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Adipositas Medikamente und Operationen schon im Kindesalter?

Adipositas, auch als Fettleibigkeit bekannt, ist mehr als nur ein physisches Problem. Es beeinträchtigt das psychische Wohlbefinden und zieht eine ganze Reihe von medizinischen Folgeerkrankungen nach sich. Jetzt haben Ärzteverbände in den USA eine neue Leitlinie zur Behandlung von Kindern herausgegeben, die verstärkte OPs und medikamentöse Therapien vorsieht – und damit auch die Debatte in Deutschland befeuert.

Von: Florian Heinhold

Stand: 11.09.2023

Der schwierige Umgang mit Adipositas in Deutschland und den USA

Laut der Deutschen Adipositas Gesellschaft gelten bei uns etwa 2 Millionen Kinder als übergewichtig. Im globalen Vergleich steht Deutschland jedoch nicht allein da: In den USA sind die Zahlen sogar noch alarmierender. Das hat dazu geführt, dass die American Academy of Pediatrics neue, aggressive Leitlinien für die Behandlung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen vorgestellt hat, die frühzeitige und entschiedene Behandlungsansätze für Kinder empfehlen. Ausdrücklich sehen diese auch den frühzeitigen Einsatz von chirurgischen und medikamentösen Therapien bereits bei Minderjährigen vor.

In Deutschland sehen die entsprechenden Leitlinien bisher den Einsatz von Operationen nur in seltenen Ausnahmefällen vor. Experten wie der Ernährungsmediziner Prof. Hans Hauner von der TU München, betonen die Notwendigkeit eines Umdenkens auch in Deutschland und begrüßen den Vorstoß aus Amerika.

"Wir haben in Deutschland 50.000 Jugendliche mit massiver Adipositas und hier müssen wir einfach über den Tellerrand hinausdenken. Und können nicht wieder wie vor 30 Jahren sagen: Ihr müsst euch anders ernähren, das funktioniert nicht. Medikamente und auch Chirurgie gibt es ja schon länger bei Erwachsenen. Und das muss auch Jugendlichen zu Gute kommen."

Prof. Dr. med. Hans Hauner, Ernährungsmediziner, Deutsche Adipositas Gesellschaft, TU München

Denn häufig sei die Ursache von Adipositas nicht nur der Lebenswandel. Auch genetische Faktoren und bestimmte chronische Krankheiten können eine Rolle spielen. Wie im Fall von Jana. Gesundheit! trifft die junge Patientin im Klinikum der Barmherzigen Brüder in Regensburg, wo sie eine Magenverkleinerung bekommen soll. Sie hat einen BMI von 46. Der Grund: Jana leidet an einem Lipödem, einem chronischen Leiden, bei dem der Körper krankhaft fett einlagert.

"Bis zur Pubertät war ich schlank. Und dann ab der Pubertät, obwohl ich eigentlich nichts anderes gegessen habe, habe ich richtig angefangen, zuzunehmen. Auch die Ärzte haben immer gesagt: Ja, sie müssen abnehmen. Auch die Hausärzte haben das nie verstanden, dass es ein Lipödem ist."

Patientin Jana

Die Rolle der Krankenkassen

Die Krankenkassen spielen eine Schlüsselrolle bei der Genehmigung und Finanzierung von chirurgischen Eingriffen. Doch viele Patientinnen und Ärzte erleben die Genehmigungspraxis der Kassen bei Adipositas-Operationen als äußerst restriktiv. So auch Alaedin Rajha, der Chirurg, der Janas Eingriff durchführen wird.

"Ich kriege immer wieder von den Krankenkassen Ablehnungen, obwohl die Indikation da ist, obwohl alles nach Leitlinien geht. Wir hatten schon in unserer Klinik Patienten, die durch die Verzögerung der Zusage, intensivpflichtig wurden."

Alaedin Rajha, Viszeralchirurg, Klinikum der Barmherzigen Brüder, Regensburg

Auch Prof. Hauner kritisiert Politik und Kassen bei der Frage der Bekämpfung von Adipositas.

"In Deutschland haben wir derzeit das Problem, dass Adipositas nicht als Krankheit anerkannt ist und dadurch jede Behandlung nicht von den Kassen bezahlt zu werden braucht. Und hier wird eine große Chance verspielt, nicht zuletzt auch deshalb, weil Adipositas ein Risikofaktor ist, für viele Folgekrankheiten, die am Ende dann richtig teuer werden. Das ist eigentlich verantwortungslos."

Prof. Dr. med. Hans Hauner, Ernährungsmediziner, Deutsche Adipositas Gesellschaft, TU München

Gesundheit! hat beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen in Berlin nachgefragt. Vor der Kamera wollte man dort kein Interview geben, stattdessen eine schriftliche Stellungnahme:

"Adipositaschirurgische Maßnahmen sind (…) wegen ihrer weitreichenden und zumeist unumkehrbaren Konsequenzen an hohe Voraussetzungen gebunden (…). Sofern es dadurch zu Verzögerungen kommt, sollte dies nicht mit einer Verweigerungshaltung gleichgesetzt werden."

Stellungnahme GKV-Spitzenverband, Berlin

Forderung nach mehr Prävention

Während viele Ärztinnen und Experten den amerikanischen Weg befürworten, gibt es aber auch Stimmen, die einen stärkeren Fokus auf Prävention fordern. Am Institut kinderleicht in München-Pasing lernen Kinder und Jugendliche in Bewegungs- und Kochkursen einen neuen Umgang mit Ernährung und Sport. Für Geschäftsführerin Agnes Streber wird das Potenzial solcher Angebote in Deutschland noch lange nicht ausreichend genutzt.

"Unsere Empfehlung ist zu warten, statt dass man schon so früh Medikamente oder sogar Chirurgie empfiehlt. Sondern erstmal die ganzen Therapien, die wir zur Verfügung haben und die ja auch erfolgreich sind, auszuschöpfen."

Agnes Streber, Ernährungswissenschaftlerin, Institut KinderLeicht, München-Pasing

Die Operation

Natürlich sind Adipositas-Operationen nicht ohne Risiko. Gesundheit darf bei Janas OP dabei sein. Nach dem Eingriff wird sie nur noch minimale Mengen essen können, über den Tag verteilt, damit der Magen zwischendurch verdauen kann. Dafür hofft sie endlich auf ein gesundes Gewicht. Der Eingriff erfolgt laparoskopisch über fünf kleine Schnitte im Bauch. Beim Freilegen des Magens muss Chirurg Alaedin Rajha gefährliche Blutungen vermeiden – vor allem an der Milz, die besonders stark durchblutet ist. Dann trennt er rund 80 % von Janas Magen mit einem Spezialgerät ab. Der verbleibende Restmagen ist nur noch so groß wie eine Espressotasse. Das Ärzteteam ist zufrieden mit dem Ergebnis.

"Das ist alles super gut gegangen, keine Komplikationen. Das wird der Patientin helfen."

Alaedin Rajha, Viszeralchirurg, Klinikum der Barmherzigen Brüder, Regensburg

Am Tag nach der OP meldet sich Jana noch einmal mit einem Handyvideo:

"Ich bin wahnsinnig froh, dass es vorbei ist und, dass es langsam aufwärts geht, ich bin heute schon zweimal aufgestanden."

Patientin Jana

Viele Betroffene hoffen, dass auch im Gesundheitssystem allgemein ein Umdenken einsetzt – und Adipositas frühzeitig und entschlossen bekämpft wird.


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