Ernst-Ludwig Winnacker: Gentechnik-Vorreiter, Virenfan, Wissenschaftsmanager.
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Ernst-Ludwig Winnacker: Gentechnik-Vorreiter, Virenfan, Wissenschaftsmanager.

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Ernst-Ludwig Winnacker: Biochemiker und Wissenschaftsmanager

Er hat die Biotech-Forschung in Bayern ganz großgemacht, weltweit junge Talente gefördert und gilt als Ideengeber der Exzellenzinitiative. Heute wird der Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker 80 Jahre alt.

Wenn Ernst-Ludwig Winnacker über Viren spricht, gerät er ins Schwärmen. Natürlich verbreiteten die Erreger Leid und Krankheit, gerade jetzt in der Corona-Pandemie, aber sie seien auch "gute Werkzeuge für die Forschung". Der Biochemiker hat sich schon früh Viren zum Modell genommen, um menschliche Zellen besser kennenzulernen.

"Wer versteht, wie sich ein Virus verändert und in seiner Wirtszelle vermehrt, kann viel über die Funktionsweise menschlicher, tierischer und pflanzlicher Zellen lernen", so Winnacker. Er ist fasziniert von den Erregern – blickt auf sie aber auch mit Ehrfurcht: Seine Ehefrau wäre Ende der 1960er Jahre in den USA beinahe der Hongkong-Grippe zum Opfer gefallen.

Boom der Molekularbiologie

Die Erforschung von Viren steht am Anfang der modernen Molekularbiologie und Genforschung. Als die richtig Fahrt aufnehmen, ist Winnacker live dabei. Er studiert und forscht an der Eliteuniversität ETH Zürich, im kalifornischen Berkeley und am Karolinska Institut in Stockholm. Dort lernt er in den 1960er und 1970er Jahren die Funktionsweise der Gene immer besser verstehen, beobachtet, wie sich Zellen spezialisieren und vermehren. Diese Erfahrungen bringt er mit zurück nach Deutschland und gründet 1984 das Genzentrum in München.

Biotechnologie made in Munich

Aus der Forschungseinrichtung hat sich mit den Jahren eine Art "Biotech Valley" entwickelt. Winnacker hat es von Anfang an geschafft, exzellente Forschende aus der ganzen Welt nach München und Martinsried zu holen, erinnert sich Professor Horst Domdey. "Da hat nie ein großes Komitee über Neuzugänge entschieden", berichtet Domdey, der später zusammen mit Winnacker das börsennotierte Unternehmen Medigene gegründet hat.

"Bei seinen vielen Reisen ins Ausland hat er talentierte Leute an den Universitäten direkt angesprochen und nach Deutschland geholt," so Domdey. "Und dann hat er sie machen lassen, hat ihnen vertraut." Mit Erfolg: Aus dem Genzentrum sind zahlreiche weitere Institute, Start-ups und Unternehmen hervorgegangen.

Geldspritze aus der Wirtschaft

"Ernst-Ludwig Winnacker ist ein hervorragender Wissenschaftsmanager", sagt Domdey. Das liegt zum einen daran, dass er sich stets die Unterstützung aus der Politik gesichert hat. Der Vater der Münchner Biotech-Branche konnte außerdem Unternehmen wie Hoechst, Wacker oder Boehringer Ingelheim überzeugen, die Forschung am Genzentrum mit hohen Summen zu fördern. "Da konnten wir auch mal ganz schnell ein Gerät kaufen, auf dessen Genehmigung wir sonst ein Jahr gewartet hätten", so Domdey.

Dass er nicht noch mehr weibliche Wissenschaftler für die Arbeit am Genzentrum gewinnen konnte, bedauert Winnacker. "Damals war es undenkbar, in Deutschland Forschungsgelder für einen Kindergarten auszugeben. Aber den brauchen sie, wenn sie Frauen und dreißigjährige Wissenschaftler beschäftigen wollen."

Winnackers bringt Idee, Exzellenz zu fördern voran

International vernetzt forschen, junge Talente zusammenbringen, Forscherinnen an Bord holen – das hat sich Ernst-Ludwig Winnacker auch als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Ziel gesetzt. Er hat die Organisation zur Wissenschaftsförderung von 1998 bis 2006 geleitet und rundum modernisiert. "Die DFG-Mitglieder haben von ihm gelernt, offen und frei zu diskutieren – auch über umstrittene Themen wie die Gentechnik oder Stammzellforschung", erinnert sich Jörg Hacker, ehemaliger Leiter des Robert Koch-Instituts und mehrere Jahre Vizepräsident der DFG.

Als weltläufig, inspirierend und bescheiden beschreiben ihn andere Kollegen. Und er war es auch, der – gerade zurückgekommen aus Boston – die Idee einer Exzellenzinitiative für Deutschland aufbrachte. Keine sechs Monate später nahm der Gedanke konkrete Formen an. In der ersten Auswahlrunde 2006 wählten der Wissenschaftsrat und die DFG die Ludwig-Maximilians-Universität München, die TU München und die TU Karlsruhe aus.

Unabhängige Forschungsförderung ist Winnacker wichtig

Zuletzt zog es den Wissenschaftsmanager wieder ins Ausland: Er wurde Generalsekretär des Europäischen Forschungsrats (ERC) in Brüssel und später des Human Frontier Science Programs (HFSP) in Straßburg. An beiden Stellen sorgte er dafür, dass exzellente junge Forschende großzügig gefördert werden, ohne, dass sich die Politik allzu sehr einmischt.

Am 26. Juli 2021 wird Ernst-Ludwig Winnacker 80 Jahre alt. Auf "Sein Leben mit Viren" blickt er in einem gerade erschienenen Buch zurück - schaut aber nicht weniger neugierig in die Zukunft. Er beobachtet interessiert, wie ein deutsches Biotech-Unternehmen die ganze Welt mit einem zuverlässigen mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus versorgt. Wie der Impfstoff von Biontech genau funktioniert und warum diese Art von Wirkstoff auch bei der Krebsbekämpfung helfen kann, darum soll es unter anderem in seinem nächsten Buch gehen.

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