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Alternative Heilmethode Wem kann Akupunktur helfen?

Mit Nadelstichen Schmerzen lindern – das will die Akupunktur. Die alternative Heilmethode aus China ist mittlerweile auch bei uns weit verbreitet. Doch bei welchen Erkrankungen ist ein Nutzen wissenschaftlich belegt und was sollten Patienten beachten?

Von: Monika Hippold

Stand: 26.06.2023

Jahrelang hat Karin Siniosoglou ihre Migräne gut im Griff. Sie vermeidet Stress, achtet auf guten Schlaf, bewegt sich viel und nimmt Medikamente, wenn die Attacken kommen. An etwa drei Tagen pro Monat hat sie Kopfschmerzen. Doch dann krempelt die Coronakrise vor drei Jahren ihr Leben komplett um.

"Wir waren ja alle zuhause. Also bin ich auch nicht rausgegangen zum Yogakurs. In unserem Haushalt sind wir drei Personen. Und dann liefen die Schule und die Arbeit plötzlich zu Hause. Das so zu takten, dass man auch Ruhezeiten findet, hat nicht so gut funktioniert. Es war ein anderes Gefühl von Stress und Belastung."

Karin Siniosoglou

Besser schlafen durch Akupunktur

Die Wechseljahre kommen dazu und plötzlich hat sie an 15 Tagen im Monat Migräne. Ihr Schmerztherapeut verschreibt ihr Medikamente zur Prophylaxe. Doch davon bekommt sie Herzrasen. Sie setzt die Mittel wieder ab – und versucht es mit Akupunktur. Ein Jahr lang ein- bis zweimal die Woche.

"Durch den Schmerz spannt man alles an und dann bleiben die Muskeln oft verhärtet. Ich wusste manchmal nicht, wie ich mich hinlegen soll und bin in der Nacht aufgewacht. Die Akupunktur hat mir Erleichterung gebracht. Ich hatte wieder weniger Migränetage und konnte nach drei Monaten wieder durchschlafen."

Karin Siniosoglou

Akupunktur: Was sagen Studien?

Etwa neun Prozent der Menschen in Deutschland nutzen Akupunktur im Jahr. Über 15.000 Ärzte haben die Weiterbildung gemacht. Zusätzlich bieten viele Heilpraktiker und Hebammen Akupunktur an. Die Hauptanwendungsgebiete laut WHO: Kopfschmerzen, Migräne, chronische Rückenschmerzen, Rheuma, Asthma, Allergien, Bronchitis und Sucht-Entwöhnung.

Was sagen Studien zu der alternativen Heilmethode? Ist eine Wirksamkeit wissenschaftlich belegt? Und wenn ja, bei welchen Erkrankungen?

Ursprung der Akupunktur: die TCM

Das Wort Akupunktur setzt sich zusammen aus lateinisch acus, die Nadel, und punctio, das Stechen.  Bei der Akupunktur werden also feine Nadeln an bestimmten Körperstellen, den Akupunkturpunkten, in die Haut gestochen. Ihren Ursprung hat die Heilmethode in der Traditionellen Chinesischen Medizin, kurz TCM. Dort heißt es, die mehr als 350 Akupunkturpunkte liegen an zwölf Energiebahnen, den sogenannten Meridianen. Die Nadelstiche sollen die Lebensenergie, chinesisch Qi, beeinflussen – und so Blockaden lösen und die Selbstheilungskräfte anregen. Doch eine Existenz von Meridianen konnte bis heute im Körper nicht nachgewiesen werden, erklärt Schmerzmediziner Prof. Dominik Irnich:

"Diese Leitbahnen sind ein theoretisches Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin. In der Regel ist es eine Empfindung des Patienten, wenn man einen Akupunkturpunkt sticht. Aber anatomisch kann man diese Leitbahnen nicht nachweisen."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich, Leiter Schmerzmedizin, LMU Klinikum München Innenstadt

So wirkt Akupunktur im Körper

Was genau passiert also bei Akupunktur im Körper? Fest steht: An den Akupunkturpunkten liegen unterschiedliche Strukturen wie Nerven-, Faszien- und Muskelpunkte. Sie reagieren besonders sensibel auf Reize.

"Wenn der Stich durch die Haut geht und den Akupunkturpunkt trifft, dann gibt es eine Ausschüttung von verschiedenen Überträgersubstanzen. Dann wird das Signal weitergeleitet auf Rückenmarksebene. Dort wird der Reiz schon moduliert und es findet die erste schmerzhemmende Reaktion des Körpers statt. Es folgt die zentrale Verarbeitung im Gehirn, wo der Nadelstich in den verschiedensten Zentren der Schmerzbewertung, der Schmerzwahrnehmung und der Schmerzstärke verarbeitet wird - bis hin zu den kortikalen Regionen in der Großhirnrinde. Die Akupunktur hat aber viele weitere Wirkungen. Auch das vegetative Nervensystems reagiert - und wie bei allen Therapien - spielen auch Erwartungshaltung, Zuwendung und die Zeit eine Rolle."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich, 1. Vorsitzender, Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V., München

Der Stich rege auch das vegetative Nervensystem an, worauf der Parasympathikus reagiere. Eine hemmende Reaktion, die dazu führe, dass die Patienten zur Ruhe kommen und sich entspannen können. Diese Wirkung halte an und führe bei den Patienten zu besserem Schlaf, weniger Schmerzen, besserer Stimmung - so die Vermutungen.

"Es gibt eine starke Sofortwirkung der Akupunktur durch die Endorphin-Ausschüttungen und die Aktivierung der schmerzhemmenden Systeme im Körper. Und wir beobachten Serieneffekte, deswegen machen wir acht bis zwölf Behandlungen: Ein wiederkehrender Reiz führt zu einer Reaktion des Körpers in Richtung Heilung."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich

Placebo-Effekt in der Medizin

Auch der Placebo-Effekt spielt eine Rolle, was Kritiker der Akupunktur oft vorwerfen. Prof. Irnich sieht den Placebo-Effekt in der Medizin hingegen positiv:

"Jede wirksame Therapie hat auch eine Placebo-Wirkung, also Effekte über die reine physiologische Wirkung hinaus. Das sind Effekte, die eintreten, wenn der Patient von der Therapie überzeugt ist, die Therapie versteht und bereit ist zu einer Besserung und keine inneren Widerstände oder Zielkonflikte bestehen. Und das ist eines der schärfsten Schwerter, die der Arzt oder die Ärztin hat: Nämlich die Aktivierung der eigenen Kräfte. Die Akupunktur macht das auf eine sehr gute Art und Weise. Allerdings macht das auch jedes Medikament. Jede Operation hat sehr starke Placebo-Effekte, das wissen wir mittlerweile. Placebo ist ein positiver Begriff, den man auch positiv besetzen sollte. Und den brauchen wir in der Medizin. Selbst mein weißer Kittel ist ein gewisser Placebo-Effekt."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich

Akupunktur bei Polyneuropathie

Wann setzen Mediziner Akupunktur in der Praxis ein? Bei Christiane Klose begann alles mit einem Kribbeln in den Füßen.

"Ich hatte ein beständiges Gefühl von kalten Füßen, richtig unangenehm kalte Füße. So unangenehm, dass mich das nachts aus dem Schlaf geweckt hat und ich dann auch nicht mehr einschlafen konnte. Wenn man nachts nicht mehr durchschläft, das zermürbt."

Christiane Klose

Die Diagnose: Polyneuropathie, eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Ihre Neurologin verschreibt ihr starke Medikamente. Doch die möchte Christiane Klose nicht nehmen – und geht in die Schmerzambulanz am LMU Klinikum. Dort geben ihr die Ärzte Tipps für ein sensorisch perzeptives Training, sie erfährt wie sie die Erkrankung selbst behandeln kann – und bekommt acht Akupunktureinheiten.

"Nach der ersten Behandlung bin ich hier richtig davongeschwebt. Ich hatte das Gefühl, ganz anders zu laufen. Im Laufe der insgesamt acht Behandlungen war es mal besser, mal schlechter, aber schon bald so, dass es mich nachts im Schlaf nicht mehr gestört hat. Nach den letzten beiden Behandlungen, die jetzt jeweils 14 Tage auseinanderlagen, kann ich sagen, dass ich wirklich fast symptomfrei bin. Ich hoffe, das hält an."

Christiane Klose

Bei Polyneuropathie wird Akupunktur noch nicht in den Leitlinien empfohlen. Doch weltweit laufen aktuell einige große Studien dazu.

"Es gibt hoffnungsvolle Studien für die Akupunkturwirkung bei der Polyneuropathie und Herpes zoster, also sogenannten Nervenschmerzen. Die Hinweise sind positiv und unsere klinischen Erfahrungen ebenfalls. Teilweise sind chinesische Studien sehr, sehr positiv, wo wir immer auch ein bisschen skeptisch sein müssen. Wo wir genau gucken müssen, was gemacht wurde."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich

Studienlage bei chronischen Schmerzen

Bereits gut erforscht ist Akupunktur bei chronischen Lendenwirbelschmerzen oder Kniegelenksarthrose. Seit 2007 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten - wenn qualifizierte Ärzte die Behandlung durchführen. Und wenn die Schmerzen seit mindestens sechs Monaten bestehen.

"Natürlich gibt es nicht immer die vollständige Heilung bei chronischen Schmerzen. Aber es sind klinisch relevante Effekte. Was sehr erstaunlich ist, dass wir mittlerweile auch in der Behandlung der Depression ganz hervorragende Studien haben. Und in Kürze erscheint eine klinische Leitlinie der WHO zur Behandlung der Depression mit Akupunktur."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich

Prof. Irnich betont: Gerade bei Rückenschmerzen helfe meist nicht eine einzige Therapie. Da müsse die Akupunktur Teil der multimodalen Schmerztherapie sein. Bei der Kniegelenksarthrose sei die Komplementärmedizin mittlerweile aber fast schon der klassischen Medizin überlegen:

"Wir haben mit der Akupunktur, Tai-Chi und auch den Blutegeln eine ganz hervorragende Komplementärmedizin, die übrigens die amerikanischen Leitlinien schon empfehlen."

Prof. Dr. med. Dominik Irnich, Leiter Schmerzmedizin, LMU Klinikum München Innenstadt

Akupunktur oft IGeL-Leistung

Auch zur Geburtsvorbereitung oder bei anderen Erkrankungen übernehmen einige Kassen die Kosten – als freiwillige Satzungsleistung. Ansonsten ist die Behandlung eine IGeL-Leistung, Patientinnen und Patienten bezahlen sie selbst. Im IGeL-Monitor können sich Betroffene über die Studienlage informieren: Tendenziell positiv bewertet er Akupunktur zur Migräneprophylaxe. Bei Spannungskopfschmerzen und in der Schwangerschaft sei die Studienlage hingegen unklar.

Kann Akupunktur Schmerzen nach Operationen lindern?

Studien zur Akupunktur gibt es mittlerweile Zehntausende – und auch immer wieder Kritik daran: die Studien seien zu klein, nicht aussagekräftig, nicht doppelt verblindet. Das heißt, dass weder Probanden noch Ärzte wissen, ob sie die richtige Behandlung oder eine Placebo-Behandlung bekommen.

An einer randomisierten, doppelt verblindeten Studie an 500 Patienten arbeitet gerade ein Forscherteam um Dr. Cui Yang und Dr. Erfan Ghanad an der Uniklinik Mannheim. Sie wollen herausfinden, ob Akupunktur Schmerzen nach Bauchoperationen lindern kann.

"Die Datenlage ist noch nicht eindeutig, aber die Studien werden immer besser in diesem Bereich. Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass die Akupunktur im postoperativen Verlauf einen positiven Effekt haben könnte. Nicht nur, was den Schmerz betrifft, aber auch die Darmtätigkeit, die Darmregeneration und die Übelkeit nach der Operation. Und zwar nach abdominal chirurgischen Operationen, bei gynäkologischen Operation, bei Eingriffen im Rücken als auch im Kopfbereich. In unserer Pilotstudie haben wir gesehen, dass wir die Schmerzen postoperativ um 75 Prozent mit einer einzigen Behandlung reduzieren können."

Dr. med. Erfan Ghanad, Assistenzarzt, Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Mannheim

Um die Verblindung zu gewährleisten, teilt das Team die verschiedenen Arbeitsschritte unter mehreren Personen auf. Das bedeutet: Dr. Ghanad markiert echte Akupunkturpunkte und Scheinpunkte am Patienten. Ein Computer entscheidet, welche davon behandelt werden. Die Studienkoordinatorin führt die Akupunktur durch - und eine Doktorandin befragt schließlich die Patienten. Am Ende vergleichen die Forscher die Werte der Probanden aus drei Gruppen: der Akupunktur, der Scheinakupunktur und einer Kontrollgruppe mit einer Standardbehandlung. Das Forscherteam rechnet Anfang 2026 mit ersten Ergebnissen der Studie.

"Wir werden dafür die subjektive Schmerzskala aber auch die objektive Schmerzschwelle zwischen den Gruppen vergleichen, damit wir wissen, ob die echte Akupunktur einen Effekt hat oder nicht."

PD Dr. med. Cui Yang, Chirurgin, Universitätsklinikum Mannheim

Akupunktur: Kaum Nebenwirkungen

Einen Vorteil hat die Akupunktur gegenüber medikamentösen Behandlungen: Sie hat kaum Nebenwirkungen. Das hat Dr. Petra Bäumler in einer systematischen Übersichtsarbeit untersucht.

"Wir konnten herausfinden, dass die Akupunktur generell als sicheres Verfahren in der Medizin gelten kann. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind in den allerseltensten Fällen zu erwarten – bei fünf von einer Million Behandlungen. Das ist weitaus weniger als wir zum Beispiel unter Medikamententherapie erwarten können. Was wir aber sehr häufig beobachten, sind Nebenwirkungen milder Art, zum Beispiel kleine Blutungen an der Einstichstelle oder Nadelschmerz. Es kann auch sein, dass man müde wird nach der Akupunktur."

Dr. biol. hum. Petra Bäumler, Wissenschaftlerin, Public Health, LMU Klinikum München

Wichtig: eine fundierte Ausbildung des Akupunkteurs

Wer sollte Akupunktur vermeiden?

Schwangere, Patienten mit Herzschrittmachern oder Prothesen sowie Menschen, die Blutverdünner nehmen, sollten Nutzen und Risiken einer Akupunkturbehandlung zusammen mit ihrem Arzt abwägen.

Sie empfiehlt: Patienten sollten viel trinken, aber kein Koffein. Dies könne die Wirkung der Akupunktur aufheben. Wer danach müde ist, einfach noch liegen bleiben – und nicht gleich Autofahren. Und ganz wichtig: die Behandlung unbedingt bei Fachleuten durchführen. Die Akupunkteure sollten zum Beispiel nur sterile Einmalnadeln verwenden, um Infektionen zu vermeiden. Auf den Homepages der großen Akupunktur-Gesellschaften finden sich ausgebildete Akupunkteure, sortiert nach Postleitzahlen.

"Man sollte immer darauf achten, dass die entsprechenden Personen auch wirklich eine fundierte medizinische Ausbildung haben. Damit die Akupunktur sicher durchgeführt wird. Und damit die Akupunkteure auch wissen, was zu tun ist, falls es wirklich zu einer Nebenwirkung kommen sollte."

Dr. biol. hum. Petra Bäumler, Wissenschaftlerin, Public Health, LMU Klinikum München

Ebenfalls wichtig: Dass sich die Patienten in der Praxis wohlfühlen, damit sie dort Entspannung finden können. 

"Weil die Akupunktur eben auf das vegetative Nervensystem wirkt und die Entspannung ein ganz großer Teil davon sein kann. Die Akupunktur ist eine Körpertherapie. Und wenn wir mit dem Körper arbeiten, arbeiten wir auch immer mit unseren Emotionen. Das heißt, ich brauche ein Umfeld, wo ich mich geborgen fühle. Wir haben durch die Akupunktur eine starke Endorphin-Ausschüttung. Das ist gewollt. Das bedeutet aber auch: Endorphine führen zu einer emotionalen Reaktion und machen vielleicht auch ein bisschen müde im Nachgang."

Dr. biol. hum. Petra Bäumler, Wissenschaftlerin, Public Health, LMU Klinikum München

Akupunktur: oft Selbstzahlerleistung

Karin Siniosoglou würde gerne wieder mit ihrer Akupunktur-Behandlung gegen die Migräne starten. Doch im Moment pausiert sie:

"Weil die Krankenkasse die Behandlung im Kontext von Migräne nicht bezahlt und die Kosten für regelmäßige Sitzungen einfach sehr hoch sind. Das summiert sich."

Karin Siniosoglou

Eine Akupunktur-Sitzung kostet zwischen 30 und 80 Euro. Karin Siniosoglous Lösung: Sie bewegt sich jetzt wieder mehr, macht Yoga, Tai Chi und Achtsamkeitsübungen. Im Moment hat sie noch an etwa acht Tagen im Monat Migräne.

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