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Rheumatische Erkrankungen Helfen Sport und Ernährung gegen Rheuma?

Ob rheumatoide Arthritis oder Morbus Bechterew: Sport und die richtige Ernährung können einen großen Einfluss auf rheumatische Erkrankungen haben. Doch wie genau funktioniert eine anti-entzündliche Ernährung? Und welche Sportarten helfen bei welchem Leiden?

Von: Monika Hippold

Stand: 19.02.2024

Vor zwei Jahren erlebt Karin Polland einen heftigen Rheuma-Schub: Ihre Handgelenke und Sprunggelenke schmerzen, sie bekommt wochenlang Fieber.

"Ich hatte heftige Schmerzen und starke Bewegungseinschränkungen an den Händen und Füßen. Ich konnte nichts mehr greifen und Treppen nur noch seitlich runterlaufen, weil ich die Sprunggelenke nicht mehr abbiegen konnte. Dazu war ich sehr müde und schlapp."

Karin Polland

Polyarthritis: genaue Ursachen unklar

Ihre Diagnose: chronische Polyarthritis. Bei der rheumatoiden Arthritis treten in mehreren Gelenken Entzündungen auf. In Deutschland kommt diese Erkrankung bei etwa einem von 100 Menschen vor. Frauen trifft es dreimal häufiger als Männer. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt - weiß Internistin Dr. Harriet Morf vom Uniklinikum Erlangen.

"Was man weiß, ist, dass es erbliche Komponenten gibt und dass auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Bestimmte Faktoren können also eine Polyarthritis auslösen oder triggern. Wie zum Beispiel Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, aber auch Verletzungen, Stress, Impfungen und Infektionen."

  Dr. med. Harriet Morf, Internistin, Uniklinikum Erlangen

Was also tun gegen die Autoimmunkrankheit?

Karin Polland bekommt vor zwei Jahren gegen die akuten Schmerzen Cortison verschrieben. Und sie ändert ihren Lebensstil: Sie achtet mehr auf ihre Ernährung, vermeidet Stress, bewegt sich viel.

"Ich vermeide längeres statisches Sitzen auf einem normalen Stuhl und versuche auch viel im Stehen zu arbeiten. In meine Mittagspause und in meinen Alltag baue ich bewusst Bewegung ein. Im Laufe der Erkrankung der letzten zwei Jahre habe ich bemerkt, dass ich mich täglich lange Zeit bewegen muss, weil ich wirklich merke, dass die Schmerzen nachlassen können durch die Bewegung."

Karin Polland

Morbus Bechterew: starke Rückenschmerzen

Mit Sport und Ernährung gegen Rheuma ankämpfen – funktioniert das? Was können Patienten selbst tun, um ihre Schmerzen zu lindern? Was sagen Studien?

Martin Stangl hat Morbus Bechterew – eine besondere Form des entzündlichen Rheumas. Die Symptome: meist starke Rückenschmerzen, ausgelöst durch Entzündungen, die bis hin zu einer Versteifung der Wirbelsäule führen können. In Deutschland leiden darunter etwa 350.000 Menschen, dreimal mehr Männer als Frauen.

"Im Moment spüre ich die Schmerzen im Iliosakralgelenk-Bereich, im Bereich der Lendenwirbel. Das zieht rechts der Wirbelsäule nach oben bis in den Nackenbereich - und auch über die Hüfte, übers Knie bis in den rechten Fuß.Morgens ist es schlimmer. Das schränkt mich insoweit ein, dass ich oft dann eine ziemlich kurze Zündschnur habe, weil ich ständig Schmerzen habe. Also ich bin immer angespannt."

Martin Stangl

Studie: mit Yoga gegen Morbus Bechterew

Am Uniklinikum Erlangen nimmt er deswegen an einer Studie teil: Sportwissenschaftlerin Dr. Anna-Maria Liphardt und Dr. Harriet Morf untersuchen, inwieweit Bewegung und Yoga Menschen mit Morbus Bechterew hilft. Können sie mit den sanften Übungen die Beweglichkeit ihrer Wirbelsäule verbessern und die Schmerzen reduzieren?

"Bewegung ist bei Morbus Bechterew die erste Therapieoption, das steht auch in den Leitlinien drin. Bewegung ist gut dafür, dass die körperliche Funktion und Beweglichkeit erhalten bleibt. Sie kann Schmerzen reduzieren, die Krankheitsaktivität kann runtergehen. Und die Lebensqualität kann sich verbessern."

Dr. med. Harriet Morf, Internistin, Uniklinikum Erlangen

Bei der Yogastudie haben die Forscherinnen objektive Messungen durchgeführt und gesehen: Die Beweglichkeit verbessert sich bei den Probandinnen und Probanden signifikant. Die Schmerzen sinken bei einem Teil der Patienten. Ihre Bewegungskompetenz steigt, die Bewegungsangst sinkt. Die Patienten fühlen sich besser und berichten von einer gesteigerten Lebensqualität. Die genaue Auswertung der Studie läuft im Moment noch.

Bewegung reduziert Entzündungsfaktoren

Bewegung wird bei allen Rheuma-Erkrankungen empfohlen. Denn: Sie kann die Entzündungen verringern. 

"Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass bestimmte Entzündungsfaktoren bei Bewegung reduziert werden. Zum Beispiel das allgemeine Entzündungs-Enzym CRP reduziert sich. Aber auch spezielle Entzündungsmarker gehen runter - wie Zytokine, die beim Rheuma eine Rolle spielen. Und es gibt bestimmte Immunzellen, die aktiviert werden, die protektiv gegen eine Entzündung wirken. Das wären zum Beispiel regulativen T-Zellen, die entzündungshemmend wirken oder Interleukin-6."

Dr. med. Harriet Morf, Internistin, Uniklinikum Erlangen

Durch Bewegung können auch Rheuma-Schübe weniger werden und schneller vorbeigehen. Bewegung hat außerdem positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System und der Stoffwechsel wird aktiver. Das kann zur Gewichtsabnahme führen, zu niedrigeren Cholesterinwerten, zu einem niedrigeren Blutdruck. All das wirkt sich auch auf die rheumatischen Erkrankungen aus.

"Es ist noch nicht ganz klar, wie Entzündungsmarker durch Bewegung reduziert werden. Aber in einigen Studien hat man gesehen: Wenn Patienten Bewegungstherapien erhalten haben, bei denen viel Sauerstoff aufgenommen wurde, sind die Entzündungsmarker besonders runtergegangen. Also gibt es da wahrscheinlich einen Zusammenhang."

Dr. med. Harriet Morf, Internistin, Uniklinikum Erlangen

150 Minuten Bewegung pro Woche

Viele Patienten leiden im Laufe der Erkrankung auch an Muskelabbau. Dies kann vermehrt zu Stürzen führen. Kraft-Training wirkt dem entgegen - Bewegung dient somit auch der Sturzprophylaxe und stärkt die Knochendichte. Die WHO rät zu 150 Minuten Bewegung pro Woche. Das heißt: an fünf Tagen 30 Minuten Bewegung.

"Wenn wir uns nicht bewegen - und das gilt für die Patienten genauso wie für jeden gesunden Menschen - dann baut sich alles ab: Muskulatur, Knochen, Knorpel, Sehnen und Bänder. Der Abbau von allen Geweben im Bewegungsapparat setzt direkt nach ein bis zwei Tagen ohne Bewegung ein."

PD Dr. Dr. Anna-Maria Liphardt, Sportwissenschaftlerin, Uniklinikum Erlangen

Martin Stangl geht es mit regelmäßigem Yoga besser.

"Die Dehnung tut mir sehr gut, das Halten der Stellungen beim Yoga tut mir sehr gut. Und die Schmerzen gehen dabei fast weg. Ab und zu brauche ich noch Medikamente, aber viel weniger als vorher. Die Studie hat mich angespornt, mehr Sport zu machen und besser auf meine Ernährung zu achten. Ich fühle mich auf jeden Fall fitter als vorher."

Martin Stangl

Vorsicht bei Hüpfen und starken Stößen

Ob Yoga, Gymnastik, Radfahren, oder Schwimmen – die Sportart hängt von den Vorlieben der Rheuma-Patienten ab. Vorsichtig sein sollten sie nur bei Hüpfen, starken Stößen und Bewegungen, die besonders auf die Gelenke gehen – wie zum Beispiel Joggen oder Kampfsport.

"Patienten, die gerade im Schub sind oder Funktionseinschränkungen haben, sollten darauf achten, dass sie moderate Bewegungen ausführen – angepasst an ihre individuellen Bedürfnisse. Denn wenn man sich überanstrengt oder bei einem Schub zu viel macht, kann das zu metabolischem Stress führen. Anstatt die Entzündung zu hemmen, triggert der Körper dann eher die Entzündung."

Dr. med. Harriet Morf, Internistin, Uniklinikum Erlangen

Ihre Empfehlung: Den Sport am besten individuell mit der Ärztin oder dem Arzt absprechen. Bewegung in den Alltag einbauen. Also Treppen steigen statt Aufzug fahren, öfter mal zu Fuß gehen, Radeln statt Autofahren. Und: Regelmäßig moderat Sport treiben, anstatt sich ab und zu körperlich zu verausgaben.

Ernährung: mediterrane Kost empfohlen

Tägliche Bewegung ist auch für Karin Polland mittlerweile selbstverständlich. Und: Sie hat ihre Ernährung umgestellt.

"Wenn ich viel tierisches Fleisch esse, dann kann es schon sein, dass es mir an den Händen wieder mehr wehtut. Schweinefleisch haben wir deshalb jetzt ganz verbannt aus unserer Küche."

Karin Polland

Mediterrane Kost: Inhaltsstoffe

Empfohlen wird Rheuma-Patienten die mediterrane Kost – mit pflanzlichen Ölen, Hülsenfrüchten und Fisch. Diese Produkte enthalten teilweise Omega-3-Fettsäuren, die entzündungshemmend wirken. Außerdem steckt in Fisch auch Selen und in Hülsenfrüchten Zink, die gut sind für das Immunsystem. In Kichererbsen sind Vitamin B6 und B12 enthalten. Vitamin E und Vitamin C findet sich oft in Gemüse und Ölen. 

Zusätzlich können Superfoods wie Beeren, Ingwer, Kurkuma, Zwiebel und Knoblauch zur Ernährung zugefügt werden. Nüsse sind ein gesunder Zwischensnack. Grundsätzlich empfehlen Ernährungsmediziner eine calciumreiche Ernährung und zweimal die Woche Fisch oder eine Substitution mit Fischölkapseln. Als zusätzlich Substitution gegen Knochenabbau sollte Vitamin D eingenommen werden. 

Anti-entzündliche Lebensmittel

Gut für Rheuma-Patienten ist eine ballaststoffreiche, mediterrane und entzündungshemmende Ernährung. Wie die genau aussieht, erfährt Karin Polland in einem Kochkurs bei Ernährungsberaterin Anne Goldhammer-Michl. Wichtig sind Lebensmittel mit Vitaminen, Omega-3-Fettsäuren, Zink, Selen, Calcium und vor allem Ballaststoffen.

"Zu den anti-entzündlichen Lebensmitteln gehört auf alle Fälle buntes Gemüse, weil darin viele Vitamine und Antioxidanzien enthalten sind.  Am besten drei Portionen davon am Tag essen. Obst wie zum Beispiel Beeren sind gut. Viele Gewürze wirken anti-entzündlich. Genau wie Omega-drei-Fettsäure, die in Leinöl, Leinsamen oder Fisch enthalten ist."

Anne Goldhammer-Michl, Ernährungsberaterin, Köchin, München

Schweinefleisch und Kohlenhydrate meiden

Verzichten sollten Rheuma-Patienten hingegen auf Kohlenhydrate wie Zucker und Weißmehl, auf Schweinefleisch, verarbeitete Lebensmittel und Omega-6-haltige Öle.

"Zusatzstoffe in Lebensmitteln sind oft entzündungsfördernd. Schweinefleisch enthält viel Arachidonsäure. Das ist eine Omega-sechs-Fettsäure, die wir zwar brauchen, aber wir haben in der Regel zu viel davon. Und auch bei verarbeiteten Wurstwaren muss man aufpassen."

Anne Goldhammer-Michl, Ernährungsberaterin, Köchin, München

Anne Goldhammer-Michl zeigt einfache Rezepte, die sich gut im Alltag umsetzen lassen. Heute gibt es einen Orangen-Radicchio-Salat, Zucchini-Ravioli und eine schokoladige Avocado-Creme mit Beeren.

"Wirklich toll, diese Kombination zwischen den einzelnen Produkten. Der Radicchio mit den Orangen, das Bittere mit dem Süßen, schmeckt sehr lecker. Das wird bei uns jetzt öfter auf den Tisch kommen."

Karin Polland

Ballststoffe fördern anti-entzündliche Mechanismen im Körper

Doch wie genau wirkt die anti-entzündliche Ernährung im Körper?  Dazu forscht Biologe Prof. Mario Zaiss.

"Ballaststoffreiche Ernährung fördert antientzündliche Mechanismen im Körper durch die Abbauprodukte der Ballaststoffe. Denn Ballaststoffe werden im Darm durch die Bakterien abgebaut, fermentiert - und dadurch entstehen sekundäre Metaboliten, sogenannte kurzkettige Fettsäuren. Und diese Fettsäuren haben antientzündliche Wirkung. Es gibt drei verschiedene, jede hat eine andere antientzündliche Wirkung. Zum Beispiel haben wir herausgefunden, dass Butyrat, also eine kurzkettige Fettsäure, die Darmbarriere fördert, indem es die Verschluss-Mechanismen der einzelnen Zellen stärkt. Das heißt, der Darm ist weniger durchlässig. Es können weniger ungewollt schädliche Stoffe durchdringen."

Prof. Dr. Dr. Mario Zaiss, Biologe, Uniklinikum Erlangen

Der Hintergrund: Im Darm befinden sich Billionen von Bakterien. Wenn sie – zum Beispiel durch die falsche Ernährung - nicht gut zusammengesetzt sind, können sie die Darmwand schädigen. Die Darmbarriere wird durchlässig - Darm-Bakterien passieren sie. Dadurch werden Immunzellen aktiv, bekämpfen die Eindringlinge, wandern in die Gelenke und verursachen dort Entzündungen - Rheuma.

"Durch ausgewogene Ernährung, speziell ballaststoffreiche Ernährung, können wir - und das konnten wir am Tiermodell zeigen - den Ausbruch der rheumatoiden Arthritis verhindern oder zumindest extrem verringern. Wir versuchen derzeit diese Erkenntnisse ins Humane System zu überführen."

Prof. Dr. Dr. Mario Zaiss, Biologe, Uniklinikum Erlangen

Mindestens 30 Gramm Ballaststoffe pro Tag

Rheuma-Patienten sollten mindestens 30, besser noch bis zu 50 Gramm Ballaststoffe pro Tag zu sich nehmen. Ballaststoffe finden sich zum Beispiel in Hülsenfrüchten, Nüssen, Vollkornprodukten sowie bestimmten Obst- und Gemüsesorten.

"Ernährung, Rheuma und Herz-Kreislauf - alles hängt so ein bisschen zusammen. Also nicht nur durch Bewegung kann man bestimmte Faktoren oder Marker im Blut verändern, sondern auch durch Ernährung. So kann Übergewicht auch zu Entzündungen im Körper führen: Fettzellen können Entzündungszellen produzieren. Da sehen wir ganz oft, dass Patienten mit einem höheren Gewicht an sich erhöhte Entzündungswerte haben, ohne dass jetzt unbedingt eine rheumatische Erkrankung besteht oder sie in einem akuten Schub sind."

Dr. med. Harriet Morf, Internistin, Uniklinikum Erlangen

Mit anti-entzündlicher Ernährung und Bewegung aktiv gegen Rheuma vorgehen – nicht nur für Karin Polland und Martin Stangl geht diese Strategie auf.


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