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Nahrungsergänzungsmittel Sinnvolle Gesundheitsvorsorge oder überflüssig bis gefährlich?

Vitamin C, Selen und Zink zur Stärkung des Immunsystems, Vitamin D für die Wintermonate, Vitamin-B12-Präparat bei veganer Ernährung, Fischölkapseln für das Herz. Jeder Zweite in Deutschland nimmt Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Doch für wen ist das wirklich sinnvoll? Welche Risiken gibt es bei einer Überdosierung? Und warum können Nahrungsergänzungsmittel während der Krebstherapie problematisch sein?

Von: Susanne Wimmer

Stand: 30.01.2024

Das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln boomt: Während der Corona-Pandemie stieg die Produktion auf mehr als 200.000 Tonnen pro Jahr. 2022 lag der Umsatz der frei verkäuflichen Präparate in Deutschland bei rund 1,5 Milliarden Euro. Anders als Arzneimittel müssen Nahrungsergänzungsmittel keine Zulassungsverfahren durchlaufen. Sie gelten als Lebensmittel und müssen nur registriert werden.   

Doch wer braucht die Kapseln, Pillen, Öle, Tabletten und Pulver wirklich? Wann reicht eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung also nicht aus?

Moderne Ernährung mangelhaft?

Viele Menschen befürchten, dass sie über die normale Ernährung nicht ausreichend mit Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen versorgt sind. Stimmt das?

"Unsere normale Ernährung enthält eigentlich alle notwendigen Mikronährstoffe, Vitamine und so weiter - mit Ausnahme vielleicht von Jod. Die Behauptung, die modernen Lebensmittel hätten von vornherein weniger Vitamine, das ist in Teilen einfach falsch. Diese Unterschiede, je nach Sorte, sind relativ gering und spielen am Ende wirklich keine Rolle."

 Prof. Dr. med. Hans Hauner, Ernährungsmediziner, TU München, Klinikum rechts der Isar

Wer wissen möchte, ob er ausreichend versorgt ist, kann seine Blutwerte beim Arzt testen lassen.

Proteinshakes für Muskelaufbau?

Muskeln durch Drinks? Proteinshakes sind in Fitness-Studios beliebt. Doch helfen sie wirklich dabei, Muskeln aufzubauen? Ernährungsmediziner Prof. Hans Hauner ist skeptisch:

"Normalerweise brauchen wir das nicht, weil unsere Ernährung genug Eiweiß enthält und so schnell kann der Muskel nicht wachsen. Das sind nur immer kleinste Mengen, die er zunimmt und dazu reicht das Eiweiß in der normalen Ernährung aus. Es sei denn, ich bin Leistungssportler, dann brauche ich eine Zulage."

Ob ein Zuviel an Protein sogar gefährlich ist, ist noch nicht ausreichend erforscht. Doch: Sehr große Mengen an Eiweiß können zu einer Übersäuerung führen, der Muskel wächst dadurch auch nicht mehr.  

B12: wichtig für Veganerinnen und Veganer

Wer sich vegan ernährt, also auf tierische Produkte wie Fleisch, Fisch oder Milch verzichtet, wird mit einem wichtigen Vitamin nicht versorgt: B12.

"B12 wird dringend für die Blut-Synthese gebraucht, die Blutkörperchen verändern sich bei einem B12-Mangel. Und es ist relevant für unser Nervensystem. Ein Mangel kann also auch zu neurologischen Störungen führen."

Dr. med. Markus Frühwein, Allgemeinmediziner, München  

Um dem entgegenzuwirken, gibt es zum Beispiel spezielle Zahnpasta, die mit Vitamin B12 angereichert ist. Das Vitamin soll so direkt über die Mundschleimhaut in den Körper gelangen. Laut Studien soll dies funktionieren.

Clarissa Juse lebt seit zehn Jahren vegan und nutzt seit einiger Zeit so eine Zahnpasta. Ihr Blutbild bei Dr. Markus Frühwein zeigt: Ihre Werte sind stabil.

Vitamin D für Schichtarbeiter, Babys, ältere Menschen

Der Körper benötigt Vitamin D für viele Stoffwechselprozesse und den Knochenbau. Wer wie Schichtarbeiter tagsüber schläft und nachts arbeitet, kann unter Vitamin D-Mangel leiden. Zu wenig vom Sonnenvitamin kann zu einer Entkalkung und letztendlich Erweichung der Knochen führen. Werte des Vitamin D-Spiegels ab 30 Nanogramm pro Milliliter sind tolerierbar. Martin Rutenberg arbeitet die ganze Nacht. Sein Wert: 5,8 Nanogramm pro Milliliter.

"Gerade bei Vitamin D-Mangel ist der entscheidende Faktor die Knochendichte. Meistens merkt man das aber erst, wenn man hingefallen und der Oberschenkelhals gebrochen ist. Man kann sowas natürlich vorher messen, um auch im Alter gesund zu bleiben."

 Dr. med. Markus Frühwein, Allgemeinmediziner, München  

Für Martin heißt das: höherdosierte Präparate und zugleich den Lebensstil zu überdenken. Aufpassen sollten auch ältere Menschen, die nicht mehr so oft das Haus verlassen und damit nicht genügend Sonne abbekommen. Das gleiche gilt für Babys im ersten Lebensjahr, die noch vor UV-Strahlung geschützt werden müssen, und so zu wenig körpereigenes Vitamin D bilden können.

Nahrungsergänzungsmittel: Wann wird’s gefährlich?

Von welchen Präparaten sollte man aber keinesfalls zu viel einnehmen?

"Es gibt ein paar Supplemente, die in hohen Dosen auch krebsförderlich sind. Andere, zum Beispiel Vitamin B6, können bei hoher Dosierung zu neurologischen Störungen führen. Vitamin D kann über eine Hyperkalzämie, also zu viel Kalzium im Blut, Herzrhythmusstörungen verursachen. Die Bandbreite ist relativ groß, da muss man aufpassen."

Dr. med. Markus Frühwein, Allgemeinmediziner, München  

Liana Connors nimmt Kollagen, Multivitamine und Zink ein. Im Monat gibt sie dafür zwischen 150 und 200 Euro aus. Ihre Werte im Blutbild sehen gut aus, bis auf einen: Vitamin B6 ist überdosiert. Die Gefahr dabei:

"Es zerstört so ein bisschen die Nerven, kann also zu Gangstörungen führen, Kribbel-Gefühlen, eingeschränkter Muskelkraft. Es geht immer um die Dauer der Einnahme. Das merkt man nicht über ein paar Tage oder Wochen. Aber auf Dauer ist eine Überdosierung einfach nicht gesund."

Dr. med. Markus Frühwein, Allgemeinmediziner, München  

Vitamin B6 befindet sich von Natur aus in vielen Lebensmitteln – aber eben oft auch in Multivitaminpräparaten.

Gefährlich für Krebspatienten

Die Diagnose Krebs ist für Petra Resch ein Schock. Weil sie nicht weiß, wohin sie sich wenden kann, kontaktiert sie einen Apotheker. Der gibt ihr Nahrungsergänzungsmittel. Die Chemotherapie verkraftet sie vergleichsweise gut. Sie glaubt, dass dafür auch die Präparate sorgen.  

Im Tumorzentrum der LMU in München zeigt sie Komplementärmediziner Dr. Wolfgang Doerfler die Nahrungsergänzungsmittel. Der sieht sie sich mit Blick auf mögliche Überdosierungen genauer an. 

"Hier sind einige Vitamine enthalten und ein sogenanntes Multienzymgemisch aus Ananas, sowie Enzyme, die haben eine entzündungshemmende Wirkung. Das ist gar nicht mal verkehrt. Das kann unter Umständen Nebenwirkungen wie Entzündungsreaktionen lindern."

Dr. med. Wolfgang Doerfler, Facharzt für Neurologie, Beratungsstelle für Komplementärmedizin, CCCM-Tumorzentrum München 

Krebs: Vorsicht bei Vitamin B und Vitamin E

Doch dann stößt der Mediziner auf etwas, das ihm gar nicht gefällt. Sehr hoch dosierte B-Vitamine:   

"Wir wissen, dass zum Beispiel gerade B-Vitamine auch die Zellteilung anregen. Wenn man auf Dauer zu viel davon erwischt, könnte es sein, dass man falsche Körperzellen anregt, sprich Tumorzellen, die vielleicht noch irgendwo schlummernd sind. Da sage ich: Wirklich nur einnehmen, wenn Sie es brauchen. Und das kann man im Blutbild nachschauen."

Dr. med. Wolfgang Doerfler, Facharzt für Neurologie, Beratungsstelle für Komplementärmedizin, CCCM-Tumorzentrum München  

Auch Ernährungsmediziner Prof. Hans Hauner warnt vor einer Einnahme bestimmter Präparate während einer Chemotherapie.   

"Nehmen wir das Beispiel einer Chemotherapie: Hier haben wir Hinweise, dass eine gleichzeitige Gabe von Antioxidantien, insbesondere von Vitamin E, die Wirkung dieser Chemotherapie abschwächen könnte."

Prof. Dr. med. Hans Hauner, Ernährungsmediziner, TU München, Klinikum rechts der Isar

Höchstgrenzen für Nahrungsergänzungsmittel?

Der Ernährungsmediziner fände grundsätzlich gesetzlich festgelegte Höchstmengen bei Nahrungsergänzungsmitteln sinnvoll. Allerdings sind die kritischen Werte noch nicht bei allen Mitteln bekannt. Aber:

"Wir haben natürlich schon Anhaltspunkte, wann es zu viel ist und hier sollte man natürlich Grenzen einziehen."

Prof. Dr. med. Hans Hauner, Ernährungsmediziner, TU München, Klinikum rechts der Isar

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