Mann mit Mund-Nasen-Schutz geht an einem Hinweisschild vorbei.
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Mann mit Mund-Nasen-Schutz geht an einem Hinweisschild vorbei.

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#Faktenfuchs zu Masken: Diskussion um wissenschaftliche Beweise

Wissenschaftler halten Alltagsmasken für so sinnvoll, dass die Politik sie zu einem Baustein der Corona-Maßnahmen machte. Dennoch debattieren Fachleute über die wissenschaftlichen Beweise, die hinter der Empfehlung für den Mund-Nasen-Schutz stehen.

Warum eine Alltagsmaske tragen? Die Antwort, die offizielle Stellen darauf geben, lässt sich unterm Strich so zusammenfassen: Weil das nach bisherigen Erkenntnissen dazu beiträgt, die Verbreitung des Coronavirus zu verringern. Nicht alle Bürger sind überzeugt vom Maskentragen. Auch den #Faktenfuchs erreichen kritische Zuschriften, die sich ihrerseits auf die Wissenschaft berufen. Ein #Faktenfuchs dazu, worin sich Forscher einig sind und worauf sich ihre Debatte zum Masketragen bezieht.

Der Stellenwert der Alltagsmasken

Alltagsmasken gelten nicht als alleiniges Mittel gegen die Ausbreitung des Coronavirus, sondern als ein Hilfsmittel. So schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:

"Das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen kann neben anderen Maßnahmen nach aktuellem Wissensstand helfen, die Verbreitung von SARS-CoV-2 weiter einzudämmen - auch wenn keine Krankheitszeichen vorliegen." Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Als wirksamsten Schutz nennt die Behörde das Einhalten der Hygiene- und Verhaltensregeln. Abstand halten, Hände waschen, Isolation von Erkrankten oder jetzt im Teil-Lockdown möglichst ganz auf Kontakte zu verzichten – das alles sind wichtige Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Die Alltagsmasken haben den Stellenwert eines Bausteins im Maßnahmenpaket.

"In der Wissenschaft gab es und gibt es einen klaren Konsensus, dass mit den Masken ein protektiver Mehrwert geschaffen wird – sowohl zum Selbstschutz als auch Fremdschutz", erklärt Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing und Mitglied der Leopoldina Ad-hoc-Beratungsgruppe zu Covid-19.

Mund-Nasen-Schutz zur Reduktion der Tröpfchen-Infektion

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt in ihrer Ad-hoc-Stellungnahme vom 3. April 2020 eine flächendeckende Nutzung von Mund-Nasen-Schutz, weil es die Übertragung der Viren reduziere, vor allem durch eine Reduktion der Tröpfcheninfektionen. Da sich eine große Zahl unerkannt Erkrankter ohne Symptome im öffentlichen Raum bewege, schütze eine Mund-Nasen-Bedeckung andere Menschen, verringere damit die Ausbreitung der Infektion und senke somit mittelbar das Risiko, sich selbst anzustecken, heißt es in dieser Stellungnahme. Die Forschungsgemeinschaft betont in ihren Ausführungen immer auch das Ziel, mit verschiedenen Maßnahmen zur Normalisierung des öffentlichen Lebens beizutragen.

Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) hebt in seiner Empfehlung für das Masketragen "in bestimmten Situationen" im öffentlichen Raum hervor, dass "ein relevanter Teil" der Übertragungen unbemerkt erfolge. Also dann, wenn Menschen sich gesund fühlen, aber infiziert und ansteckend sind. Infizierte sind schon einige Tage vor dem Auftreten der Symptome ansteckend oder auch dann, wenn sie gar keine Symptome entwickeln.

"Eine teilweise Reduktion dieser unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen durch das Tragen von MNB könnte auf Populationsebene zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen." FAQ des RKI.

Dies betreffe die Übertragung im öffentlichen Raum, dort, wo mehrere Menschen zusammentreffen und sich länger aufhalten - zum Beispiel am Arbeitsplatz. Oder auch dort, wo die 1,50 Meter Abstand nicht immer eingehalten werden können, zum Beispiel in einem Geschäft oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Es gelte auch bei Menschenansammlungen im Freien, wenn der Mindestabstand von 1,50 Meter nicht eingehalten werden könne.

Mund-Nasen-Bedeckungen im öffentlichen Raum wirken dem RKI zufolge besonders dann einer Ausbreitung des Virus entgegen, “wenn sich möglichst viele Personen daran beteiligen”.

Zwischenfazit:

Den Alltagsmasken wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Leopoldina ein zusätzlicher Effekt zu Hygiene- und Verhaltensregeln zugesprochen. Das Robert Koch-Institut empfiehlt die Alltagsmasken in der Öffentlichkeit, wenn 1,50 Meter Abstand nicht eingehalten werden können. Das soll besonders unerkannte Infektionen, von denen weitere Ansteckungen ausgehen können, aufhalten. Das RKI erachtet das Tragen der Mund-Nase-Bedeckung im öffentlichen Raum vor allem dann für wirksam, wenn sich möglichst viele Menschen daran beteiligen.

Die zurückgenommene Kritik des Ärztepräsidenten

Aber Wissenschaftler streiten auch darüber, ob die Beweise fürs Tragen der Alltagsmasken ausreichend stark sind oder ob es vielleicht nur einleuchtende Gründe sind – ohne strenge wissenschaftliche Kriterien zu erfüllen. Kürzlich brachte ein Funktionär die Kritik auf die TV-Bühne – und nahm sie dann auch direkt wieder zurück. Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer, hatte am 21. Oktober in der Talksendung "Markus Lanz" zum Tragen von Masken an der frischen Luft gesagt: "Ich glaube, dass das wenig bringen wird. Außerdem schützten Alltagsmasken ihren Träger nicht und böten “auch nur ganz wenig im Schutz, andere anzustecken."

Der Ärztepräsident befürwortete zwar den Mund-Nase-Schutz in bestimmten Situationen, in denen man den Abstand nicht einhalten könne, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in engeren Räumen. Aber der Zweifel am Nutzen draußen war geäußert - ein Anknüpfungspunkt auch für jene, die sich dem Maskentragen ganz verweigern wollen. Zahlreiche Ärzte widersprachen. Reinhardt veröffentlichte daraufhin mit Vertretern von Medizinverbänden eine gemeinsame Erklärung, in der es heißt:

"Trotz aller noch bestehender Unsicherheit resultiert aus den Daten aus Sicht der Unterzeichner die klare Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes." Gemeinsame Erklärung von Medizinverbänden

In der TV-Sendung hatte Reinhardt gesagt, dass er von Alltagsmasken nicht überzeugt sei, "weil es auch keine tatsächliche wissenschaftliche Evidenz darüber gibt, dass die tatsächlich hilfreich sind". Zwei Tage später lenkte er ein und teilte mit: "Die aktuelle Evidenz aus vielfältigen Studien spricht für einen Nutzen des Mund-Nasen-Schutzes."

Knackpunkt ist die Evidenz – die wissenschaftliche Beweiskraft. Auch wenn die Evidenz angezweifelt wird, heißt das nicht, dass die Masken nichts nützen. Sondern das heißt, dass Kritiker die Beweise und Studien für zu schwach halten, um die Wirkung zweifelsfrei zu belegen. Ein Beispiel dafür ist eine angesehene, von der WHO in Auftrag gegebene Studie, publiziert im Juni 2020.

WHO-Studie mit Maskenempfehlung

In einer übergreifenden Analyse untersuchten Wissenschaftler 172 Beobachtungsstudien der vergangenen Jahre aus 16 Ländern zu Masken. Im Ergebnis, das in der Fachzeitschrift "The Lancet" publiziert wurde, heißt es, dass Gesichtsmasken das Infektionsrisiko erheblich reduzieren könnten, N95- oder ähnliche Masken mehr als chirurgische Einwegmasken: "Face mask use could result in a large reduction in risk of infection (…), with stronger associations with N95 or similar respirators compared with disposable surgical masks or similar (...).“ Die festgestellte Verringerung des Infektionsrisikos liege bei etwa 80 Prozent.

Die Wissenschaftler um Holger Schünemann von der McMaster Universität in Hamilton in Kanada erklärte in ihrem Fazit, dass das Ergebnis auf der derzeit höchsten verfügbaren Evidenz beruhe und Leitlinien stützen könne, aber dass noch randomisierte Studien nötig seien: "Robust randomised trials are needed to better inform the evidence for these interventions, but this systematic appraisal of currently best available evidence might inform interim guidance."

💡Randomisierte kontrollierte Studie

Evidenzbasierte Medizin handelt nach den besten zur Verfügung stehenden Daten, also nach Erkenntnissen mit der höchsten Evidenz. Das sind im besten Falle hochwertige klinische Studien, bei denen die Patienten oder Versuchsteilnehmer zufällig in Gruppen eingeteilt werden (Randomisierung). Dadurch werden bekannte und unbekannte Faktoren möglichst gleich verteilt.

Angesichts der übergreifenden Analyse hatte die WHO ihre Empfehlungen aktualisiert. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte am 5. Juni, dass Regierungen dann ihre Bevölkerung zum Masketragen ermutigen sollten, wenn eine ausgedehnte Virusverbreitung vorliege und der nötige Abstand nicht eingehalten werden könne: "In light of evolving evidence, WHO advises that governments should encourage the general public to wear masks where there is widespread transmission and physical distancing is difficult, such as on public transport, in shops or in other confined or crowded environments."

Und der WHO-Generaldirektor ergänzt, dass auf Grundlage dieser neuen Forschung Stoffmasken aus mindestens drei Schichten unterschiedlichen Materials bestehen sollten. Daneben weist die WHO auch immer auf die Hygieneregeln beim Masketragen hin, wie zum Beispiel nicht auf die Abdeckfläche zu fassen. Wo es zu Übertragungen in der Öffentlichkeit kommen könne, rät die WHO Menschen über 60 Jahren oder mit Vorerkrankungen zu einer medizinischen Maske.

Kritik von Krankenhaus-Hygienikerin am Klinikum Passau

Ines Kappstein, Leiterin der Klinikhygiene am Klinikum Passau und Kritikerin der Maskenpflicht, folgert in einem Youtube-Audio: "Es gibt also auch nach dieser Lancet-Review keine Evidenz für Masken." Die Studienmacher sprächen selber den Mangel an besserer Evidenz an. Kappstein, die sich dabei auf Alltagsmasken im öffentlichen Raum bezieht, meint: "Sie hätten auch sagen können, es fehlen aussagefähige Studien, und darüber müssen wir diskutieren." Die WHO-Studie ist nach Ansicht Kappsteins auch keine Empfehlung fürs generelle Masketragen in der Öffentlichkeit, sondern "nur in besonderen epidemiologischen Situation in umschriebenen Regionen mit hohen Infektionszahlen, die nicht durch Ausbrüche bedingt sind, und nicht als landesweite Maskenpflicht".

In einem bei Thieme erschienen Artikel mit der Überschrift "Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit" behauptet Kappstein, "dass alle nationalen und internationalen Gesundheitsbehörden entgegen der wissenschaftlich etablierten Standards der Evidence-based Medicine eine Einschätzung zum Tragen von Masken im öffentlichen Raum mit großer Tragweite abgegeben haben, die lediglich auf sog. plausiblen Überlegungen beruht (...)". Das reicht ihrer Ansicht nach nicht aus als Entscheidungsbasis für politische Entscheidungen.

Entgegnung von Leopoldina-Wissenschaftler

Anderer Ansicht ist Clemens Wendtner, Mitglied der Leopoldina Ad-hoc-Beratungsgruppe zu Covid-19: "Man muss in der angewandten Wissenschaft gewisse ‚Bodensätze‘ akzeptieren und kann nicht für jedes Thema alle Instrumente der Arzneimittelforschung wie randomisierte Studien mit und ohne Masken bei tausenden von Probanden fordern, dies wäre auch angesichts der Infektionsgefahr ethisch problematisch."

Die Diskussion um die wissenschaftlichen Standards wird auch in den USA geführt. Die Wissenschaft stehe dahinter, dass Mund-Nase-Bedeckungen in der Pandemie Leben retten könnten, heißt es in einem Artikel der Zeitschrift "Nature" vom 6. Oktober, dennoch debattierten die Experten weiter darüber, wie gut die Beweise sein müssen.

Als in der Pandemie die Frage aufgekommen sei, ob die Bevölkerung Masken tragen sollte, wären normalerweise klinische Studien erfolgt, so Kate Grabowski, Epidemiologin an der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore laut dem Artikel, "aber dafür hatten wir einfach keine Zeit". Daher hätten sich die Wissenschaftler auf Beobachtungs- und Laborstudien verlassen. Vieles sei noch nicht erforscht zu Covid-19, heißt es in dem "Nature"-Bericht weiter. So seien sich die Wissenschaftler zum Beispiel noch nicht einig, welche Partikelgröße für die Übertragung der Krankheit am wichtigsten ist.

Weitere Studien zur Wirksamkeit von Masken

Zur Wirksamkeit verschiedener Maskenarten gibt es viele Studien, unter anderem auch tierexperimentelle Daten. Forscher aus Hongkong wiesen an Hamstern nach, dass sich durch OP-Masken die kontaktlose Übertragung des Coronavirus um mehr als 60 Prozent verringern lässt. Ohne chirurgische Maske infizierten sich zwei Drittel der Hamster binnen einer Woche. Bei den Tieren, die sich trotz Maske infizierten, war der Virenbefall zudem weniger stark als bei Infektionen ohne Maske.

Für die Studie wurden mit dem Coronavirus infizierte Hamster neben einen Käfig mit gesunden Tieren gesetzt. Zwischen den beiden Käfigen wurden OP-Masken platziert. Es sei deutlich geworden, dass das Maskentragen durch Infizierte, insbesondere wenn sie keine Symptome zeigen, "sehr viel wichtiger ist als alles andere", sagte Studienleiter Yuen Kwok-yung, einer der weltweit führenden Coronavirus-Experten. Der Mikrobiologe war einer der Entdecker des Sars-Virus im Jahr 2003 - eines Vorläufers des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2.

Auch die Aerosolforschung untermauert, dass Masken eine Barriere-Wirkung haben. Physiker von der Bundeswehr-Universität konnten zeigten, dass Alltagsmasken trotz eingeschränkter Filterleistung die Verbreitung infektiöser Tröpfchenwolken klein halten.

Fazit:

Kritiker monieren, dass die vorliegenden Studien zu Gesichtsmasken nicht die nötige wissenschaftliche Beweiskraft – die nötige Evidenz – hätten. Auch in anderen Ländern streiten sich Wissenschaftler darum, wie fundiert die Beweise für Entscheidungen in der Corona-Pandemie sein müssen. Wissenschaftler vom Robert Koch-Institut und der Leopoldina sind sich einig, dass das Tragen von Alltagsmasken zum Beispiel beim Einkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln empfehlenswert ist.

Mit Material der Nachrichtenagentur AFP

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