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Tabuthema Hodenkrebs Krankheit betrifft vor allem junge Männer

Tabuthema Hodenkrebs: Die Diagnose trifft vor allem junge Männer zwischen 20 und 40. Was viele nicht wissen: Früh erkannt und behandelt werden weit über 90 Prozent der Patienten geheilt. Hodenkrebs ist oft leicht zu ertasten. Entscheidend ist, nicht abzuwarten, sondern schnell zum Arzt zu gehen. Je früher die Therapie beginnt, desto besser.

Von: Bernd Thomas

Stand: 17.09.2023

In der Bundesliga sorgte das Thema Hodenkrebs letztes Jahr für Schlagzeilen. Gleich vier Fußballprofis - Timo Baumgartl, Marco Richter, Jean Paul Boetius und Sebastien Haller - hatten die Diagnose Hodenkrebs bekommen und mussten sich für mehrere Wochen oder Monate einer Therapie unterziehen. Dass gleich vier Fußballprofis erkrankten, ist nach Einschätzung von Experten aber eher Zufall und hängt nicht mit dem Sport, sondern mit dem Alter der Fußballer zusammen. Denn was viele nicht wissen: Hodenkrebs ist bei jungen Männern nichts Ungewöhnliches.

Auftreten können Tumore sogar schon ab dem 15. Lebensjahr. Bei den 20- bis 40-Jährigen ist der so genannte Keimzelltumor die häufigste bösartige Krebserkrankung. Die Zahl der Patienten hat in den Industrieländern, besonders in Europa und Skandinavien in den letzten Jahren zugenommen, die Ursachen dafür sind noch nicht geklärt. Durchschnittlich 10 von 100.000 Männern erkranken in Deutschland daran, rund 4.000 pro Jahr. Auch Cristian Iancu, 34, bekam Hodenkrebs. Damals war er gerade Anfang 20. Er findet es wichtig, dass endlich auch in der Öffentlichkeit mehr über Hodenkrebs gesprochen wird.

"Ich finde super, dass der Hodenkrebs jetzt aus der Tabuecke rauskommt und bekannt wird. Das kann viele Leben retten."

Cristian Iancu, Patient

Tabuthema Hodenkrebs: Aufklärung rettet Leben

Die Erkrankung verläuft tödlich, wenn nicht schnell und konsequent behandelt wird. Unterschieden werden zwei Tumorarten: Nichtseminome und Seminome. Die treten vor allem bei jungen Männern auf, sind besonders aggressiv und schnellwachsend. Genau das ist aber paradoxerweise auch ein Vorteil für die Therapie und die guten Heilungschancen.

"Grundsätzlich gilt für die Therapie, je früher und schneller, desto besser. Gerade weil Hodentumore junger Männer so schnellwachsend und aggressiv sind, können wird sie auch besonders effektiv behandeln. Der Tumor läuft so zusagen blind ins gezogene Messer der Therapie. Wird Hodenkrebs früh erkannt, lässt er sich – das ist die gute Nachricht – sehr gut behandeln. Die Heilungschancen liegen insgesamt bei rund 95 Prozent."

Dr.med. Robert Tauber, Urologe, Urologische Onkologie, Klinikum r. d. Isar, TU München

Doch trotz prominenter Patienten: Gesellschaftlich ist Hodenkrebs immer noch ein Tabuthema. Früher wurden viele Erkrankungen im Zuge der Musterung der allgemeinen Wehrpflicht entdeckt. Bundeswehrkrankenhäuser verfügen deshalb bei der Behandlung von Hodenkrebs über besonders viel Expertise und Erfahrung. Bei heutigen Sportuntersuchungen dagegen fallen die Tumore nicht auf, es wird nicht gezielt danach geschaut, andere Probleme stehen im Vordergrund. Das hat mitunter fatale Folgen, denn viele Patienten warten ab, anstatt schnell zum Arzt zu gehen.

"Regelmäßige Aufklärung oder Kampagnen zum Hodenkrebs, ähnlich wie beim Brustkrebs bei Frauen, gibt es keine. Sie wären aber dringend nötig. Die erste Aufklärung gehört schon in die Schule. Junge Männer können Hodentumore leicht selbst ertasten, wenn sie wissen wie und sich regelmäßig selbst untersuchen. Viele haben aber aus Scham Angst davor, zum Arzt zu gehen."

Dr.med. Robert Tauber, Urologe, Urologische Onkologie, Klinikum r. d. Isar, TU München

Hodenkrebs erkennen: tastende Selbstuntersuchung

Hodentumore lassen sich schon sehr früh als Verhärtung im Hoden ertasten. Besonders heimtückisch: Die Tumore verursachen keine Schmerzen, wachsen aber rasch, manchmal in wenigen Tagen bis Wochen.

"Das Wachstum ist wirklich dramatisch, manchmal stellen sich junge Männer bei uns vor, wo man sich wundert, dass die nicht zum Arzt gegangen sind. Aber das passiert, weil es eben so tabuisiert ist."

Dr.med. Robert Tauber, Urologe, Urologische Onkologie, Klinikum r. d. Isar, TU München

Beim Duschen bemerkte Cristian Iancu erste Anzeichen, dass etwas nicht stimmte. Er zögerte nicht und ging zum Arzt. Die Diagnose war schnell klar und wenige Tage später wurde er schon operiert.

"Du merkst halt, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Es tut ja nicht weh, es brennt nicht, du hast ja normale Funktionen, nur dass da irgendwas am Hoden ist, was da nicht hingehört. Und als es nicht wegging, war mir das unheimlich. Ich bin dann schnell zum Arzt gegangen. Das war mein Glück. Ich hätte nie mit der Diagnose Hodenkrebs gerechnet, ich wusste davon ja gar nichts."

Cristian Iancu, Patient

Oft werden Tumore auch zufällig entdeckt, wie bei Christian Quecke. Er war schon Anfang dreißig, als der Tumor im Zuge einer Kinderwunschberatung entdeckt wurde. Nachdem es mit dem Nachwuchs bei ihm und seiner Frau nicht klappen wollte, ließ sich seine Frau untersuchen. Doch bei ihr war alles in Ordnung. Deshalb ging schließlich er zum Urologen, sein Glück! 

"Die Untersuchung war dann relativ kurz, weil der Urologe sagte: Das Thema Kinderwunsch können wir hintenanstellen. Ich sehe auf meinem Gerät eine Struktur im Hoden rechts, die da definitiv nicht hingehört. Und dann ging alles schnell. Ich wurde kurze Zeit später schon operiert."

Christian Quecke, Patient

Hodenkrebs: Ursachen und Risikofaktoren

Was Hodenkrebs genau auslöst, ist bis heute unbekannt. Sport selbst ist kein Risikofaktor, verhindert die Erkrankung aber auch nicht. Die bekanntesten Risikofaktoren sind eine familiäre Häufung und ein so genannter Hodenhochstand in der frühen Kindheit. Außerdem haben Männer, die bereits eine Hodenkrebserkrankung hinter sich haben, ein etwas höheres Risiko, nochmals zu erkranken, als andere.  

Auch bei Christian Quecke kam die Krankheit nach wenigen Monaten zurück. Seine Tumormarker im Blut waren erhöht. Und tatsächlich wurden Metastasen entdeckt. Sofort bekam er eine Chemotherapie. Damals wurde ihm schlagartig bewusst, wie gefährlich die Situation war.

"Mir hat mein Arzt gesagt, wenn ich nur drei Wochen später gekommen wäre, hätte er nichts mehr für mich tun können. Das zieht einem dann schon den Boden unter den Füßen weg. Aber ich habe auf die Kunst der Ärzte vertraut und mir gesagt, jetzt trägst auch Du Deinen Teil dazu bei. Ich wusste einfach, ich werde wieder gesund. Das war so eine Bauchgefühl."

Christian Quecke, Patient

Obwohl die Erkrankung inzwischen zwölf Jahre zurückliegt, lässt Christian Quecke, wie die meisten Patienten, mehrmals im Jahr seine Tumormarker im Blut bestimmen und geht regelmäßig mindestens einmal im Jahr zur Vorsorgeuntersuchung.

"Herr Quecke wird zeitlebens ein höheres Risiko für Hodentumoren im Einzelhoden haben als Patienten ohne Hodentumor. Es ist aber zu erwarten, dass wenn überhaupt etwas kommt, es in einem sehr, sehr frühen Stadium entdeckt werden wird, weil Herr Quecke einfach sehr dahinter ist und sich regelmäßig untersuchen lässt. Und selbst wenn etwas entdeckt wird, werden die Heilungschancen immer noch hervorragend sein, im Bereich von über 95 Prozent."

Dr. med. Michael Chaloupka, Urologe, Urologische Klinik und Poliklinik, LMU Klinikum München

Hodenkrebs: Sehr gute Heilungschancen durch OP, Chemos und Bestrahlung

Hodenkrebs gehört zu den Krebserkrankungen mit den höchsten Überlebenswahrscheinlichkeiten. Wird er, wie bei 70 bis 80 Prozent der Patienten erkannt, bevor sich Metastasen bilden, sind die Heilungschancen besonders gut, bei über 95 Prozent. Bei den meisten Patienten ist nur ein Hoden betroffen. Grundsätzlich geht es darum, schnell und konsequent zu handeln, auch wenn die Krankheit zurückkommt.

Erster Therapieschritt

Die OP findet schon wenige Tagen nach der mutmaßlichen Diagnose statt Dabei werden Proben entnommen und untersucht, noch während der Patient im OP liegt. Handelt es sich um einen Tumor, wird der betroffene Hoden entfernt. Passiert das, bevor der Tumor in Gefäße eindringen und Metastasen bilden konnte, ist die Erkrankung damit für die meisten Patienten vorüber. Manche Patienten bekommen nach der OP vorsorglich eine Chemotherapie, um die Gefahr eines Rückfalls zu minimieren. Eine Chemotherapie ist auf jeden Fall dann nötig, wenn der lokal begrenzte Tumor bereits in Blut- oder Lymphgefäße eingedrungen ist.

Die Gefahr eines Rezidivs ist in den ersten Jahren nach dem Eingriff am größten

Operation bei Hodenkrebs.

Deshalb gibt es regelmäßige, engmaschige Kontrollen, um mögliche Metastasen frühzeitig zu erkennen. Die Lebensqualität nach der OP bleibt nahezu unverändert erhalten. Bei rund einem Viertel der Patienten wird der Tumor erst entdeckt, wenn sich schon Lymphknoten-Metastasen im hinteren Bauchraum gebildet haben. Bei manchen Patienten kehrt der Krebs auch nach Jahren wieder zurück. Wird schnell und konsequent therapiert, stehen die Chancen auf Heilung aber immer noch sehr gut, auch wenn der Aufwand erheblich größer ist. Statt einem braucht es drei bis vier Zyklen an Chemotherapie, die stationär durchgeführt werden. Hinzu kommt eine anschließende Operation, um die befallenen Lymphknoten zu entfernen. Die Patienten müssen ihr gewohntes Leben für mehrere Wochen, manchmal auch Monate unterbrechen. Beruflich und psychisch ist das für alle, Patienten und deren oft junge Familien eine große Belastung.

Große Überlebenschance bei Behandlung

Bei jedem zehnten Patienten mit Hodenkrebs haben sich bereits Metastasen in anderen Organen, wie Lunge, Leber oder Knochen gebildet. Aber selbst nach dieser schweren Diagnose überleben rund die Hälfte der Patienten ihre Krebserkrankung, wenn nach der Chemotherapie verbliebene Krankheitsherde in allen Organen konsequent operativ oder durch Bestrahlungen entfernt werden.  

Leben mit dem Risiko: Wenn der Krebs zurückkehrt

Nicht nur bei Christian Quecke, auch bei Cristian Iancu kehrte der Krebs zurück, bei ihm sogar ein zweites Mal, als er schon Vater war. Die wiederholte Erkrankung belastete ihn besonders stark.

"Das war dann plötzlich eine ganz andere Situation: Ich saß da und zitterte am ganzen Körper, als ich es erfuhr. Schließlich war ich ja schon sieben Jahre gesund gewesen und hatte gedacht, alles ist vorbei. Und die Chemotherapie, die dann kam, war auch eine besonders harte Zeit."

Cristian Inacu, Betroffener

Aber selbst Patienten wie er, bei denen der Krebs nach Jahren wieder zurückkehrt, haben gute Chancen auf Heilung. Er bekam eine spezielle, hochdosierte Chemotherapie. Die wirkte so stark, dass dabei nicht nur die Tumor- sondern auch die blutbildenden Zellen im Knochenmark zerstört wurden. Deshalb wurden ihm danach eigene, zuvor gewonnene Knochenmarkszellen transplantiert. 

"Wir bezeichnen die Therapie als Rezidiv-Chemo. Sie ist für den Patienten deutlich belastender, weil der ja vorher schon mal drei oder vier Zyklen Chemo hatte. Aber auch in fortgeschrittenen Stadien heilen wir den allergrößten Teil der Patienten. Auch er hat gute Chancen, dass er den Hodenkrebs jetzt endgültig überwunden hat. Da es sich außerdem bei diesen Patienten um junge und ansonsten gesunde Männer handelt, verkraften die auch so belastende und einschneidende Therapien wie eine solche hochdosierte Chemo und die darauffolgende Operation meist gut."

Prof. Dr. med. Marcus Hentrich, Hämatologe und Onkologe, Rotkreuzklinikum München

Leben nach der Therapie: Kinderwunsch und mögliche Einschränkungen

Die meisten Patienten können bereits nach der Operation ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen. Ihr Testosteronspiegel sinkt normalerweise nicht ab. Wenn die körpereigene Testosteronproduktion beeinträchtigt sein sollte, kann das Hormon problemlos mit einer unkomplizierten Therapie ergänzt werden. Nach einer Genesung ist auch äußerlich von der Erkrankung oft nichts mehr zu sehen. Wenn doch, gibt es die Möglichkeit, eine Hodenprothese einzusetzen.
Obwohl die Zeugungsfähigkeit der Patienten nach der OP normalerweise erhalten bleibt, wird heute schon bei der Diagnose Hodenkrebs zu einer Kryokonservierung der Spermien geraten. Denn die ist im Falle eines Rezidivs und einer dann notwendigen Chemotherapie sinnvoll, um einen späteren Kinderwunsch erfüllen zu können. Die Lebensqualität bleibt weitgehend auch nach einer hochdosierten Rezidiv-Chemotherapie, bis auf einige Nebenwirkungen, die bleiben können, erhalten.   

Hodenkrebs: klare Therapievorgaben und Zweitmeinungsportal

Computertomographie der Hoden.

Wann welcher Therapieschritt erfolgen muss, ist bei Hodenkrebs klar vorgegeben. Außerdem haben Patienten mit Hodenkrebs das Recht auf eine Zweitmeinung und darauf, dass ihr konkreter Fall in einem interdisziplinären Tumorboard vorgestellt und diskutiert wird, meint Dr. Robert Tauber vom Klinikum rechts der Isar. Falls niedergelassene Ärzte Zweifel haben, gibt es die Möglichkeit unter dem Portal Zweitmeinung Hodentumor, die eingeschlagene Therapie von Expertinnen und Experten großer Zentren überprüfen zu lassen. Eine Rückmeldung bekommen die Ärzte dann innerhalb von 48 Stunden. Der Appell von Cristian Iancu und Christian Quecke an alle jungen Männern ist einfach und klar: Tastet euch regelmäßig mindestens einmal im Monat selbst ab. Und falls etwas nicht stimmt, geht schnell zum Arzt!

Auch wenn das für viele erst einmal ungewohnt scheint, die Selbstuntersuchung wird ausdrücklich auch in den Leitlinien bei Hodenkrebs empfohlen. Und noch ein Rat von Urologe Michael Chaloupka:

"Wenn ein Verdacht auf Hodenkrebs besteht, am besten gleich zum Urologen in ein Zentrum gehen, zum Beispiel das einer Uniklinik. Denn spätestens dann, wenn eine Operation ansteht, ist das Sache für ausgewiesene Spezialisten."

Dr. med. Michael Chaloupka, Urologe, Urologische Klinik und Poliklinik, LMU Klinikum München

 Weiterführende Links:

Rotkreuzklinikum München


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