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Menschenmenge vor einem Frankfurter Kaufhaus zu Beginn des Winterschlussverkaufs 1965

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Produkt und Protest: Was bleibt von der Konsumkritik der 68er?

"Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben" – die Konsumkritik der 68er war mitunter radikal und auch nicht widerspruchsfrei. Doch viele Kritikpunkte von damals sind bis heute aktuell. Von Stephanie Metzger

Über dieses Thema berichtet: Kulturjournal am .

Gewalt erzeugt Gegengewalt, Konsumterror bedingt Terror, Zwänge einer Konsumgesellschaft provozieren revolutionäre Widerstände ihrer Kritiker: Es ist diese zugespitzte Konstellation, die im Jahr 1968 – genauer in der Nacht vom 2. auf den 3. April – ein Symbol erhält. In Frankfurt brennen zwei Kaufhäuser, angezündet von den späteren RAF-Gründern Andreas Baader, Gudrun Ensslin und zwei Freunden. Menschen kommen nicht zu Schaden, Waren schon. Das ist Sinn und Zweck der Aktion, die von der damaligen "konkret"-Journalistin Ulrike Meinhof in ihren Mitteln, nicht aber in ihrer Aussage kritisiert wird.

Attacke auf den Kosmos der Waren

Inspiriert von Flugblättern der Kommune I, die selbst Reaktion auf Kaufhausbrände im belgischen Brüssel waren, erscheinen die Frankfurter Brandanschläge als Fanal eines radikalisierten Protests unter anderem gegen das, was Theoretiker wie Herbert Marcuse die "eindimensionale Gesellschaft" oder Theodor W. Adorno "Kulturindustrie" nennen. Provokation gegen Konsumption, Formation gegen Deformation, Aktion gegen Manipulation, so lautete das Programm. "Es ist natürlich so, dass die Gewalt, die da passiert, im Streit, in Verteilungskämpfen, in politischen Auseinandersetzungen ein sehr komplexes Produkt ist", sagt der Historiker Alexander Sedlmaier. Die Legitimationsstrategie sei es gewesen, "dass man sagt, wir verweisen auf die Gewalt in Vietnam, die Gewalt des Polizeiknüppels, des Wasserwerfers, auf die Gewalt vergangener Versorgungsregime, auf die Zeit des Nationalsozialismus, um damit auch unsere eigene revolutionäre Gewaltausübung symbolischer Natur gegen Sachen und in einem revolutionären Kampf eventuell auch gegen Menschen – wobei das eher selten ist – zu rechtfertigen."

Konsumkritik in Zeiten des Wirtschaftswunders

Konkrete, ja terroristische Aktionen waren aber nur der Höhepunkt der Verbindung von Konsumkritik und Gewalt, die sich bereits in den Begrifflichkeiten der internationalen Konsumkritiker der 60er-Jahre verorten lässt – bei Guy Debord und der Situationistischen Internationalen etwa und deren deutscher Variante, der Münchner Gruppe SPUR, bei Adorno und Horkheimer, vor allem aber beim theoretischen Übervater der 68er, Herbert Marcuse.

Während Marcuse 1965 den Totalangriff des kapitalistischen Systems auf die Freiheit und Menschlichkeit des Bürgers ausformuliert oder Adorno und seine Kollegen am Frankfurter Institut für Sozialforschung den universalen Verblendungszusammenhang anmahnen, in den Werbung, Waren und Wohlstand den Einzelnen verstricken, gehört zum Lebensgefühl der 1960er-Jahre aber vor allem eines: der Konsum. Er sichert auch in den politischen Reden das Wunder von der Wirtschaft. Die Kritiker sahen nach Auffassung von Alexander Sedlmaier genau in der positiven Konnotation des Konsums das Problem, "dass sie das alte revolutionäre Subjekt, also die Arbeiterbewegung, das was Marx und Engels im 19. Jahrhundert im Kopf hatten, wenn sie an die Revolution denken, quasi kooptiert hatte; dass es nur noch um eine Steigerung der Löhne und eine bequeme Existenz in dieser Konsumgesellschaft ging."

Der Konsument und die Politik

Dass eine "bequeme Existenz" auf globalen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen – zum Beispiel in Vietnam – beruht, den Konsumenten einlullt in die politische Bewusstlosigkeit und die Gesellschaft in Eindimensionalität, sprich Konformität, zwingt, sind die zentralen Vorwürfe der kritischen linken Stimmen gegen die bundesdeutsche Konsumgesellschaft. Eine Kritik, die das sozialrevolutionäre Projekt nicht aufgeben will und sich vor allem in der Version eines Herbert Marcuse mit der Studentenbewegung verbindet.

Deren Stimmen, Proteste und Aktionen beharren mit ihren theoretischen Impulsgebern darauf, dass bei allen Entpolitisierungsstrategien von Politik, Massenmedien und Wirtschaft Konsum politisch ist – und Konsumkritik Sozialkritik. Das ist noch immer aktuell, sagt Dirk Hohnsträter, der an der Hildesheimer Universität in einer eigenen Forschungsstelle Konsumkultur erforscht: "Die globale Ungleichverteilung des Wohlstands und auch die Ausbeutung von Arbeitskraft in Billiglohnländern, das sind Kritikpunkte, die sind 68 formuliert worden und die kann man heute genauso formulieren."