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Ceta-Handelsabkommen mit Kanada: Deutschland macht Tempo

Die Ampel-Fraktionen wollen das EU-Handelsabkommen mit Kanada jetzt im Bundestag ratifizieren – nach einer Kehrtwende der Grünen. Längst überfällig, sagen Befürworter. Gegner von Ceta sehen die Interessen von Konzernen über die Demokratie gestellt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der Bundestag befasst sich in erster Gesetzeslesung mit der Ratifizierung des umstrittenen Ceta-Abkommens. Der Wirtschaftsvertrag der EU mit Kanada ist als Handelsabkommen bereits seit 2017 in Kraft. Einige Zusatzvereinbarungen, an denen sich Globalisierungskritiker stoßen, müssen aber erst noch zu Landesrecht werden. Das ist in wichtigen EU-Staaten noch lange nicht Fall.

Grüne: Von schärfsten Ceta-Kritikern zu eifrigen Verfechtern

Vor allem die Grünen haben bei Ceta eine politische Kehrtwende vollzogen: von strikter Ablehnung zu voller Zustimmung und möglichst schneller Umsetzung. Auch die SPD gibt sich damit zufrieden, dass in besonders heiklen Punkten wie den privaten Schiedsgerichten, mit denen Unternehmen Staaten verklagen können, nur ein wenig nachgebessert wird. Globalisierungskritiker und Gewerkschaften befürchten, dass Ceta wie zuvor schon der geplatzte TTIP-Vertrag mit den USA vor allem die Macht der Konzerne stärken will.

Deutsche Exportunternehmen profitieren wenig von Ceta

So könnten sich Wirtschaftsbosse vorab über geplante Gesetze in EU-Ländern und Kanada informieren und notfalls auch gegen Klima- und Arbeitsschutzgesetze klagen, falls diese ihre Geschäftsinteressen gefährden. Solche Extremfälle fürchten die Regierungsparteien nicht. Erstaunlich ist, dass deutsche Exportunternehmen wie die Autoindustrie von der Zollfreiheit mit Kanada, die es seit 2017 schon gibt, kaum profitieren. Die Nachweise für die kanadischen Behörden, dass die Produkte mehrheitlich in der EU hergestellt wurden, sind offenbar zu aufwendig.

Wie wichtig ist der kanadische Markt für die EU?

So werden die deutschen Autos in Kanada genauso wie in den USA verkauft, als ob es Ceta gar nicht gäbe, noch nicht einmal als Zoll- und Handelsabkommen. Experten etwa vom Kieler Institut für Weltwirtschaft schätzen Kanada als wichtigen Markt ein, weil die privaten Einkommen und der Lebensstandard dort hoch sind und viele Waren importiert werden müssen. Auf der anderen Seite bietet sich Kanada als wichtiger Partner bei Rohstoffen und als Energielieferant zum Beispiel für Erdöl an.

Problem: Verschiedene Rechtsauffassungen bei Klimaschutz und Arbeit

Ähnlich wie die USA zählt Kanada beim Klimaschutz nicht zu den Vorreitern schon wegen des hohen Energieverbrauchs. Beim Abbau von Rohstoffen wie zum Beispiel von besonders umweltschädlichem Ölsand werden wirtschaftliche Interessen dem Naturschutz häufig untergeordnet. Gewerkschaften sind schwach in Kanada mit wenigen Ausnahmen und auch bei der Sozialgesetzgebung gibt es große Unterschiede. So befürchten Ceta-Kritiker, dass der Vertrag mit der EU dazu führen wird, dass auf beiden Seiten des Atlantiks bald niedrigere Standards gelten beim Klimaschutz und im Arbeitsrecht.

Konzerne klagen vor Schiedsgerichten gegen Landesgesetze

Denn, wenn ein Investor der jeweils anderen Seite sich an schärferen Normen stört, könnte er das als Investitionshindernis geltend machen vor einem privaten Schiedsgericht. Das könnte von dem Land die Aufhebung des Gesetzes verlangen, das die Interessen der Anleger stört. Solche Fälle hat es tatsächlich schon gegeben. So haben die Energiekonzerne RWE und Uniper die Niederlande vor einem solchen privaten Schiedsgericht auf einen Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt, weil das Land aus der Kohleverstromung aussteigen will. Diese Verfahren dauern meist mehrere Jahre. Der Ausgang ist offen. Das schafft Ungewissheiten für die Politik. Ironischerweise hat Uniper bei der deutschen Bundesregierung jetzt Staatshilfen beantragt. Weil sich der Konzern in eine besonders große Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland gebracht hat, soll die Allgemeinheit nun für diesen Managementfehler geradestehen.

  • Zum Artikel: Gasversorger in Schieflage: Bund plant Schutzschirm

Deutschland allein kann Ceta nicht zum Durchbruch verhelfen

So lange Länder wie Frankreich, Italien und die Niederlande das zweigeteilte Wirtschaftsabkommen Ceta mit Kanada nicht ratifizieren, hat es in der EU kaum eine Chance, wo die Zustimmung aller erforderlich ist. Die Begeisterung der Bundesregierung dürfte wenig an der Ablehnung von zehn anderen EU-Ländern ändern und ist eher von symbolischer Bedeutung. Die Bundesregierung will ein Zeichen setzen für einen freien Welthandel in einer Zeit zunehmender Handels- und Zollschranken und eines wachsenden Protektionismus, wie ihn der frühere US-Präsident Donald Trump mit seiner "America First"-Politik verkörperte. So sehen das auch der Außenhandelsverband BGA oder der Maschinenbauverband VDMA. Sie halten es für gut, wenn die größte Wirtschafts- und Handelsnation in der EU deutlich macht, dass sie keine isolationistische Politik verfolgt.

Kommt jetzt auch noch das TTIP-Abkommen mit den USA?

Als dritter Koalitionspartner in Berlin wollte die FDP einen Schritt weitergehen und auch noch das auf Eis gelegte TTIP-Abkommen mit den USA wieder beleben. Doch für TTIP, das Donald Trump einst scheitern ließ, können sich selbst Wirtschaftsverbände wie der VDMA kaum noch erwärmen. Der Maschinenbauverband hält die alten Vorschläge nicht mehr für geeignet, um damit die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA auf eine neue Grundlage zu stellen. Diese Chance sei verpasst worden, man müsse vielmehr mit dem weitermachen, was man jetzt zur Verfügung habe und darauf die weiteren Beziehungen aufbauen. Mit Trumps Nachfolger Joe Biden als Präsident scheint das wesentlich besser zu funktionieren, auch ohne neues Abkommen.

Wichtiger wäre ein Ende des WTO-Boykotts durch die USA

Was dagegen wirklich schadet und den Welthandel erschwert, ist die anhaltende Blockade der Welthandelsorganisation WTO. Dort haben die USA seit Ende 2000 wichtige Posten unbesetzt gelassen im obersten Gremium für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsländern, dem Dispute Settlement Body (DSB), der vorher ein effizienter Mechanismus war, um interne Konflikte wirksam zu beenden und Maßnahmen durchzusetzen.

Bei Auseinandersetzungen um Zölle oder unrechtmäßige Staatshilfen ist die WTO seitdem nicht mehr handlungsfähig. Die EU und weitere Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation haben zumindest eine Interimslösung erreicht. Im Rahmen einer locker vereinbarten Reform der WTO wird nun angestrebt, bis spätestens 2024 ein voll funktionsfähiges Streitbeilegungssystem wiederherzustellen.

Vor der WTO haben EU und USA zum Beispiel Jahrzehnte lang darüber gestritten, ob Airbus oder Boeing von ihren Ländern illegale Beihilfen bekamen und sich damit unrechtmäßige Vorteile im Handel mit Flugzeugen verschafften. Beide Flugzeughersteller mussten hohe Bußgelder bezahlen.

Aktuell geht es vor allem um die in vieler Hinsicht schwelenden Handelskonflikte zwischen den USA und China. Dabei will sich die Regierung in Washington keinem Richterspruch der WTO unterwerfen und ließ deshalb einige Richterstellen einfach unbesetzt, bis das Gremium nicht mehr beschlussfähig war.

Was ist die gemeinsame Kritik an der WTO und den Abkommen Ceta und TTIP?

Auch bei WTO und TTIP werden ganz ähnliche Vorwürfe erhoben wie gegen das Ceta-Abkommen mit seinen privaten außerstaatlichen Schiedsgerichten für Investoren. Auch der Handelsorganisation in Genf (die von den USA mitgegründet wurde) wirft man vor, sie sei undemokratisch, stehe unter dem Einfluss großer Konzerne und Wirtschaftslobbyisten. Sie benachteilige vor allem die ohnehin schwächeren Entwicklungs- und Schwellenländer und bevorzuge die westlichen Industriestaaten, die zugleich ihre Gründungsmitglieder sind.

USA inzwischen schärfster Kritiker von WTO und Multilateralismus

Die WTO in Genf steht wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) in Washington und die Vereinten Nationen in New York für eine ganze multinationale Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem starken Einfluss der USA geschaffen wurden. Geprägt war diese Phase von zahllosen politischen Absprachen und gemeinsamem Handeln zumindest in der westlichen Staatengemeinschaft. Dort sollte kein Land seine eigenen Interessen ohne Rücksicht auf andere verfolgen.

"America First" bleibt auch unter Biden ein bestimmendes Thema

Die Politik in Washington hat sich von diesem Modell aber inzwischen abgewandt und verfolgt für sich in vieler Hinsicht einen neuen Unilateralismus, bei dem die eigenen Interessen auch einmal ohne Rücksicht auf andere Staaten das Handeln bestimmen. Aus diesem Grund sind die USA auch zu einem schärfsten Kritiker der WTO geworden.

Vor allem im Wettbewerb mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China verfolgen die USA eigene Ziele, die nicht mit denen von Europa übereinstimmen müssen. Gerade in der laufenden Auseinandersetzung mit China will die Regierung in Washington freie Hand haben und sich wahlweise über die alte Wirtschaftsordnung des Multilateralismus hinwegsetzen können.

Aus diesem Grund halten es deutsche Verbände wie der VDMA für unrealistisch, die USA zum jetzigen Zeitpunkt mit Verhandlungen und einem neuen globalen Abkommen wie etwa TTIP einbinden zu können. Statt eines großen Gesamtpakets geht es eher um konkrete Streitpunkte, für die sich im Einzelfall mit etwas gutem Willen eine Lösung finden lässt. Auch eine positive Entscheidung des Bundestags zu Ceta wird an der verfahrenen Situation bei der WTO und den vielen anderen offenen Fragen rund um den Welthandel wenig ändern können.

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