Rauchende Schlote eines Heizkraftwerks in Voerde am Niederrhein (im Abendlicht)
Bildrechte: picture alliance / blickwinkel/H. Blossey | H. Blossey

International und in Deutschland – in Ost und West – herrschte zu Beginn der 1970er-Jahre Aufbruchstimmung in Sachen Umweltschutz.

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Stockholm+50: Wie der UN-Gipfel 1972 die Welt verändert hat

Wenn man Geburtsort und -jahr der internationalen Umweltpolitik nennen sollte, wäre die Antwort: Stockholm, Juni 1972, bei der 1. Umweltkonferenz der Vereinten Nationen. Aber auch in Deutschland herrschte Aufbruchstimmung in Sachen Umweltschutz.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Vor 50 Jahren konnte man die Luftverschmutzung in Deutschland noch mit bloßem Auge sehen – und riechen. Die Forderung des SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt im Wahlkampf 1961, "der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden!", war noch nicht in Erfüllung gegangen.

Große Mengen Schwefeldioxid kamen aus den Schornsteinen von Kohlekraftwerken, jede Menge anderer Chemikalien aus Industriekaminen. Autos bliesen komplett ungefilterte Abgase in die Stadtluft – und das Benzin enthielt hochgiftiges Blei, um die Zündung zu regulieren. Ähnlich sah es beim Wasser aus: Kläranlagen, soweit vorhanden, siebten vor allem die Feststoffe aus, viele Flüsse waren trüb oder trugen Schaumkronen. Abfälle landeten auf Deponien, die nicht immer nach unten gut abgedichtet waren, oder schlicht auf Müllkippen.

Erlahmender Elan in Ostdeutschland in Sachen Umweltschutz

Aber große Demos für saubere Luft und Flüsse gab es noch nicht, allenfalls kleine, lokale Bürgerinitiativen. Die Aufbruchstimmung im Umweltschutz war, wie so oft in Deutschland, eine "Revolution von oben". Ein entscheidender Schritt war das erste Umweltprogramm einer Bundesregierung im Herbst 1971 und in der DDR mit der Gründung des Umweltministeriums 1972 – dem zweiten in Europa nach Schweden.

Die DDR hatte auch ein sehr fortschrittliches Umweltschutzgesetz. Allerdings wurde es nicht allzu engagiert angewendet, zumal es dem Ministerium an Durchsetzungsmöglichkeiten im Zentralkomitee der SED fehlte, dem eigentlichen Machtzentrum. Die DDR wagte so viel Fortschritt, weil sie an der ersten UN-Umweltkonferenz in Stockholm vom 5. bis 16. Juni 1972 teilnehmen wollte. Was ihr aber versagt blieb, weil sie kein UN-Mitglied war.

Im Westen Deutschlands gibt es erstmals ein Umweltprogramm

Die Bundesregierung hingegen konnte in Schweden ihr Umweltprogramm präsentieren, entwickelt von der neuen Umweltabteilung des Bundesinnenministeriums. Umweltverbände spielten damals noch kaum eine Rolle, sie zu fördern war sogar Teil des Umweltprogramms. Und so spendierte das Innenministerium den Aktivisten vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz 1972 die Reisekosten für ihre Gründungsversammlung. Vor allem aber wurde der Umweltschutz von der kommunalen oder Länderebene auf die Bundesebene gezogen und in Gesetzesform gegossen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse treiben die Umweltpolitik voran

Den Anfang machte 1972 das Abfallbeseitigungsgesetz, das in den folgenden Jahrzehnten eine Art Evolution durchlief, in der Recycling und Abfallvermeidung einen immer größeren Stellenwert bekamen, bis 2012 das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft trat.

Wichtig war auch das erste Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1973, denn es enthält das sogenannte Vorsorgeprinzip, das zum Leitmotiv der Umweltpolitik nicht nur in Deutschland wurde. Ziel war, mögliche zukünftige Probleme zum Beispiel durch die genaue Analyse des Umweltverhaltens neuer Chemikalien zu vermeiden.

Luftreinhaltung in Deutschland erst in den 80er-Jahren Thema

Bei der UN-Konferenz in Stockholm 1972 versuchte die Bundesregierung, das eigentlich brandaktuelle Thema Luftverschmutzung möglichst zu vermeiden. Denn die skandinavischen Länder hatten festgestellt, das durch Ferntransport von Schwefeldioxid und Stickoxiden unter anderem aus dem Ruhrgebiet im hohen Norden die Seen versauerten – und Deutschland hatte Angst vor Schadenersatzklagen. Erst als etliche Jahre später in Deutschland fernab von Industrieregionen Waldschäden durch sauren Regen auffielen, änderte sich die Haltung der Regierung, und das Vorsorgeprinzip kam auch hier zum Tragen: In den 1980er-Jahren wurden entscheidende Fortschritte in der Luftreinhaltepolitik erzielt, allein die Schwefeldioxid-Emissionen sanken um rund 90 Prozent.

Gerade das Thema der weiträumigen Luftverschmutzung war aber in Stockholm mitentscheidend dafür, dass 1972 zum Geburtsjahr der internationalen Umweltpolitik wurde – mitten im Kalten Krieg. Man erkannte, dass nur eine internationale Zusammenarbeit die Probleme lösen kann. Für die Umweltpolitik gab es auch in der politischen "Eiszeit" Gesprächskanäle zwischen Ost und West. Noch 1972 wurde das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gegründet, heute eine große Institution – und eine direkte Folge der ersten UN-Umweltkonferenz in Stockholm vor 50 Jahren.

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