Medikamente abgelaufen: Doch noch nehmen? (Symbolbild)
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Die Erkältungswelle rollt über Bayern: Doch was, wenn Medikamente abgelaufen sind?

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Abgelaufene Medikamente: Doch noch nehmen?

Alles schnieft und hustet: Bayern steckt mitten in einer Erkältungswelle. Doch was tun, wenn die Medikamente aus der Hausapotheke abgelaufen sind? Kann man Arzneimittel trotzdem noch nehmen - oder sollten diese direkt in die Tonne? Und in welche?

Erkältungen haben es so an sich, dass sie immer dann auftauchen, wenn man sie am wenigsten braucht. Besonders gern am Wochenende. Beim Griff in den Arzneimittelschrank fällt dann oft auf: Der Hustensaft ist schon vor einigen Monaten abgelaufen. Und die Kopfschmerztabletten dürfte man streng genommen auch nicht mehr nehmen. Bleibt also nur der Gang zur Apotheke? Oder verhält es sich bei Medikamenten wie bei vielen Lebensmitteln - und sie sind länger haltbar als vom Hersteller angegeben?

Studie: Einige Arzneistoffe nach 20 Jahren noch stabil

Ulrike Holz­grabe, Seniorprofessorin am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Universität Würzburg, ist dieser Frage unter Laborbedingungen nachgegangen. Sie untersuchte Arzneistoffe und Ampullen, die mindestens 20 Jahre, teils sogar über 40 Jahre alt waren. Das verblüffende Ergebnis: Zahlreiche Substanzen entsprachen selbst nach all den Jahren noch Arzneibuchqualität. Das heißt: Es gab keine unzulässigen Verunreinigungen und die Wirkstoffe hatten sich noch nicht abgebaut. "Überraschend stabil", folgerten Holzgrabe und ihre Mitautoren in der Deutschen Apothekerzeitung.

"Aus unseren Ergebnissen kann man schließen, dass viele Arzneimittel theoretisch länger gelagert werden können, aber das müssen systematische Stabilitätsstudien auch beweisen", erklärt Holzgrabe im Gespräch mit BR24. "Der Otto Normalverbraucher sollte sich strikt an das Verfallsdatum halten, denn die meisten verstehen nichts von der Sache und können nicht beurteilen, ob das Arzneimittel noch okay ist. Ich persönlich nehme 15 Jahre altes Ciprobay, weil ich weiß, dass keine Zersetzung stattgefunden haben kann." In Notfällen, sprich bei einem etwaigen Lieferengpass, könne man in einer Apotheke um Rat fragen, so Holzgrabe. "Aber das müssen Ausnahmen bleiben."

Apothekerin: Vorsicht bei Produkten mit Wassergehalt

Eine Apothekerin aus dem Landkreis Altötting schildert BR24, dass sie von ihren Kunden tatsächlich immer mal wieder gefragt werde, ob ein Medikament nach Ablauf des Verfallsdatums noch angewandt werden darf. Sie rät in solchen Fällen meist zur Vorsicht: "Meistens zersetzt sich der Inhaltsstoff, was zu einem geringeren Gehalt führen kann, zum Beispiel bei Aspirin. Es entsteht Essigsäure, was man dann riechen kann."

Gerade bei Produkten wie Augentropfen oder Mitteln zur Wundversorgung gelte es zu beachten, wie lange das Produkt nach Erstöffnung verwendet werden kann. "Es gibt immer Probleme mit der Reichdauer der Konservierung, wenn Wasser mit drin ist." Solche Produkte müssten zudem unbedingt steril sein, besonders, wenn sie von Kindern oder immungeschwächten Menschen genutzt werden.

Verfallene Antibiotika: Im "Worstcase" Resistenzen gezüchtet

Auch Pharmazie-Professorin Holzgrabe sagt: "Klar gibt es Unterschiede in der Stabilität zwischen Tabletten, die zumeist sehr stabil sind, Cremes oder Salben, die Wasser enthalten und deshalb einen Arzneistoff hydrolysieren können, und Injektionslösungen, bei denen in der wässrigen Lösung Abbaureaktionen einfacher passieren können." Aber letztlich sei die Stabilität von Arzneistoff zu Arzneistoff unterschiedlich, man könne keine generellen Regeln aufstellen.

Holzgrabe warnt im BR24-Gespräch noch aus einem anderen Grund davor, abgelaufene Medikamente auf gut Glück einzunehmen: "Wenn man an Penizillin denkt und andere Antibiotika, dann können diese hydrolysieren und sind dann unwirksam. Das bedeutet, dass man damit nicht nur keine bakterielle Infektion bekämpfen kann, sondern zudem Resistenzen züchtet. Das ist der Worstcase, der unbedingt vermieden werden muss." Das Schlimme daran sei, dass man dies bei einem Antibiotikum nicht unmittelbar feststellen könne - anders als etwa bei einem Schmerzmittel, dessen ausbleibende Wirkung sich rasch bemerkbar macht.

Warum wird das Verfallsdatum so knapp bemessen?

Um herauszufinden, wie lange genau ein Medikament nach Ablauf des Verfallsdatums noch genutzt werden kann, müssten also wissenschaftliche Studien her. Das fordert Holzgrabe schon lange: "Man könnte natürlich nach der Zulassung, also nach den klinischen Studien, Rückstellmuster über längere Zeit analysieren und dann nach und nach das Ablaufdatum weiter nach hinten schieben."

Einen ähnlichen Fall "haben wir kürzlich bei Paxlovid erlebt." Da das Medikament bei der Corona-Behandlung so dringend gebraucht wurde, sei es schnell zugelassen wurde, ohne dass die vorgeschriebenen fünf Jahre zur Stabilitätsuntersuchung des Arzneimittels zur Verfügung standen. "Man hat also nach der Zulassung die Stabilität weiter beobachtet", erklärt Holzgrabe.

Allerdings gibt sie zu bedenken: "Eine Haltbarkeit über fünf Jahre möchten die Hersteller natürlich nicht, denn dann würden Patienten ja erst später neue Arzneimittel kaufen und solche Studien kosten natürlich auch Geld." Hinzu komme, dass man nicht wisse, wie Arzneimittel in Haushalten gelagert werden, während Stabilitätsstudien einem strengen Lagerungsprotokoll folgen.

Abgelaufenen Medikamente - ab in den Hausmüll?

Wer seine Hausapotheke ausräumen will, sollte der Umwelt zuliebe auf die Mülltrennung achten: Kartonverpackungen gehören ins Altpapier, leere Blisterverpackungen oder Salbentuben in die gelbe Tonne. Leere Glasbehälter können - sortiert nach Farben - zusammen mit dem Glasmüll entsorgt werden. Verfallene Arzneimittel werden manchmal auch von Apotheken zurückgenommen, die sich dann um die Entsorgung kümmern. Apotheken sind dazu allerdings nicht verpflichtet, es handelt sich um einen Service für die Kunden.

Bei der Entsorgung gibt es zudem Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, in einigen Fällen wird zu einer Abgabe beim Recyclinghof oder einem Schadstoffmobil geraten. In Bayern dürfen die meisten Medikamente in den Hausmüll geworfen werden, sie landen somit bei der Müllverbrennung. Ausnahmen davon bilden etwa Krebsmedikamente, Impfstoffe oder Betäubungsmittel - das lässt sich im Beipackzettel nachlesen. Informationen darüber, welche Art der Entsorgung für den jeweiligen Wohnort gilt, gibt es auf der Website www.arzneimittelentsorgung.de.

Keinesfalls sollten Medikamente in die Toilette oder die Spüle gekippt werden, warnt das Umweltbundesamt. Die Kläranlagen seien nicht darauf ausgelegt, Wirkstoffe aus dem Abwasser zu waschen. Auch geringe Konzentrationen könnten einen Einfluss auf Wasserlebewesen haben oder in die Landwirtschaft gelangen.

Im Video: Können Hausmittel bei Erkältung wirklich helfen?

Viele vertrauen beim ersten Kratzen im Hals auf sogenannte Hausmittel, doch können die wirklich helfen?
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Viele vertrauen beim ersten Kratzen im Hals auf sogenannte Hausmittel, doch können die wirklich helfen?

Dieser Artikel ist erstmals am 13. November 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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