Bayern 2 - Zündfunk


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Beste Alben der Zehner Jahre Jlin zelebriert mit "Black Origami" den hedonistischen Prozess der ewigen Wiederkehr

Die feinen Unterschiede sind es, die Pop-Musik zu etwas Besonderem machen. Der Elektro-Musikerin Jerrilynn Patton, alias Jlin, gelingt das auf "Black Origami" besonders gut, findet Thomas Meinecke. Platz neun der Zündfunk "Heroes of the decade".

Von: Thomas Meinecke

Stand: 29.11.2019 | Archiv

Jerrilyn Patton legt auf | Bild: picture alliance / Photoshot

Einer der schönsten Aspekte im Dasein eines Popisten oder einer Popistin sind die Zyklen, in denen sich Pop, darin der Couture gleich, geschichtlich voran bewegt, in steten Wiederholungen des doch nicht ganz Gleichen, weshalb sich eben in der Differenz zum schon mal Dagewesenen das jeweils Neue in einem nicht selten feinst ziselierten Glamour offenbart.

Jlin zelebriert die feinen Unterschiede

Andere scheitern an diesen kleinen Unterschieden aus dem hedonistischen Prozess der ewigen Wiederkehr. Ich erinnere mich genau, wie mir vor vierzig Jahren ein boring old fart, zu Deutsch alter Sack, er mag damals knapp die 30 überschritten haben, anhand der New Yorker New Wave Combo Blondie erklärte, das brauche er nun nicht mehr, alles schon mal dagewesen, die Frisuren, die Minikleider, schmalen Schlipse, der Liverpool Sound, die spießigen Orgeln, er kenne das alles, auf Wiedersehen. Ich, damals Anfang 20, hab mir diesen Moment gemerkt, und es sollten viele ähnliche folgen bis zum sogenannten Pop-Sommer 82, in dem das nicht selten marxistisch hedonistische Resignifizieren bereits vorhandener Signale aus der Pop-Geschichte zur allgemeingültigen Tugend einer in der Straßenmitte angekommenen Pop-Linken, wie wir sie noch heute kennen, geworden war.

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Jlin - Unknown Tongues | Bild: Planet Mu (via YouTube)

Jlin - Unknown Tongues

Der Zugewinn besteht dabei natürlich in der ästhetischen wie politischen Rekontextualisierung des Bekannten, das dann plötzlich auch als völlig neu erscheinen und sogar stilistisch, sonisch ganz unerhörte Haken schlagen kann. Wie es im Lauf des zurückliegenden Jahrzehnts in Chicago das seit den 1990er Jahren bekannte Genre der Ghetto House Music leistete, indem es einen sehr aufregenden neuen Style namens Footwork oder Juke hervorbrachte, sowohl durch Youngster als aber auch Veteranen dieser afroamerikanischen Underground Dance Music, dessen riskante Titel und Slogans mehrfach getwistet waren, will sagen, zunächst sexistisch vorkommende Floskeln ins Non-Binäre, wie wir es heute kennen, zerstäubten.

Elektro mit unmöglichen Rhythmen

Einzelne Dancemania 12-inches etwa des bereits betagteren Traxman fanden ihren transatlantischen Weg in unsere Plattenläden.

Album Cover von "Enigma"

Beim ersten Hören dachte ich, mittlerweile in meinen Fünfzigern, das könnte jetzt die erste Musik sein, die ich nicht mehr begreife. Wo war hier überhaupt die Eins? Die Tracks galten als ultraschnell, astronomische BPM-Zahlen wurden genannt, aber mir kamen diese gebrochenen Beats eher wie HipHop vor. Und was waren das für Bässe? Die konnten Cluster bilden oder glitschten abenteuerlich ins Subsonische ab.

Es waren, glaub ich, meine eher Jazz-geschulten Ohren, die hier sehr bald ins Entzücken gerieten. Und ich lernte dann diese aufregende neue Musik und ihre Protagonisten wie RP Boo oder DJ Rashad durch englische Connaisseur-Labels wie Planet Mu oder Hyperdub kennen, die mir diese ansonsten nur auf Daten-Sticks in gefährlichen Nachbarschaften kursierenden Tracks servierten wie es in den 1940er und 50er Jahren französische Labels mit dem Be-Bop taten. Der ja zunächst auch als schwierig, unverständlich aus dem Swing-Mainstream ausgeschert war.

Jlin ist die Heldin der Ghettos von Chicago

Und während ich hier in meinen Sendungen die immer häufigeren Footwork-Scheiben spielte und feierte, saß einige Meilen südlich von Chicagos jackender South Side, in Gary, Indiana, Jerrilynn Patton wohlbehütet auf der Bettkante in ihrem Elternhaus und hörte diese neue Musik auf einem lokalen Radiosender. Begann selber, solche Tracks zu produzieren und sandte sie zu ihren Helden in die South Side und West Side Ghettos der Windy City.

Das führte dann dazu, dass auf Planet Mu in England 2015 ihr grandioses Debüt-Album "Dark Energy"  herauskam, eine externe Hommage an das neue Genre namens Footwork, aber bereits unter Mitwirkung der weißen Künstlerin Holly Herndon, die auch zwei Jahre später auf dem  nächsten vinylenen Wurf, dem "Black Origami" Album, das wir hier in redaktioneller Wahl als eines der Alben des Jahrzehnts feiern, wieder dabei ist, neben dem beseelten Avantgarde-Musik-Veteranen William Basinski, den ich überhaupt erst durch Jlin entdeckte.

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Jlin - Black Origami | Bild: Planet Mu (via YouTube)

Jlin - Black Origami

Als ich sie vor zwei Jahren als Gast in meiner Berliner Veranstaltungs-Reihe „Plattenspieler“ hatte, distanzierte sie sich bereits davon, als Footwork Producer bezeichnet zu werden. War sie wahrscheinlich auch nie wirklich gewesen, denn sie teilte eben nicht den sozialen Raum mit diesen toughen Jungs, und sie erzählte mir von Ballett-Projekten an der Pariser Oper und dergleichen hochkulturell ambitionierten Vorhaben mehr. Ihr "Autobiography" Album von vergangenem Jahr löste diese Versprechen einen Schritt weiter ein, wenngleich es hier nicht um ihr Leben, sondern eine Inszenierung des Chicagoer Choreographen Wayne McGregor ging. In Klammern: Tough ist Jlin natürlich auch.


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