Anfang der 80er-Jahre im Nordwesten Londons: Die namenlose Erzählerin ist sieben Jahre alt, als sie ihre zukünftige Freundin Tracey beim Ballettunterricht trifft. Wie sie hat Tracey hellbraune Haut – eine „dunklere Shirley Temple“, Stupsnase, Korkenzieherlocken bis zum Po, Rüsschenkleid. Tracey ist eine talentierte Tänzerin, die weiß, wie man Süßigkeiten am Kiosk klaut. Zu alten Fred-Astaire-Videos üben die begeisterten Freundinnen stundenlang Stepptanz. Doch nur Tracey schafft den Sprung auf die Musical-Bühne.
Das Alter Ego der Zadie Smith
Die Protagonistin ohne Namen hat dasselbe Alter wie Zadie Smith. Auch die Autorin wollte als Kind Stepptänzerin werden, sie wuchs in der gleichen Gegend von London auf. Zum ersten Mal schreibt Zadie Smith in „Swing Time“ in der ersten Person. Eindringlich und lebendig erzählt sie über die Freundschaft der beiden Mädchen, ihre Leidenschaft für den Tanz, ihre Geheimnisse, aber auch über ihre Konkurrenz, Eifersucht und ihr Misstrauen. Atmosphärisch und genau sind ihre Beschreibungen der unterschiedlichen Elternhäuser, eines auf den ersten Blick kaum wahr zu nehmenden Rassismus, der unguten Stimmung an der Schule, in der Polizistensöhne neben die Kinder von Kriminellen gesetzt werden.
"Damals war der Sommer der Pinkelpuppe. Man gab ihr Wasser zu trinken, und sie pinkelte überall hin.(...) Wir beide spielten die Eltern dieses bedauernswerten, inkontinenten Kindes, und aus den Texten, die Tracey mir vorgab, hörte ich manchmal merkwürdig verstörende Anklänge an ihr eigenes Familienleben heraus, oder vielleicht auch nur die zahllosen Serien, die sie sich ansah. Das wusste ich nicht genau. 'Jetzt bist du dran. Du musst sagen: Du Schlampe – die ist doch gar nicht von mir! Bin ich vielleicht schuld, dass sie sich immer anpinkelt? Los, du bist dran'." Zaddie Smith, Swing Time
Mehr Breite als Tiefe
625 Seiten mäandert der Roman durch die Zeiten. Zadie Smith springt in den kurzen Kapiteln hin und her: zwischen Kindheit, Pubertät und Erwachsenenalter – und zwischen den Figuren. Mal erzählt sie von ihrer Mutter, mal von Aimee, mal von Tracey. Damit versucht sie ihrem überlangen Roman Spannung, Vitalität und Tempo zu geben. Auch die Beschreibungen ihres Lebens bei Aimee zwischen Privatjet, Fitness und Lovern gehen in die Breite, jedoch nicht in die Tiefe. Als sie für Aimee im afrikanischen Busch eine Schule für Mädchen gründet, streift Zadie Smith trotz vieler Worte über einiges Ergründenswertes nur so hinweg: Korruption, Entwicklungshilfe, Sextourismus, Islamisierung.
"Man denkt immer, dass Farbige sich ihrer Identität sicher seien, weil sie einst um ihre Bürgerrechte kämpfen mussten, aber diese Leute können doch dasselbe fühlen wie alle anderen im 21. Jahrhundert: Entfremdung, Isolation, Langeweile. Vor allem auch Langeweile." Zadie Smith im Interview mit dem dänischen Louisiana Museum of Modern Art
Tatsächlich scheint auch die Hauptfigur in „Swing time“ an Langeweile, Isolation und Apathie zu leiden. Doch die Gründe werden von Zadie Smith nicht untersucht oder thematisiert. Das Hauptproblem dieses Romans mag die Figur der Erzählerin sein. Sie entwickelt sich nicht, macht keine Veränderung durch, sondern bleibt die distanziert agierende und schreibende Frau, die nicht weiß, wohin in ihrem Leben. Zwei Liebesaffären sind flau und nichtssagend, die Freundschaft mit Tracey flacht ab, die Mutter zieht sich zurück, mit Aimee kommt es zu einem Konflikt um einen Lover – doch nie kommt es zu tiefer gehenden Auseinandersetzungen oder Konfrontationen. Die Protagonistin bleibt ungerührt, und der Roman verliert nach den ersten überzeugenden Kapiteln seine Sogkraft.
Zadie Smith: "Swing Time“ . Roman. Aus dem Englischen von Tanja Handels, 640 Seiten, 24 Euro