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Flüchtlinge steigen aus einem ICE

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Streit um Abrechnungen bei Flüchtlingszügen

Hilfsorganisationen haben in der Flüchtlingskrise Großartiges geleistet, aber nun gibt es Streit über einige Abrechnungen. Mehr als eine Million Euro an Steuergeldern sind dabei an Hilfsorganisationen geflossen. Von Oliver Bendixen und Fabian Mader

Über dieses Thema berichtet: report MÜNCHEN.

Wir bekommen den Tipp von einem Informanten. Seine Vorwürfe richten sich gegen verschiedene Organisationen des Roten Kreuzes, den Malteser Hilfsdienst, die DLRG und den Arbeiter-Samariter-Bund.

Und darum geht es: Als in der Flüchtlingskrise 2015 tausende Menschen nach Deutschland strömen, versorgen sie die Helfer mit Kleidung und Medikamenten. Auch als die Flüchtlinge mit Zügen in Deutschland verteilt werden, sind Mitarbeiter der Hilfsorganisationen an ihrer Seite. Dafür bekommen die Organisationen pro Fahrt rund 3.200 Euro von den Behörden.

Nichts getan und abkassiert?

Im darauffolgenden Frühjahr kommen weniger Flüchtlinge nach Deutschland, am 7. März 2016 fährt der letzte Zug, um Flüchtlinge zu verteilen. Dennoch rechnen die Hilfsorganisationen fast acht Monate lang weiter ab. Insgesamt bekommen das Deutsche Rote Kreuz, das Bayerische Rote Kreuz, die Wasserwacht, der Malteser Hilfsdienst, die DLRG und der Arbeiter-Samariter-Bund in diesem Zeitraum, in dem kein einziger Zug fährt, rund 1,2 Millionen Euro.

Leonhard Stärk, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, ist auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsschutz in Bayern – sie hat die Begleitung der Flüchtlingstransporte organisiert. Er weist die Vorwürfe zurück.

"Wir haben dann irgendwann mit den Behörden festgestellt, dass die Züge nur noch halb voll waren. Dann haben die Behörden die Züge dann nicht mehr fahren lassen, wir hatten aber unser Personal bereit. Wir haben unser Personal organisiert, wir hatten die Materialien eingekauft, wir hatten Verpflegung gekauft, diese Dinge haben wir dann über mehrere Monate vorgehalten." Leonhard Stärk, Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsschutz in Bayern

Für die Bereitschaft bekommen die Hilfsorganisationen über Monate hinweg denselben Betrag wie für die tatsächliche Begleitung von Flüchtlingstransporten. Erst nach fast fünf Monaten wird der Betrag von 3.200 Euro auf 1.000 Euro pro geplanter Fahrt gesenkt. Ende Oktober 2016 werden die Zahlungen eingestellt.

Brisante Vorwürfe

Die Vorwürfe sind juristisch heikel, denn Hilfsorganisationen sind steuerlich begünstigt. Der Würzburger Anwalt Bernd Spengler ist Experte für die rechtlichen Belange von Hilfsorganisationen. Er ist zumindest skeptisch, ob hier alles juristisch korrekt abgelaufen ist. Hilfsorganisationen dürften keinen Gewinnen einplanen, sagt Spengler. Und wiederum mache es diesen konkreten Fall so spannend, "dass für die tatsächliche Zugbegleitung derselbe Betrag in Ansatz gebracht wurde wie später, wo man quasi nur noch die Vorhaltung von Personal hatte, für den Fall, dass ein Zug begleitet werden muss". Spengler findet es zudem "auffallend, wenn das derselbe Betrag ist". Dann sei das "zumindest nicht unbedingt erklärbar".

Wie erklären die Hilfsorganisationen diesen Umstand? Leonhard Stärk, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsschutz in Bayern, verteidigt das Vorgehen. Die Kosten seien alle pauschal berechnet worden, sowohl die Zugbegleitung selbst als auch die Bereitstellung. Man habe das den Behörden alles transparent offen gelegt und mit den Behörden vereinbart, "dass wir diese Mittel bekommen".

Die Behörden wussten Bescheid

Auch die Behörden wussten genau, dass längst keine Züge mehr fahren. Es kamen ja auch ganz offensichtlich ab März kaum noch Flüchtlinge ins Land. Warum haben Sie über Monate Hunderttausende Euro an die Hilfsorganisationen überwiesen? Beim Bundesamt für Güterverkehr heißt es: "Angesichts der jedoch nach wie vor von Unabwägbarkeiten geprägten Migrationslage wurden in einer Übergangsphase entsprechende Zugkapazitäten (sowie entsprechende sanitätsdienstliche Zugbegleitungen) […] im 'Stand-By-Modus' weiterhin vorgehalten."

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, ist vom Vorgehen der Behörden entsetzt. Sehr viel Geld sei in der Flüchtlingskrise verschwendet worden – Leistungen seien bestellt, aber dann nicht erbracht worden. Holznagel sagt, der Steuerzahler sei letzten Endes der Geprellte: "Ich finde, das ist schon ein Skandal."

Ein Skandal? Das will Leonhard Stärk so nicht akzeptieren. Die Hilfsorganisationen hätten große Anerkennung erfahren und „wir lassen uns das auch jetzt nicht kaputt reden“.

Nicht als Kritik an Helfern zu verstehen

Doch darum geht es dem Steuerzahlerbund auch gar nicht. Präsident Holznagel erklärt: „Wir sprechen hier von den Organisationen und nicht von den Menschen, die helfen. Das muss man ja deutlich sagen. Es sind ja sehr viele Menschen, die eben auch bereit waren, ehrenamtlich gegen eine kleine Aufwandsentschädigung, Zeit zu investieren. Die sind hier eindeutig nicht getroffen.“

Helfer haben in der Flüchtlingskrise Großartiges geleistet, so sieht es nicht nur Holznagel. Nicht zuletzt in ihrem Interesse sollte es sein, dass die offenen Fragen geklärt werden. Fragen, die auch in "report München" gestellt werden - heute Abend um 21.45 Uhr im Ersten.