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Identitätspolitik

RESPEKT Identitätspolitik

Stand: 20.09.2021

  • Identität ist das, was einen Menschen besonders macht, das, was ihn zu einer eigenständigen Persönlichkeit macht und von anderen unterscheidet. Aber auch das, was ihn mit anderen eigenständigen Persönlichkeiten verbindet.
  • Die besonderen Bedürfnisse einer Minderheit in den Blick zu nehmen und deren Interessen und Ansprüche durchzusetzen, nennt man Identitätspolitik. Dazu gehört etwa das Verwenden nicht-diskriminierender Sprache.
  • Es gibt linke und rechte Identitätspolitik. Die Gefahr ist in beiden Richtungen, dass Menschen ausgegrenzt werden.
  • Manche Menschen kritisieren das als übertriebene Political Correctness. Oder sogar als gefährlich für die Demokratie, weil es nicht um Gemeinsamkeiten geht, sondern immer um Unterschiede.
  • Gerade Betroffene sind jedoch der Meinung, dass Identitätspolitik absolut notwendig ist.

Mitspracherecht für Minderheiten

Identitätspolitik ist nicht neu – erstmals verwendet wurde der Begriff im Jahr 1977 vom Combahee River Collective, einem Zusammenschluss von schwarzen, lesbischen Frauen, die Diskriminierung gemeinsam als Gruppe bekämpfen wollten, weil ihre Erfahrungen als benachteiligte Frauen in der allgemeinen Politik nicht behandelt wurden. Identitätspolitik wird in der Regel für Menschen gemacht, die sich zum Beispiel wegen ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Abstammung oder ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt oder unterdrückt fühlen. Für Minderheiten, die sich in der Gesellschaft nicht repräsentiert fühlen und Einfluss und Mitsprache fordern.

Identitätspolitik - links und rechts

Eigentlich sind mit Identitätspolitik "gute Maßnahmen" gemeint, unter anderem Quoten für benachteiligte Bevölkerungsgruppen gemeint, eine gendergerechte Sprache oder Antidiskriminierungsmaßnahmen. Wegen dieser Themen wird Identitätspolitik vor allem mit politisch linken Positionen in Verbindung gebracht. Doch es gibt eine rechte Identitätspolitik. Die setzt sich nicht für Minderheiten und deren Rechte ein, sondern dafür, Menschen oder bestimmte Gruppen auszuschließen, indem sie die einen als die richtigen erklärt und die anderen zu Feindbildern macht. Das Paradoxe ist, wenn sich beides vermischt, wenn also linke Aktivist:innen nur darauf warten, Menschen auszugrenzen, die "Fehler" machen in Richtung Rassismus. Oder wenn diskriminierendes Verhalten akzeptiert wird, weil es von "eigentlich guten" Menschen praktiziert wird.

"Wenn wir die politischen Ansichten mit der Menschheit einer Person verbinden und sagen, diese Person kann doch nicht rassistisch sein, weil diese Person ist lieb, dann ist es ein Problem."

Emilia Roig, Politikerin, Autorin

Auch Antirassismus kann ausgrenzen

Die französische Frauenrechtlerin Caroline Fourest sagt: "Linke Identitätspolitik gefährdet gerade die Demokratie." Sie ist Journalistin und arbeitet für das Pariser Satire-Magazin "Charlie Hebdo", das 2015 Ziel eines terroristischen Attentats war. Sie kritisiert in ihrem neuen Buch jedoch die Radikalität, mit der mitunter linke Identitätspolitik gemacht wird. Denn natürlich sei das erst mal gut gemeint, so Fourest: "Die glauben, sie tun da was Gutes. Aber man muss akzeptieren, dass sich manche Menschen eben schwer tun mit Veränderungen. Oder dass sich andere zwar auch Gleichberechtigung wünschen, aber vielleicht auf eine andere Art." Es gebe nun mal unterschiedliche Ansichten innerhalb des Antirassismus oder des Feminismus, wie diese Gleichberechtigung erreicht werden könne. Und eine Diskussion darüber zu führen sei gesund. Denn:

"Man kann keine Welt einfordern, in der nichts und niemand einen verletzt oder beleidigt."

Caroline Fourest, Journalistin

"Weiße, männliche Dominanzgesellschaft"

Der Kampf gegen Diskriminierung und das Eintreten für soziale Gerechtigkeit wurde etwa durch die "Black Lives Matter"-Bewegung wieder verstärkt: Immer mehr diverse Menschen wollen mitsprechen und mitdiskutieren. Und sie wehren sich dagegen, dass allein die alte, weiße, männliche und heterosexuelle Dominanzgesellschaft definiert, was "man noch sagen darf". Zum Beispiel, dass es doch"nicht so tragisch" sei, wenn das N-Wort fällt oder dass ein Augsburger Hotel "Mohrenhotel" hieß. Janet Habtemariam hat erfolgreich dafür gekämpft, dass dieses Hotel nun "Maximilians" heißt. Sie versteht nicht, warum der Sinn dieser Aktion manchen Menschen nicht vermittelbar ist.

"Rassismus ist für mich einfach nur ignorant und widerlich. Und wenn man denkt, es gehört zu seiner eigenen Meinungsfreiheit, dann kann ich den Menschen auch nicht weiterhelfen."

Janet Habtemariam vom Open Afro Aux, Augsburg

Political Correctness: lästig oder wichtig?

  • Laut einer Studie in Deutschland von 2019 finden 63 Prozent der Befragten ab 16 Jahren, dass es viele ungeschriebene Gesetze gibt, welche Meinungen akzeptabel und zulässig sind und welche eher tabu.
  • 41 Prozent sind der Meinung, dass es heute mit der politischen Korrektheit übertrieben wird.
  • 48 Prozent haben den Eindruck, dass heute viel mehr darauf geachtet wird, wie man sich in der Öffentlichkeit verhält und was man sagt.
  • 30 Prozent stimmen folgender Aussage zu: Mir ist es wichtig, dass ich nichts sage, was bestimmte Gruppen beleidigen könnte.

Zahlen und Fakten: Quellen

Studie "Grenzen der Freiheit"
Institut für Demoskopie Allensbach, 2019 (pdf, S. 22 und Tabelle A 4, S. 18)
Meinungsfreiheit
bpb: Hintergrundinfos "Meinungsfreiheit"
"Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948
Vereinte Nationen (pdf)
"Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte" ("UN-Zivilpakt") von 1966
bpb: "Meinungsfreiheit"
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
UN-Zivilpakt
UN-Zivilpakt: Meinungsfreiheit
"Grundgesetz" von 1949
bpb: "Meinungsfreiheit"

Woher weiß ich, was politisch korrekt ist?

In den letzten Jahren hat sich identitätspolitisch viel getan, oft ist es schwer, hinterherzukommen. Aber: Ist es denn schlimm, wenn ich jetzt einen falschen Begriff verwende - oder jemand anderes? Wie gehe ich damit um? Janet Habtemariam fordert Sensibilität. Sie sagt, auch wenn es nicht böse gemeint ist, so ist es für sie nicht okay, wenn jemandem das N-Wort "rausrutscht". Dass es jemandem zu anstrengend ist, auf respektvolle Sprache zu achten, lässt sie nicht gelten. "Too much, das können WIR sagen!" Und nicht diejenigen, die von Political Correctness verschont bleiben wollen.

Julian Wenzel, (weißer) Podcaster und Autor, ist hier großzügiger. Er meint, dass man auch gegenüber Menschen, die nicht so gut Bescheid wissen, tolerant sein sollte. Und dass es wichtig ist, nicht noch mehr Spaltung in die Gesellschaft zu bringen, vor allem auch in den Medien.

"Ich finde, da haben wir Medienschaffenden echt eine Verantwortung, dass wir nicht alles nur immer in zwei Kategorien denken, und zwar in die maximalen Gegensätze und dann auch Leute einladen, die nur auf der einen Seite stehen und nur auf der anderen und dann irgendwie aufeinander losgelassen werden."

Julian Wenzel, Podcaster und Buchautor

Autorin: Monika von Aufschnaiter

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