20.02.2024, Bayern, Nürnberg: Menschliche Überreste liegen in einem der größten in Deutschland entdeckten Pestgräber.
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Die Ausgrabungsstätte in Nürnberg-Johannis. Bei Bauarbeiten wurde ein großer Pestfriedhof entdeckt, mit mehr als 700 Toten. Wie damit umgehen?

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Nürnberger Pestfriedhof: Ist das Bazillus noch gefährlich?

Nach dem Fund des großen Pestfriedhofs in Nürnberg haben viele BR24-User Fragen: Sind die Pesterreger noch aktiv? Wie gefährlich sind sie für Anwohner und Experten? Ist der Umgang mit den Toten würdevoll? "Dein Argument" hat Experten dazu befragt.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

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Die Entdeckung des wohl größten Pestfriedhofs Deutschlands bei Bauarbeiten für ein Seniorenheim in Nürnberg-Johannis hat für großes Aufsehen gesorgt. Gleichzeitig hat der Fund des Massengrabs mit mehr als 700 Pesttoten aus dem 17. Jahrhundert, den Archäologen nun bergen, auch einige Fragen aufgeworfen, wie Kommentare unter dem BR24 Artikel "Deutschlands größter Pestfriedhof in Nürnberg gefunden" verdeutlichen.

Ist der Pestbazillus aus den Gräbern heute noch ansteckend?

Angesichts der Tatsache, dass es sich um ein Massengrab aus der Pestzeit handelt, kam die Frage auf, ob es noch möglich ist, sich bei den Ausgrabungen oder als Anwohner an der Ausgrabungsstätte des Pestfriedhofs mit dem Pestbazillus anzustecken. So schrieb "Meikel": "Für mich stellt sich die Frage, ob die Pest-Bazillen durch die Ausgrabungen wieder aktiviert werden können."

Nürnbergs Stadtarchäologin Melanie Langbein erklärt dazu auf BR-Nachfrage, dass sich an den jahrhundertealten Skeletten keine aktiven Pesterreger mehr befänden. Die Archäologin beruft sich dabei auch auf Angaben, die auf der Internetseite des Robert Koch Instituts (RKI) zu finden sind. Die Pest ist demnach eine Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Yersinia pestis verursacht wird. In Deutschland kommt die Pest nicht mehr vor. Die Erkrankung kann mit Antibiotikum behandelt werden.

Laut Melanie Langbein wird in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig versucht, noch DNA-Spuren des Pesterregers aus den Zähnen Verstorbener zu extrahieren. Die Analyseergebnisse stehen noch aus.

Lasst die Toten ruhen – oder?

Diskutiert wurde im Netz auch darüber, ob und wie ein würdevoller Umgang mit den Pesttoten aussehen könnte. So schrieb User "MalEhrlichGesagt": "Was soll diese Ausgraberei? Lasst die Toten ruhen, lasst die Leichenschändung im Namen der Archäologie." Auch User "Wind" findet: "Man sollte die armen Toten in Ruhe lassen. Schon mal was von Totenruhe gehört? Unter dem Deckmäntelchen von Wissenschaft wird hier gebuddelt und gebuddelt. Das finde ich nicht richtig." Dieser Meinung schlossen sich auch weitere Kommentatoren an.

Andere waren aber ganz anderer Meinung. So kommentiere "weynstain": "Diese Menschen sind vor knapp 400 Jahren aus purer Not ohne die Absicht irgendeines Gedenkens verscharrt worden. Die respektvolle Ausgrabung ermöglicht ein Gedenken. Wie sieht Ihre Alternative aus? Nicht bauen? Oder einfach wegbaggern?"

Experte plädiert für würdevollen Umgang mit den Pesttoten

Diese Frage hat Bayern 2 dem Medizinhistoriker Fritz Dross von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg (FAU) gestellt. Der Experte plädiert für einen würdevollen Umgang mit den Toten im Nürnberger Pestgrab. Die mehr als 700 Toten sollten nicht nur als historischer Fund betrachtet werden, fordert er. "Auch und gerade als Wissenschaftler will ich betonen, dass wir Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen uns nicht den Zynismus herausnehmen sollten, die gefundenen menschlichen Überreste als de-personalisiertes und damit entmenschlichtes Material wie Porzellanscherben, Münzen oder historische Werkzeuge zu betrachten", sagte Dross.

Das "große Sterb" in Nürnberg zur Pestzeit

Die Menschen seien im 17. Jahrhundert unter grausamen Umständen an der Pest gestorben und dann regelrecht entsorgt worden, so Dross. Als Grund für die Seuche vermutet er die Belagerung durch den böhmischen Feldherren Wallenstein.

Viele Menschen aus dem Umland hätten hinter den Mauern Nürnbergs Schutz gesucht. Dort seien sie auf engem Raum unter katastrophalen hygienischen Bedingungen eingepfercht gewesen – "ideale Bedingungen für ansteckende und übertragbare Krankheiten" schlussfolgert Dross. In historischen Quellen aus Nürnberg sei oft die Rede vom "großen Sterb". Die Pestopfer wurden in den Massengräbern in Sankt Johannis übereinandergestapelt – Pietät musste damals der Effizienz weichen.

Ausstellung in Gedenken an die Pestopfer

Für die Menschen der damaligen Zeit war eine Seuche wie die Pest nach Worten des Medizinhistorikers nicht ungewöhnlich: "Die Menschen waren das massenhafte Sterben im Prinzip gewohnt: Zwischen 1427 und 1634 gab es keine zwei aufeinander folgende pestfreie Jahrzehnte in der Reichsstadt." Ein würdevolleres Begräbnis als die Beisetzung in einem Massengrab hätten sich die Betroffenen wohl dennoch gewünscht, so Dross.

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) hat bereits angekündigt, dass es eine Dauerausstellung über die Geschichte des Pestgrabs geben und dass dabei würdevoll mit den Toten umgegangen werden soll. Dafür ist ihm Dross sehr dankbar.

Im Video: Pestfriedhof bei Bau eines Seniorenheims entdeckt

Einige der Gebeine die St. Johannis augehoben wurden. Ihre Färbung entsteht durch Kupferbelastung in der Erde.
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Pestfriedhof in Nürnberg-Johannis, entdeckt bei Erdarbeiten auf einer Baustelle für ein neues Seniorenheim.

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