Es ist fünf Uhr morgens, als sich die Sonne langsam über die Alpen in Kiefersfelden schiebt. Joyce Hübner ist schon seit einer halben Stunde wach. Ganz routiniert füllt sie mehrere Plastikflaschen mit Wasser, steckt Proteinriegel in ihren Laufrucksack und frühstückt nebenbei drei belegte Brote.
Heute steht ihr 34. Marathon entlang der deutschen Grenze nach Kreuth am Tegernsee an. Anfang Mai ist sie in Frankfurt/Oder gestartet, seitdem ging es über Sachsen Richtung Alpen. Die Höhenmeter wurden immer mehr. Joyce hat sich die heutige Route schon eingeprägt. "Es geht immer wieder hoch und runter. Sechsmal am Tag. Das heißt, du hast nicht einen Anstieg, der dich komplett fertig macht, sondern die ganze Zeit. Wir kommen auf 2.000 Höhenmeter, was schon eine Ansage ist auf 42 Kilometer."
Todesangst in den Alpen
Gekonnt flechtet sie sich einen französischen Zopf von links nach rechts. "Meine Motivation hält sich noch in Grenzen. Aber ich kenne mich, ich weiß, dass es nachher gut wird." Es wirkt wie ein Mantra, denn der Schock von vor vier Tagen sitzt noch tief. Völlig unerwartet musste Joyce gemeinsam mit zwei Mitläufern einen Klettersteig überwinden, ohne passende Ausrüstung. "Ich hatte Todesangst. Es ging steil bergab und wir wussten nicht, wo unser Weg war." Am Ende haben sie für 42 Kilometer 13 Stunden gebraucht.
Auch heute wird Joyce nicht allein laufen müssen. Pünktlich um halb sieben steht eine kleine Gruppe von Trailrunnern am Startpunkt in der Nähe der Gießenbachklamm. "Wir verfolgen Joyce und ihre Läufe auf TikTok und Instagram und wollten sie in unserer Heimat unterstützen", sagt Jenny aus Bad Aibling. Sie ist eine von mehr als 250.000 Fans von @runninggirl.joyce.
Joyce Hübner wird von einigen Fans bei ihren Läufen begleitet.
Ein Jahr Planung und Vorbereitung
Joyce bezeichnet sich selbst als Hobbyläuferin. Sie hat an verschiedenen Wettkämpfen und Marathonläufen teilgenommen. Für das Laufprojekt auf der deutschen Grenze hat sie sich intensiv mit Kraft- und Ausdauersport vorbereitet. Die Idee dazu hatte ihr Freund Sven. "Alle Extremsportler laufen meist auf anderen Kontinenten. Dabei ist es vor der eigenen Haustür doch auch schön." Gemeinsam haben sie die deutsche Grenze in 120 Marathonabschnitte eingeteilt. "Wir wollen das in 140 Tagen schaffen", sagt Joyce, die sich dafür unbezahlten Urlaub genommen hat.
Ihr Plan: Sechs Marathons hintereinander, ein Tag Erholung. Nach den Läufen Yoga, Massagen und kalorienreiches Essen. Joyce und ihr Freund übernachten in Hotels oder bei Freunden. Alles war sie brauchen, ist im Auto.
Joyce Hübner nimmt ihre Fans auf Social Media mit auf ihrer Deutschlandumrundung.
Jeder Marathon ist anders
Für jeden Lauf plant Joyce Versorgungspunkte ein, wo Sven mit dem Auto an die Strecke ranfahren kann, zum Wasser nachfüllen und für eine kurze Pause. Auf der Strecke nach Kreuth gibt es drei solcher Stopps. Jeden erreicht Joyce mit einem breiten Grinsen. "Landschaft ist top, Stimmung ist top und das Knie zwickt auch nicht." Zum Glück, in den letzten Tagen gab es damit immer wieder Probleme. Das schwächt die Motivation. "Der gestrige Pausentag war gut. Jetzt läuft sich die Strecke einfach und wir kommen gut voran", sagt Joyce mit Blick auf ihre Sportuhr. Für die Hälfte haben sie knapp drei Stunden gebraucht.
Mit jedem Kilometer mehr steigen bei Joyce die Glücksgefühle. Bergab scheint sie den Berg runter zu fliegen, jauchzt wie ein Kind. Bergauf nimmt sie das Tempo raus. "Ich muss ja darüber nachdenken, dass ich noch ein paar Marathons vor mir habe." 86 Marathons sind es noch, bis sie Mitte September wieder in Frankfurt/Oder sein möchte.
Nach sechseinhalb Stunden kommt Joyce mit ihren Mitläufern ins Ziel. Glücklich, erleichtert und motiviert für die nächsten Läufe. In weniger als 24 Stunden wird der Laufrucksack wieder gepackt für die nächste Etappe.
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