Ein Mann im Schattenriss sitzt müde am Arbeitsplatz
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Betroffene können nicht mehr aufhören zu arbeiten, auch jenseits der Erschöpfung

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Ähnlich wie Alkoholismus: Wenn Arbeit zur Sucht wird

Sie gilt als die "edelste der Süchte": Arbeitssucht. Kaum eine andere Sucht bekommt zunächst so viel gesellschaftliche Anerkennung. Trotzdem führt zwanghaftes Arbeiten zu ernsten gesundheitlichen Problemen bei den Betroffenen.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Margarete aus dem Landkreis Starnberg war wegen ihrer Arbeitssucht in Therapie. Sie erzählt, dass sie nicht mehr aufhören konnte zu arbeiten – werktags bis zur Erschöpfung und darüber hinaus am Wochenende oder auf dem Weg zur Arbeit in der S-Bahn. Sie kannte kein anderes Gesprächsthema mehr, ihre sozialen Kontakte wandten sich langsam von ihr ab, sogar ihre Tochter verließ das Zimmer, wenn sie wieder nur von ihrer Arbeit anfing.

Margarete heißt eigentlich anders, will aber anonym bleiben. Der Punkt, an dem sie erkannte, dass es so nicht mehr weitergeht, war bei ihr erreicht, als sie körperliche Ausfallerscheinungen bekam: Flimmern vor den Augen, Lähmungserscheinungen. Sie suchte eine Klinik auf und machte eine Therapie.

Studie: Jeder Zehnte ist arbeitssüchtig

Arbeitssucht ist ein weit verbreitetes Phänomen, das legt eine Studie nahe, die die Hans-Böckler-Stiftung im Mai 2022 veröffentlicht hat. Auf Basis einer Befragung von über 8.000 Erwerbstätigen in Deutschland schätzen Forscher, dass etwa 9,8 Prozent aller Berufstätigen hierzulande zwanghaft arbeiten: Sie arbeiten lange, haben Schwierigkeiten, sich von der Arbeit zu lösen, sind frustriert und aufgeregt, wenn sie nicht arbeiten können, und zeigen einen unflexiblen, zwanghaften Arbeitsstil. So definieren die Expertinnen und Experten Arbeitssucht.

Burnout und Depression

Margarete machte eine Therapie in der Adula-Klinik Oberstdorf. Deren Chefärztin Dr. Patricia Appel sagt: Das Krankheitsbild der Arbeitssucht wird zwar seit über 50 Jahren beschrieben – trotzdem ist es noch nicht offiziell anerkannt, Patienten kommen wegen der gesundheitlichen Folgen in Behandlung. Die Abgrenzung von exzessiver Arbeit zu suchthafter Arbeit sei noch nicht klar festgelegt.

Hellhörig, so Appel, sollte man werden, wenn Betroffene auch in der Freizeit nicht mehr abschalten können – also etwa am Wochenende oder im Urlaub Arbeits-E-Mails beantworten: "Dann kann es auch zu Folgeerscheinungen kommen wie zum Beispiel Depressionen, Angststörungen und psychosomatischen Beschwerden."

Abstinentes Verhalten fördern

Letztlich funktioniert Arbeitssucht ähnlich wie stofflich gebundene Süchte, etwa Alkoholismus: Die Betroffenen wiederholen zwanghaft ein bestimmtes Verhalten und finden von alleine nicht mehr aus diesem Verhalten heraus. In der Therapie hat Margarete gelernt, dass hinter ihrem Suchtverhalten ein Trauma aus ihrer Kindheit steht. Teil der Therapie war es dort auch, Strategien für ein abstinentes Leben zu lernen.

Margarete musste etwa ihr Handy abgeben, nur für eine Stunde am Tag hatte sie Zugang. Und sie musste eine Stunde am Tag einfach dasitzen und nichts tun – am Anfang für sie schrecklich, erzählt sie, später habe sie die Zeit genossen. Und dann vermittelt die Therapie Strategien für ein Leben als "trockener" Arbeitssüchtiger. Margarete will in ein paar Wochen in ihren Beruf zurückkehren. Deshalb nimmt sie weiterhin an Treffen einer Selbsthilfegruppe teil, um Unterstützung zu haben.

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