Zwei osteuropäische LKW-Fahrer auf einem Rastplatz, März 2024.
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Zwei osteuropäische LKW-Fahrer auf einem Rastplatz, März 2024.

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Ausbeutung auf Europas Straßen: Lkw-Fahrer am Limit

Mangelnde Rastplätze, Zeitdruck, Ausbeutung – die Lage vieler Lkw-Fahrer ist schlecht. Vor allem osteuropäische Speditionen bezahlen noch nicht einmal den Mindestlohn oder behandeln ihre Fahrer sogar wie Sklaven. Kontrolle: Fehlanzeige.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Ein letzter Check ihres Lkw auf dem Hof einer Spedition am Tegernsee, dann geht es für Christina Scheib los. Noch ist es dunkel – wie so oft, wenn die Lkw-Fahrerin ihren Tag startet: "Um vier Uhr loszufahren, ist für mich beinahe ganz normal." Zwölf Stunden lang wird sie heute unterwegs sein, um das Pensum zu schaffen. Denn der Konkurrenzdruck um die Aufträge ist groß und wird von Dumpinglöhnen in der Logistik-Branche befeuert, wie Recherchen von Kontrovers – Die Story zeigen.

Seit zwölf Jahren ist die ehemalige Arzthelferin als Lkw-Fahrerin unterwegs, hat sich vor vier Jahren selbstständig gemacht. Doch Christina Scheib beobachtet schon lange eine Veränderung in der Branche: Für sie als Selbstständige sei die Arbeit inzwischen "definitiv ein Überlebenskampf".

Kontrovers – Die Story: "Ausbeutung auf Europas Straßen: LKW-Fahrer am Limit"

Arbeiten und Leben in der Fahrerkabine

Osteuropäische Speditionen sind auch auf deutschen Straßen die größte Konkurrenz, unterbieten oft die Preise – unter anderem, indem sie die Löhne der osteuropäischen und asiatischen Fernfahrer gering halten.

Mithilfe von Gewerkschaftsmitarbeitern des DGB-Projekts "Faire Mobilität" will das Reporter-Team auf einem Rastplatz herausfinden: Wie sind die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer und wie werden sie entlohnt? Oft seien sie monatelang am Stück unterwegs, berichten viele.

Ein rumänischer Fahrer erzählt, er werde – je nach Auftraggeber – pauschal, pro gefahrenem Tag bezahlt. 70 Euro seien das gerade am Tag, erzählt er: "Das liegt über dem Durchschnittsverdienst in Rumänien. Aber ich muss davon auch die ganzen Kosten, die ich auf der Fahrt habe, bezahlen." Um die so gering wie möglich zu halten, schläft, isst und lebt er in seiner Fahrerkabine auf wenigen Quadratmetern – monatelang.

Ausländische Lkw-Fahrer: Ausbeuterische Löhne und Bedingungen

Von ähnlichen Konditionen berichtet auch ein Ukrainer. Er fährt für einen polnischen Arbeitgeber. Seine Arbeit werde mit einem monatlichen Festgehalt vergütet: Zwischen 7.000 und 7.500 polnische Zloty erhalte er, weniger als 2.000 Euro. Und damit deutlich weniger, als ihm gesetzlich zustehen würde.

Dabei sieht das Gesetz klare Regelungen vor, erklärt Oskar Brabanski vom DGB-Projekt "Faire Mobilität": Wenn Lkw-Fahrer für deutsche Auftraggeber oder auf deutschen Autobahnen unterwegs sind, stehe ihnen für die geleistete Zeit der deutsche Mindestlohn zu, außerdem eine bezahlte Unterkunft für die Ruhezeiten. Wird das nicht eingehalten, können die Arbeitsbedingungen ausländische LKW-Fahrer in ein Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnis bringen.

Abhängigkeitsverhältnis osteuropäischer und asiatischer Fernfahrer

Für die Fernfahrer ist die Lage oft prekär, weiß Edwin Atema von der europaweit tätigen Stiftung "Road Transport Due Diligence" (RTDD). Besonders stark betrifft das laut Atema Lkw-Fahrer aus Asien.

Auf einem Rasthof kommen er und das Reporter-Team von Kontrovers – Die Story mit zwei Lkw-Fahrern aus Indien ins Gespräch. Mit einer Wasserflasche machen sie sich neben ihrem Lkw frisch. Geld für die teure Dusche auf dem Autohof haben sie nicht. Sie seien über eine Agentur aus Indien in die EU gekommen, gegen eine Vermittlungsgebühr von umgerechnet 4.000 Euro.

Jetzt haben sie einen Arbeitsvertrag bei einer Firma in Polen und fahren in der ganzen EU. Dafür erhalten sie nach eigenen Aussagen etwa 1.700 Euro Lohn im Monat. Auch bei ihnen sind weder Spesen noch die in Europa eigentlich rechtlich geregelten Mindestlöhne enthalten. Systematische Missstände wie diese sind ein offenes Geheimnis in der Logistikbranche, weiß Edwin Atema: "Diese Firmen sind Verbrecher", sagt er.

Mutmaßlicher Angriff auf Fernfahrer

Wie stark die Abhängigkeit der Fahrer ist und zu welchen brutalen Methoden Unternehmer teils greifen, zeigt ein Fall Mitte April. Auf einem schwäbischen Rastplatz soll ein Speditionschef seinen Angestellten angegriffen haben, nachdem der Lkw-Fahrer die Weiterfahrt wegen ausstehender Löhne verweigert haben soll.

Dabei sollte das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz solche Bedingungen verhindern: Alle Formen von Sklaverei oder Zwangsarbeit sind laut diesem Gesetz verboten. Ebenso sollte das Gesetz die Bezahlung regeln: Die Bezahlung von Mindestlöhnen ist zwingend vorgeschrieben, ungleiche Bezahlungen verboten.

Kriminelle Methoden: Ausbeutung von Fernfahrern

Dass in der Branche jedoch massiv gegen geltende Sozialvorschriften verstoßen wird, ist für den Sozialwissenschaftler Professor Stefan Sell klar. Denn die Abhängigkeit ausländischer Lkw-Fahrer begünstigt solche ausbeuterischen Methoden: Ihre Arbeitserlaubnis und Existenz sei an den Arbeitsvertrag der Speditionsunternehmen geknüpft.

"Würden sie dort entlassen werden oder ihren Job verlieren, dann verlieren sie auch ihre Aufenthaltsberechtigung hier im EU-Raum und das setzt natürlich die ausländischen Fahrer, die sowieso schon sprachlich und so weiter in einer schwierigen Situation sind, unter einen enormen Druck, nicht offen zu legen, mit welchen kriminellen Methoden sie hier unter Druck sind." Prof. Stefan Sell, Hochschule Remagen/Koblenz

Die Folge: Solange die Lkw-Fahrer nicht auf ihr Recht beharren – sofern sie es denn kennen – sei es schwer, gegen diese Missstände vorzugehen, weiß Anna Weirich, Bundeskoordinatorin der DGB-Gruppe "Faire Mobilität". Ihre Kritik: Bei Kontrollen werde kaum nach der Bezahlung gefragt oder die Einhaltung der Sozialvorschriften geprüft.

Forscher kritisiert Deutsche Kontrollstrukturen

Zuständig ist das Bundesamt für Ausfuhr und Wirtschaftskontrolle. Auf Nachfrage von Kontrovers – Die Story verweist die Behörde auf eine Pressemitteilung: Man wolle eine Handreichung für die Unternehmen erarbeiten, damit diese erkennen können, wo menschenwürdige Arbeitsbedingungen nicht eingehalten werden. Zu Kontrollen: Kein Wort.

In einer von Missstand und Ausbeutung unterlaufenen Branche auf Eigenverantwortung der Unternehmen zu setzen, findet Sell vollkommen unzureichend. Derzeit sei die Kontrollstruktur in Deutschland nicht zentralisiert, "sondern verteilt sich auf ganz unterschiedliche Institutionen, die letztendlich leerlaufen. Das heißt: Ihnen fehlt die notwendige Kontrolldichte und auch Kontrolleffektivität", kritisiert Sell im Interview mit Kontrovers – Die Story.

Lohndumping: Deutsche Unternehmen verdrängt, Gesetze ausgehebelt

Die Folgen von ausbeuterischen Abhängigkeitsverhältnissen und Lohndumping gefährden die Lkw-Fahrer. Und: Solche Verhältnisse drohen sich auszuweiten. Denn die Konkurrenzsituation der deutschen Spediteure sei inzwischen so groß, dass die im internationalen Wettbewerb kaum bestehen könnten, erklärt Frank Huster vom Bundesverband Logistik und Spedition. Inzwischen sei die Lage ist für die gesamte Branche kritisch:

"Es gibt eigentlich immer weniger deutsche Firmen, die bei internationalen Transporten bei transnationalen Transporten überhaupt noch zum Zuge kommen. Viele Unternehmen haben sich auf nationale Transporte zurückgezogen." Frank Huster, Bundesverband Logistik und Spedition

Auch Lkw-Fahrerin Christina Scheib ist diesen Weg gegangen. Fahrten ins Ausland übernimmt sie kaum noch: "Man muss immer wieder weitermachen und dann wird man sehen, ob man den Kampf gewinnt als Kleinunternehmen oder ob man verliert."

Dieser Artikel ist erstmals am 17. April 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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