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Beste Alben der Zehner Jahre Solange zeigt, dass die Black Renaissance in den Zehner Jahren verletzlich, kämpferisch und elegant sein kann

Solange kreiert auf ihrem Album "A Seat At The Table" Hymnen der Selbstbehauptung, die sie an alle schwarzen Frauen adressiert. Sie liefert uns eine Seelenschau und eröffnet Wege, wie frau sich aus dem Opfer-Sein befreien kann. Platz fünf der "Heroes of the decade".

Von: Judith Schnaubelt

Stand: 29.11.2019 | Archiv

Solange Knowles | Bild: picture-alliance/dpa

Fast ein halbes Jahrhundert bevor Solange ihren Song 'Don't Touch My Hair' aufgenommen hat, war Aretha Franklin in den Muscle Shoals Studios zu Alabama und hat stellvertretend für eine frustrierte afroamerikanische Jugend und für die Frauen im Besonderen "Respect" eingefordert. Und im selben Atemzug hat Aretha, mit einer Verve die heute noch Gänsehaut macht, diese Jugend agitiert: Respect yourself!

Danach, in die Jetztzeit gesprungen, in dieses Jahrzehnt, sollte ich erst mit Kendrick Lamar weitermachen, denn: Am Anfang war viel Frust und Wut über den unsäglichen Rassismus, der während der zwei Amtsperioden Barack Obamas wieder öffentlich verstärkt seine weiße, üble Visage zeigte. Nein, nicht nur zeigte, sondern er schlug zu, feuerte los, tötete - oft mit Polizeigewalt. Die Opfer waren afroamerikanische Bürger. Kendrick Lamar und seine Freunde wehrten sich auf "To Pimp A Butterfly" mit all ihren Skills - Reime, Beats und Jazz - im Jahr 2015 gegen diesen Rassismus; und Kendrick lieferte hier zugleich eine differenzierte Analyse desselben ab, aus betroffener Perspektive. Betroffen und zugleich kämpferisch.  Das war sicherlich ein wichtiger Beitrag zur "Black Renaissance", der kulturellen Selbstbehauptung schwarzer Menschen, die in letzter Zeit immer mehr Beachtung findet.

Solange singt über Rassismus, aber anders als Kendrick Lamar und Co.

Ein Jahr später, im November 2016, 10 Tage nach den US-Präsidentschaftswahlen, tritt Solange auf den Plan. Auch sie hat den Rassismus satt, genauso wie Lamar. Aber Solange geht auf ihrem Album "A Seat At The Table" mit Anliegen und Widerstand künstlerisch ganz anders an die Sache heran: völlig subjektiv. Es ist eine Seelenschau der Solange Knowles, die sich ganz klar aus eigenen, unguten Erfahrungen speist. Das musikalische Design dazu: sophisticated, elegant, ladylike, aber nie prätentiös, klug auf das Wesentliche reduziert und immer auch "betroffen". Ich weiß, das klingt möglicherweise furchtbar, ist es aber nicht.   

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Solange - Don't Touch My Hair ft. Sampha (Official Music Video) | Bild: SolangeKnowlesVEVO (via YouTube)

Solange - Don't Touch My Hair ft. Sampha (Official Music Video)

Hier wird kein Tal der Tränen eröffnet. In keinem Song des Albums. Solange lässt uns aber immer spüren, dass sie gelitten hat und leidet, dass sie verletzt wurde und verletzlich ist, mit einer Ehrlichkeit, die im Mainstream kaum mehr vorkommt. Gleichzeitig macht sie klar, dass sie Konsequenzen aus allem gezogen hat. Sie ist nicht mehr bereit, Opfer zu sein. Don't touch my hair. Das kleine schwarze Mädchen hat es bis zum Überdruss erlebt, dass die Weißen ihr in die Haare greifen, weil "ach so süß dieses krause Haar, haha." Solange hat das als übergriffig erlebt. Zudem als subtil rassistisch übergriffig. Dieser Eindruck ist zu respektieren, von wem auch immer. Don't touch my hair. Finger weg von meinen Haaren. Komm' mir nicht zu nah', werd' nicht übergriffig, hab' Respekt vor mir. Und: Lass mich sein, wie ich will. Klar, dieser Song ist eine feministische Selbstbehauptungshymne, die einer schwarzen Frau.         

Auf der Metaebene gibt es da vielleicht auch eine Verbindung zu den Hunderttausenden von Frauen, die sich zwei Monate nach Solanges Album-Veröffentlichung beim "Women's March on Washington" pinkfarbene Mützen aufgesetzt haben, die "Pussyhat-Bewegung" genannt. Unter der Mütze das Haar. Don't touch my hair.

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Solange - Cranes in the Sky (Video) | Bild: SolangeKnowlesVEVO (via YouTube)

Solange - Cranes in the Sky (Video)

„Cranes in the sky“. - Der zweite exemplarische Song auf „A Seat At The Table“, der mich sofort in seinen Bann gezogen hat. die Lyrics sind leicht zu verstehen, ehe Du über sie groß nachdenken könntest, haben sie sich schon eingelinkt in Dein neuronales System, da wo die Erinnerungen sitzen, die schmerzlichen. Das Gehirn vergisst tatsächlich nichts, Leute. Und schon war ich mittendrin, auf der emotionalen Ebene des Songs, den die Musik und der Gesang ausmachen. Eine lang andauerndes Lamento. Es gibt keine echte Dynamik, kaum Höhen, kaum Tiefen. Es dauert offenbar lange, aus diesem Ewas, das es zu betrauern und zu bewältigen gilt, herauszukommen. Ob es das Ende einer Beziehung ist oder schlimme Erfahrungen mit Rassismus als schwarze Frau: Solange lässt im Song offen, was es genau ist, dass sie hier auf so unterschiedlichste Weise vergeblich zu überwinden versucht hat.

Kräne sind bei Solange eine Metapher für Männlichkeit

Auf jeden Fall, und das ist eine starke Metapher in Cranes in the Sky, hat das Ich im Song keine Lust, sich auf Dauer wie ein hoher Kran zu fühlen, der in den Himmel ragt, da oben aber in metallisch schmeckender Wolkensuppe steckt. Ja, der Dunst von Wolken und dicker Nebel können nach Metall schmecken. Blut auch. Dass der Kran eher ein Symbol für Männlichkeit und Stärke und Potenz ist, wie schon die Obeliske im alten Ägypten, nach dem Motto wir bauen hier was Großes, und dass Solange sich dieses Bild aneignet als Frau, ist toll. Ist feministisch. Ist gendertheoretisch korrekt. Und es ist ebenfalls toll, dass Solange ganz richtig wahrgenommen hat, dass da oben im Himmel eben nicht nur der freie unbegrenzte Weitblick wartet, sondern nach Metall/ Blut schmeckende Wolkensuppe. Wenn Du das alles hinter Dir lassen willst, musst Du wie Phönix aus der Asche noch höher hinausfliegen. Aber der Sonne nicht zu nahe kommen.

Solanges Album „A Seat At The Table“ ist ein Konzeptalbum, das sich mit Themen wie Rassismus, Identitätsfindung und Selbstbehauptung auseinandersetzt. Und so stellte es sich, im Jahr der neuen afroamerikanischen Bewegung "Black Lives Matter", fast automatisch in eine Reihe explizit politischer und auch musikalisch guter schwarzer Alben - von Kendrick Lamar, D'Angelo, Beyonce, Frank Ocean bis zum tollen Comeback von A Tribe Called Quest. Und doch ist Freigeist Solange ein soulfuller Solitär gelungen. Bravo, Solange!


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