Kann das gut gehen: Eine schwarze Messe ausgerechnet für eine Lichtgestalt? Jedenfalls bleibt es in Achim Freyers Hamburger Inszenierung des "Parsifal" fünf Stunden lang so düster, dass es nicht verwundern würde, wenn demnächst ein paar Zuschauer mit Grubenlampen erschienen. "Schwarz" ist denn auch das erste Wort, das auf den Gaze-Vorhang projiziert wird, der sich vom Orchestergraben bis hoch zur Decke spannt. Er verdreifacht die Bühnengröße und rückt das Geschehen ganz nah ans Publikum - so nah, dass es für die ersten Zuschauerreihen ziemlich anstrengend sein dürfte, dem Geschehen zu folgen: Wie auf den "Rasier-Plätzen" im Kino.
Schwarz funkelnder Wirbel aus Traumbilder
Hinter der Gaze ist das Orchester zu erahnen, denn der Graben ist von einem weiteren schwarzen Segel teilweise verdeckt: Die Musiker arbeiten also fast so sichtgeschützt wie im Bayreuther Festspielhaus. Die Bühne wird von einer riesenhaften, wabernden Lichtspirale dominiert, die das Publikum optisch förmlich hinein reißt in einen schwarz funkelnden Wirbel aus Traumbildern, Spukgestalten, Hexen, Lemuren und Totenköpfen. Hier flutet alles zusammen: Walpurgisnacht, Teufelsanbetung, Geisterbahn und Wagner-Wahnsinn. Regisseur Achim Freyer hat sich also einmal mehr für "totales Theater" entschieden und wie immer ist er sein eigener Kostüm-, Bühnen- und Lichtbildner. Am Ende gab es völlig verdient begeisterten Beifall für dieses mutige, aufwändige und kompromisslose Konzept.
"Parsifal" muss ein Geheimnis bleiben
Gerade beim "Parsifal" ist unglaublich schwer, für diese groß angelegte, mystische Musik die passenden groß angelegten, mystischen Bilder zu schaffen. Der letzte, dem das eindrucksvoll gelungen ist, war Christoph Schlingensief in Bayreuth. Achim Freyer hatte im Vorfeld gesagt, Wagners "Parsifal" müsse sein Geheimnis bewahren, dürfe also nicht zu konkret, zu aktuell bebildert werden, sondern müsse Räume öffnen für die Fantasie der Zuschauer. Das ist an der Hamburgischen Staatsoper zweifellos gelungen. Ein geradezu kosmischer Wagner-Trip, der vielleicht keine Erleuchtung und Erlösung brachte, aber doch Staunen machte. Die Anspielungen waren unübersehbar und begannen schon vor dem Eingang zur Staatsoper: Dort warten von Freyer mit Symbolen bemalte Stelen auf die Besucher, als ob sie einen geheimnisvollen Fluss aufwärts fahren und plötzlich am Ufer Totempfähle sehen. Drinnen fällt der Blick auf Zahlen, Buchstaben, hin gekritzelte Zeichnungen: Ein Hasenkopf, Geschlechtsorgane, ein Rollstuhl, bunte Lichtscheiben.
Kundry als Zotteltier
Die Maskenbildner hatten enorm viel zu tun: Alle Mitwirkenden waren so dick geschminkt wie Darsteller des japanischen No-Theaters, sämtliche Gesichter also zur Grimasse erstarrt. Auch alle Kostüme waren hochsymbolistisch: Die Blumenmädchen in schweinchen-rosa mit riesigen Brüsten, die Gralsritter als düsterer Ku-Klux-Klan, Parsifal in grellem schwarz-weiß. Ja, es war faszinierend diesen Abend zu erleben, und auch die Sänger brillierten: Andreas Schager in der Titelrolle und Kwangchoul Youn als Gurnemanz waren außerordentlich textverständlich und nicht nur konditionsstark, sondern auch glaubwürdig, was bei so einer abstrakten Bildsprache eine besondere Leistung ist. Schwerer hatte es Claudia Mahnke als Kundry, die wie ein Zotteltier herum irren musste, und auch Wolfgang Koch als Amfortas schien als gekreuzigter Leidensmann teilweise überfordert.
Chor war "von der Rolle"
Wirklich von der Rolle war allerdings der Chor, der immer wieder erheblich wackelte, Einsätze verpatzte, ja ratlos war. Zugegeben: Die schattenhafte und unübersichtliche Bühne erschwerte Sichtkontakte zum Dirigenten Kent Nagano extrem. Der fand letztlich nicht zu einer geschlossenen, packenden Interpretation. Mal war er von gravitätischer Langsamkeit, mal gab es bemerkenswerte rhythmische Verirrungen, mal fehlte es an Emphase, an Leidenschaft. So blieb der Gesamteindruck zwiespältig: Szenisch eine Meisterleistung, musikalisch gewöhnungsbedürftig. Womöglich ist das bei einer Schwarzen Messe der Normalfall.
Wieder am 24., 27. und 30. September, sowie 3. Oktober.