Wirecard-Sitz in Aschheim
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Wirecard-Sitz in Aschheim

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BKA-Kooperation mit Wirecard: "Den Bock zum Gärtner gemacht"

Das Bundeskriminalamt hat nach BR-Informationen jahrelang eng mit dem Skandalkonzern Wirecard zusammengearbeitet. Die Bundesregierung hat die Kooperation in Antworten auf konkrete Anfragen der parlamentarischen Opposition bislang verschwiegen.

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Ende März 2014 ist die Stimmung zwischen Wirecard und dem Bundeskriminalamt (BKA) blendend. Gerade erst hat die zum Konzern gehörende Wirecard Bank AG für das BKA ein Problem gelöst – im Zusammenhang mit einem Konto, das die Bank im Auftrag der Behörde eingerichtet hat. "Ich darf mich ausdrücklich und herzlich bei Ihnen bedanken, insbesondere 'dass' und 'wie schnell' das Ganze von Ihnen umgesetzt werden konnte", schreibt ein Mitarbeiter der BKA-Abteilung "Schwere und Organisierte Kriminalität" per E-Mail an den damaligen Generalbevollmächtigten der Wirecard Bank.

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Wirecard: "Wir werden noch zur BKA-Hausbank"

Dieser leitet die BKA-Dankesmail am gleichen Tag an einen Vorstand weiter. Dazu schreibt er, "wir führen 2 weitere BKA Konten". Der Vorstand antwortet postwendend und überaus zufrieden: "Super – vielen Dank! Wir werden noch zur BKA-Hausbank." Die E-Mails sind Teil eines umfangreichen Datensatzes interner Wirecard-Unterlagen, den BR Recherche einsehen konnte. Er zeigt: Das BKA pflegte über Jahre eine enge Kooperation mit dem mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleister.

Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Wolfgang Wieland hat sich die Kooperation in seiner Funktion als Ermittlungsbeauftragter für den Wirecard-Untersuchungsausschuss genauer angesehen. In dem bisher unveröffentlichten Papier, das BR Recherche vorliegt, kommt er unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich das BKA die Frage gefallen lassen müsse, ob es nicht "als Instanz zur Bekämpfung von Geldwäsche und organisierter Kriminalität ihre Partner kritischer hätte unter die Lupe nehmen müssen". Stattdessen habe das BKA "den Bock zum Gärtner gemacht", schreibt Wieland weiter.

Wirecard gab Kreditkarten für BKA aus

So wählte das Bundeskriminalamt die Wirecard Bank aus, um mit Hilfe von Kreditkarten Verdächtige zu überwachen. Im Februar 2014 etwa wandte sich deswegen ein BKA-Beamter mit folgendem Anliegen an die Führung der Wirecard Bank: "Wir würden einer Zielperson gerne eine originalverschweißte mywirecard-VISA als 'Geschenk' geben, damit diese die Karte fleißig nutzt. […] Sobald die auf Überwachung gesetzte Karte eingesetzt wird, wird ein entsprechender Datensatz mit den Informationen unmittelbar an die Strafverfolgungsbehörde gesandt.“ Da die Zielperson sehr misstrauisch sei, müsse ihr diese Karte originalverpackt übergeben werden.

Über Jahre vertrauter Austausch zwischen Wirecard und dem BKA

Beim BKA ist das Vertrauen gegenüber dem Unternehmen offenbar so groß, dass die Behörde Wirecard in Fahndungskonzepte einweiht. Im Januar 2014 schickt sie an die Verantwortlichen bei der Bank ein Fax. Die BKA-Ermittler wollen Wirecard das "Fahndungskonzept 'E-Cash'" erläutern: "Hierzu haben wir bereits Geschäftsprozesse mit div. Kopfstellen und Unternehmen (…) vereinbart. Es würde sich aus unserer Sicht anbieten, Ihnen dieses Anliegen im Rahmen eines gemeinsamen Gesprächstermins (gerne bei Ihnen im Hause) näher zu erläutern."

Gute und unkomplizierte Zusammenarbeit

Zugleich war Wirecard stets bemüht, dem BKA die Arbeit so leicht und günstig wie möglich zu machen. Normalerweise anfallende Kontoführungs- oder Kreditkarten-Nutzungsgebühren erstattete das Unternehmen der Behörde. Dass Wirecard-Verantwortliche dadurch Einblick in die Kontobewegungen von verdeckten Ermittlungen erhalten haben, erfreut einen Vorstand der Wirecard Bank. Er will über Kontostände informiert werden, "dann sehe ich wenigstens, was über das Konto läuft", schreibt er in einer Mail im Juni 2014.

Danyal Bayaz, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss, sieht die Kooperation kritisch: "Bei einem Skandalkonzern wie Wirecard, wo ein Vorstand selbst Kontakte nach Russland, nach Libyen oder zu ehemaligen Sicherheitsbeamten aus Österreich hatte, wer weiß, was mit diesen Daten passiert ist, und das ist natürlich ein Riesenproblem."

Kooperation mit dem BKA als "Image-Politur"

Laut des Berichts des Ermittlungsbeauftragten Wolfgang Wieland ist dem Konzern die Kooperation mit dem BKA "wie gerufen" gekommen – "bei der Image-Politur weg vom Porno- und Glücksspiel-Finanzierer hin zum seriösen Partner von Politik und insbesondere Handelnden aus dem Sicherheitsbereich".

Für das BKA ist die Kooperation offenbar praktisch. Kurz vor Weihnachten 2015 bedankt sich die Behörde bei Wirecard: "Auch für das Jahr 2016 auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit." Und die läuft jahrelang. Nach Einschätzung des Ermittlungsbeauftragten Wieland sind allein im Bereich der operativen Führung von BKA-Vertrauenspersonen "im Zeitraum von 2014-2020 ca. 33 Prozent aller operativen Kreditkartenumsätze mit Wirecard getätigt" worden.

Dabei steht das Geschäftsgebaren von Wirecard längst in der Kritik, außerdem gibt es seit 2015 Ermittlungen gegen Wirecard-Verantwortliche wegen des "Verdachts der Geldwäsche" oder "Beihilfe zu unerlaubtem Glücksspiel". Für Prof. Thomas Feltes, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum, ist unverständlich, dass das BKA so lange mit Wirecard kooperiert hat: "Spätestens ab einem bestimmten Zeitpunkt, wo das BKA wusste oder wissen konnte, dass bei Wirecard nicht alles mit rechten Dingen zugeht, hätte man die Reißleine ziehen müssen."

Bundesregierung verschweigt die BKA-Kooperation mit Wirecard

Dieses enge Verhältnis zwischen dem BKA und Wirecard scheint der Bundesregierung im Nachhinein unangenehm zu sein. Diesen Eindruck macht zumindest die interne Kommunikation zwischen Kanzleramt und mehreren Ministerien kurz nach dem Wirecard-Kollaps im Juni 2020. Damals legte die Grünen-Bundestagsfraktion der Bundesregierung einen umfassenden Fragenkatalog vor. Darin will sie unter anderem wissen, ob die Wirecard AG oder eine ihrer Töchter Behörden "beraten, unterstützt oder in anderer Form mit diesen zusammengearbeitet" haben.

Das Bundeskanzleramt bittet daraufhin die einzelnen Ressorts um Zulieferung. Das Bundesinnenministerium als BKA-Aufsichtsbehörde meldet dem Kanzleramt die Zusammenarbeit des Bundeskriminalamts mit der Wirecard Bank. Doch die Experten im Kanzleramt kommen zu dem Schluss, "die bloße Nutzung von Bankkonten oder Kreditkarten" beinhalte keine Zusammenarbeit mit Wirecard "im Sinne der Fragestellung". Und so lautet die 10. August 2020 übermittelte Antwort: "Der Bundesregierung sind keine Kooperationen bekannt."

Der Grünen-Politiker Danyal Bayaz fordert eine umfassende Aufklärung dieses Vorgangs: "Wenn wir heute wissen, dass deutsche Sicherheitsbehörden zum Beispiel Kreditkarten über Wirecard genutzt haben, stellt sich natürlich die Frage, wurden hier mögliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland verletzt? Das ist ein hochbrisanter Vorgang. Und da müssen jetzt alle Karten auf den Tisch."

Weder das Bundeskriminalamt noch das Bundesinnenministerium wollten sich zu dem Vorgang äußern. Das Kanzleramt verwies auf die Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums.

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags wird sich am Donnerstag mit dem Bericht des Ermittlungsbeauftragten Wolfgang Wieland beschäftigen.

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