Zwei Mitarbeiter der Coatinc Würzburg GmbH an der Zinkschmelze –  soeben haben sie ein Geländer veredelt
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Zwei Mitarbeiter der Coatinc Würzburg GmbH an der Zinkschmelze – soeben haben sie ein Geländer mit einer Zinkschicht veredelt

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Bei Gasstopp Totalschaden? Verzinkerei bangt um Existenz

Besonders energieintensive Unternehmen fürchten, bald von der Gasversorgung abgeschnitten zu werden, sollte sich der Gasmangel weiter zuspitzen. Verzinkereien droht dann der wirtschaftliche Kollaps – die Schmelzwannen dürfen keinesfalls erkalten.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

Der gelernte Metallarbeiter Carlos Guerrero ist es gewohnt, große Stahl- und Eisenteile durch die vier Werkshallen im unterfränkischen Rottendorf zu schleppen. Am Ende einer langen Schicht, die er um 5 Uhr morgens antritt, ist er dann "völlig kaputt". Jetzt streicht er mit seinen großen Händen sanft über die Oberfläche einer verzinkten Geländerstange. Vor Schichtbeginn war die noch schwarz – jetzt glänzt sie silbern – wie frisch gespültes Besteck.

Verzinkereien laufen zu 95 Prozent mit Erdgas

Heute ist Guerrero eher mental als körperlich gefordert – er ist Schichtführer und muss genau überblicken, was in den von außen relativ unscheinbaren Hallen in direkter Nachbarschaft zur Bahnstrecke passiert. Die Mitarbeiter der Coatinc Würzburg GmbH haben dem Geländer am Morgen einen metallischen Überzug aus Zink verpasst.

Er schützt das Material gegen Korrosion. Seit rund 200 Jahren wird Stahl mit einer Zinkschicht veredelt. Ein altes Verfahren, das die Lebenszeit von Bauteilen um ein Vielfaches erhöht. Weil in Deutschland die Verzinkungskessel zu 95 Prozent mit Erdgas betrieben werden, steht nun die ganze Branche vor einem Problem.

Unternehmen droht "wirtschaftlicher Totalschaden"

Zink schmilzt erst bei rund 419 Grad Celsius, der Kessel braucht eine konstante Befeuerung, um die Zinkschmelze flüssig zu halten. "Sobald das nicht mehr stattfindet, verfestigt sich das", sagt Susanne Kolb, die das Werk in Rottendorf bei Würzburg leitet. "Wenn das am Schluss ein fester Block ist – den hebt und den bergt niemand mehr", sagt sie. Sie ist sich sicher, sollte der Kessel auch nur eine Minute kalt werden, wäre dies für das Unternehmen der wirtschaftliche Totalschaden.

Eine Million Euro "schwimmen" im Zinkkessel

Von oben sieht der Zinkkessel aus wie eine riesengroße Badewanne. Hier allein schwimmen rund eine Million Euro Materialwert. Das Eigengewicht des Kessels liegt mit dem Inhalt der Zinkschmelze bei fast 320 Tonnen. Pro Schicht schaffen die Mitarbeiter etwa 25 Lastenträger. An ihnen hängen dann bis zu siebeneinhalb Meter lange Teile, die sie in das Zinkbad tauchen.

Kreuz und quer, wie von Geisterhand, fliegen die Träger durch die 13 Meter hohen Werkshallen. Die Stahlteile sind mit Drähten in Reih und Glied an die Traversen gebunden – in diesem Fall sind es Gehäuse für große Ventilatoren. Der Kessel in Rottendorf ist im Vergleich zu den großen Verzinkereien im Ruhrgebiet eher klein, spezialisiert auf Geländer, Treppenwangen und Schmiedekunst – aber auch hochwertige Bauteile für Solar- und Windkraftanlagen werden in Unterfranken veredelt.

"Notfallplan Gas" des Bundeswirtschaftsministeriums

Insgesamt sind es rund zwei Millionen Tonnen Stahl, die laut den Angaben des Industrieverbands Feuerverzinken im Jahr von den 137 Betrieben in ganz Deutschland verzinkt werden. Der Verband blickt mit Sorge auf die Energieversorgung Deutschlands der nächsten Monate, denn es sei noch nicht klar, was im Fall eines Lieferstopps passiert. Feuerverzinkereien seien eine systemrelevante Industrie, die weiter arbeitsfähig bleiben müsse.

Bereits bevor Russland die Gaslieferungen Ende Juli massiv kürzte, rief das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die "Alarmstufe" des "Notfallplan Gas" aus. Sie ist die zweithöchste Stufe des Notfallplans. Laut der Einschätzung des BMWK sei der Markt derzeit noch in der Lage, den Gasmangel alleine zu bewältigen. Sollte sich die Lage Richtung Winter weiter zuspitzen, tritt die höchste Stufe, die "Notfallstufe" in Kraft.

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Welche Unternehmen werden im Notfall noch beliefert?

Dann müssten laut BMWK "nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden", um die Gasversorgung sicherzustellen – sprich, dann greift der Staat ein. So könnte die Bundesnetzagentur das Gas in Deutschland den einzelnen Branchen zuweisen. Private Haushalte, soziale Einrichtungen und Gaskraftwerke sollen dabei vorrangig beliefert werden.

Wie die Priorität bei allen anderen Unternehmen aussieht, ist noch unklar. Bis Oktober will die Bundesnetzagentur dazu erst die Ergebnisse einer Studie auswerten. Klar ist aber, die einzelnen Branchen und ihre Verbände haben sich längst in Stellung gebracht und schlagen Alarm. Die Verzinkereien hoffen, in der Priorisierung in die zweite Gruppe, nämlich der "Industrie mit besonderen Merkmalen", aufgenommen zu werden. Zu dieser Gruppe könnten jedoch auch etwa die Verwaltungen, Landesverteidigung und Lebensmittelerzeuger zählen.

Gas für Verzinkereien derzeit noch alternativlos

In einer Stellungnahme schreibt der Industrieverband Feuerverzinken, dass ein Umstieg auf andere Energieträger als Erdgas für die Betriebe kurzfristig nicht möglich sei: "Vereinzelt finden Umstellungen bereits statt, eine kurzfristige und vollständige Umrüstung kann es aber selbst bei bestem Willen nicht geben", so ein Verbandssprecher.

"Bisher gab es regelmäßige Abfragen, welche Leistung wir brauchen", sagt Werksleiterin Kolb – Abfragen, wo die Schmerzgrenze des Betriebs für den Notbetrieb liege. "Aber wir haben noch keinerlei Informationen, wie es weitergeht."

  • Lesen Sie hier: "Alternativen für Gas gesucht: Geothermie im Aufwind"

Bei Coatinc bleiben die Lichter teils aus

Laut eigenen Angaben liegt der Gasverbrauch der Coatinc Würzburg GmbH bei etwa 12.000 kWh pro Tag. Zum Vergleich: So viel benötigt ein 3- bis 4-Personen-Haushalt in Deutschland im Schnitt in einem ganzen Jahr.

In den kommenden Wochen will Kolb die Einsparversuche des Unternehmens auswerten: In den vollautomatisierten Bereichen des Werks bleiben die Lichter aus, der Verzinkungskessel wird nun passgenauer abgedeckt. Nennenswert Energie sparen lasse sich aber nicht, schätzt sie.

Unternehmen rechnet 2023 mit enormen Zusatzkosten für die Energie

Wenn es hart auf hart kommt, hofft Kolb auf eine Notversorgung, um zumindest den Totalschaden zu vermeiden. Die Mitarbeiter könnten dann das Zink in kleinere Kokillen abpumpen, damit diese sich nicht als ganzer Block verfestigen. Die kleineren Portionen ließen sich später leichter wieder verflüssigen, sobald die Energieversorgung gewährleistet ist.

Bisher lief der Betrieb an der Kapazitätsgrenze, musste sogar Aufträge an Schwesterwerke weitergeben. Nun plagt Kolb eine Sorge: Schon jetzt rechnet das Unternehmen mit Zusatzkosten von mehr als 600.000 Euro im kommenden Jahr – allein an dem Standort in Rottendorf wegen der gestiegenen Energiekosten.

Unklar ist, ob Kundinnen und Kunden – bei höheren Preisen pro Verzinkung – weiter Bauteile nach Rottendorf liefern lassen. Oder ob sie dann in ein Nachbarland wie die Niederlande ausweichen. Denn die sind vom russischen Gas relativ unabhängig.

Arbeitskräfte sind weiter Mangelware

Kolb schaut gerne bei Schichtführer Carlos Guerrero in den Werkshallen vorbei. Als Schichtführer beschäftigt ihn noch etwas ganz Anderes: "Heutzutage ist es extrem schwierig, neue Mitarbeiter zu finden", sagt er. Vor zehn Jahren sei das noch anders gewesen, heute müsse man schon froh sein, wenn man jemanden ohne Ausbildung finde, der den Job mache.

Gerade die Arbeit am Schmelzkessel ist nicht ungefährlich. Hohle Gegenstände können beim Eintauchen ins Zinkbad explodieren. Hierfür ist Expertise gefragt und ein geschulter Blick, ob das Material über genügend Lüftungslöcher verfügt, damit nichts passiert. "Selbst wenn ich genug Zink habe, genug Salzsäure habe, genug Gas habe", sagt Kolb, "dann brauche ich auch noch die Hände, die am Schluss die Arbeit ausführen."