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"Vom Boche zum Buddy": Wie Franzosen mit Deutschland ringen

Das Schimpfwort ist unvergessen: In Frankreich hießen Deutsche "Boche", eine Abwandlung des Ausdrucks für "Dickschädel". Wie konnten aus Feinden Freunde werden? Damit beschäftigt sich ein Internetprojekt zum Mitmachen. Von Anna-Elena Knerich

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die Münchner Filmemacherin Anna Brass ist überzeugte Europäerin, hat nach dem Abitur einen europäischen Freiwilligendienst und später dann ein Erasmus-Stipendium in Frankreich gemacht. Dabei hat sie sich viel damit beschäftigt, wie aus den lange Zeit verfeindeten Nationen Deutschland und Frankreich Partner – und irgendwann sogar die Gründungsväter der EU werden konnte. Dieser Frage geht sie nun in ihrem dokumentarischen Internetprojekt „Vom Boche zum Buddy“ nach, das sie kürzlich beim Dok.fest präsentierte und das man im Internet selbst erkunden kann.

"Sie haben es wahr gemacht"

Wie umgehen mit dem immer rauer werdenden Ton im Internet, mit "Hate Speech" und Hasskommentaren? Während sich Politiker und Medienvertreter darüber den Kopf zerbrechen, nutzen Populisten diese Tabubrüche bewusst für ihren Diskurs.

Sie haben es wahr gemacht: 51,9 Prozent der Briten haben entschieden, die EU zu verlassen. Guten Abend meine Damen und Herren, willkommen zur Tagesschau. Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten, entgegen allen Umfragen. Political Correctness ist deadly! - Zitat aus dem Projekt
Als dass dann passierte 2016, mit Brexit und Trump – da bin ich richtig nervös geworden, weil ich wusste: Diese ganzen Fragen, die wir uns heute stellen, die sind nicht neu, aber wahrscheinlich muss sie sich jede Generation immer neu stellen und neu für sich beantworten. Und ich dachte mir: Ich hab da Antworten und die möchte ich mit Euch teilen. - Anna Brass

Wie überwindet man Hass?

Diese Antworten stammen von französischen Zeitzeugen, die Anna Brass bereits 2006 interviewt hat: Sie wuchsen in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg auf, als in Frankreich wie in Deutschland gleichermaßen ein extremer Nationalismus herrschte. Später waren sie im Widerstand gegen das NS-Regime, wurden von den Nazis verhaftet, in Konzentrationslager deportiert, gefoltert. In ihrem dokumentarischen Internetprojekt „Vom Boche zum Buddy“ lässt die Filmemacherin Französinnen und Franzosen um die Neunzig davon erzählen, ob und wie sie ihren Hass auf „les boches“, also die deutschen Besatzer, überwinden konnten. Zwar basierte dieser Hass auch auf der Erbfeindschaft, die spätestens seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg zwischen beiden Nationen herrschte. Dennoch sieht Anna Brass Parallelen zur heutigen Zeit – und in den Ansätzen ihrer Protagonisten auch mögliche Antworten auf die noch immer aktuelle Frage: Wie überwindet man Hass?

Prozess ist nie wirklich abgeschlossen

Hier am Beispiel einer KZ-Überlebenden:

Die Zeit hilft, die Politik hat geholfen, auch persönliche Kontakte zur jüngeren Generation. Also sie listet da einiges auf, sagt dann aber: Als ich vor kurzem einen Artikel über Menschenversuche in den KZ in den Händen hielt, als ich den Artikel las, war der Hass wieder so stark wie am ersten Tag und es ist ein Prozess, der nie wirklich richtig abgeschlossen ist. - Anna Brass

Andere Protagonisten wiederum hätten sehr wohl Schlussstriche ziehen können: Etwa, indem sie nach dem Krieg deutsche Au Pair-Mädchen auf ihre Kinder aufpassen ließen. So konnte aus der jahrhundertelangen Erbfeindschaft eine Freundschaft werden – aus den „boches“ wurden „Buddys“.

Internet: Hier manifestiert sich Hass

Angetrieben von den politischen Umbrüchen 2016 beschloss Anna Brass, die Thematik neu aufzubereiten und ihre Entwürfe in genau jenem Medium zu präsentieren, in dem sich der Hass heute besonders manifestiert: dem Internet. Dadurch möchte sie vor allem die jüngere Generation erreichen – denn die hat bald nicht mehr die Möglichkeit, selbst mit Zeitzeugen zu sprechen.

Klick auf die Porträtfotos

Auf der Webseite „Vom Boche zum Buddy“ kann man sich interaktiv durch die Zeit von 1918 bis heute klicken und mit einem Puzzlespiel die Verschiebungen der deutsch-französischen Grenze nachempfinden. Klickt man auf die Porträtfotos, gelangt man zu Videos mit den Zeitzeugen-Interviews. Das Projekt ist in drei große Kapitel gegliedert:

Wenn man in so einem Hass erzogen wurde – lässt sich das überwinden? Das ist die eine Facette. Die andere dann: Wenn man Hass persönlich erfahren hat, also einen Grund hat zu hassen, kann man das überwinden? Das ist das zweite Kapitel. - Anna Brass

"Europa wieder einen Wert geben"

Der dritte Teil schlägt dann den Bogen zur Gegenwart; beleuchtet Faktoren des Wandels und Hass heute. Dafür ist Anna Brass zehn Jahre nach ihren ersten Interviews erneut nach Frankreich gereist, um mit den Protagonisten und ihren Nachfahren auch über die aktuelle Situation zu sprechen. Besonders spannend sind die Antworten der KZ-Überlebenden auf die Frage, was die junge Generation heute tun kann:

Heutzutage gibt es überall wieder Hass – und wir haben da eine wichtige Rolle als Europäer. Dafür können Sie sich in Ihrem Land einsetzen – vor allem in Ihrer Generation: Die Idee von Europa ist doch die einer gemeinsamen Zivilisations-Gesellschaft, und Ihr Jungen müsst diesem Europa jetzt wieder einen Wert geben: Ohne Gewissensbisse, ohne zerknirscht zu sein, Ihr seid unschuldig! - Filmausschnitt