werden können, oder es habe strafrechtliche Verurteilungen über der gesetzlich vorgesehenen Schwelle gegeben.

Diese beiden Gründe ärgern die Rechtsanwältin für Asylrecht Gisela Seidler. Der ununterbrochene Voraufenthalt liege teils im Ermessensspielraum der Ausländerbehörden, die den Chancenaufenthaltstitel erteilen. Einzelne Behörden rechnen ihrer Erfahrung nach bestimmten Zeiten - zum Beispiel während des Dublin-Verfahrens - nicht für die Duldung an. Und dann bestehe kein ununterbrochener Voraufenthalt.

Kein Chancenaufenthalt: wenn Verurteilung wegen Passlosigkeit

Zudem kritisiert Seidler, dass Flüchtlinge wegen ausländerrechtlicher Vergehen vom Chancenaufenthalt ausgeschlossen werden. Ausländerrechtliche Vergehen – das heißt, wenn Flüchtlinge zum Beispiel wegen Verstoßes gegen die Passpflicht zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt werden. Das sei sehr schnell erreicht, so die Anwältin. In vielen Fällen hätten die Leute kein Geld für einen Anwalt, um dagegen anzugehen und akzeptierten diese Verurteilung, so Seidler. Dadurch könnten auch sehr gut integriert Menschen nicht in den Genuss des Chancenaufenthalts kommen.

Fazit: Das Chancenaufenthaltsrecht gibt langjährig Geduldeten zwar durchaus eine Perspektive auf ein Bleiberecht. Doch es zeigt sich auch, dass es an der Umsetzung hapert: Geduldete müssen in kurzer Zeit lange Versäumtes wie Sprachkenntnisse nachholen, um die Voraussetzungen zu erfüllen. Und das wird wohl in etlichen Fällen kaum zu schaffen sein. Zudem sind Geduldete, die zum Stichtag weniger als fünf Jahre geduldet waren, vom Chancenaufenthaltstitel komplett ausgeschlossen.

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