Ein Mann im Profil. Die Hände an ein Gitter gekrallt.
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Felice Lasco (Pierfrancesco Favino)

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"Nostalgia": Eine cineastische Verbeugung vor Neapel

Die "Sanita" ist das berüchtigte Viertel in Neapel: Allein 2006 starben dort 300 Menschen im Krieg der verfeindeten Clans. In die einstige No-Go-Area führt der Spielfilm "Nostalgia". 2022 in Cannes vorgestellt, 2023 italienischer Oscar-Kandidat.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Felice Lasco kehrt nach 40 Jahren in seine Heimatstadt Neapel und in die "Sanita" zurück. Seine ägyptische Frau, mit der er als Bauunternehmer und konvertierter Muslim in Kairo lebt, hatte ihm geraten, endlich seine alleinstehende Mutter zu besuchen.

Nach Jahren der Abwesenheit kümmert sich Felice nun rührend um die Greisin. Er ist der einzige Sohn, besorgt ihr für ihre letzten Tage eine schönere Wohnung und beschließt nach ihrem Tod, sich in Neapel niederzulassen und seine Frau nach Neapel zu holen.

Er entdeckt die Stadt neu, die er vor vier Jahrzehnten fluchtartig verlassen hatte, als er, ein Jugendlicher noch, in einen Totschlagsdelikt verwickelt war. Jetzt macht er sich auf die Suche nach seinem damaligen Freund Oreste, der mittlerweile ein gefährlicher Clanboss ist.

Späte Beichte

Oreste und Felice waren wie Brüder, bis bei einem gemeinsamen Einbruch Oreste überrascht wurde und den Wohnungsinhaber erschlug. Felice wurde von seiner Familie außer Landes gebracht, erst in den Libanon, dann nach Ägypten. Oreste wurde der König der Unterwelt.

Die Tat liegt lang zurück, aber schmiedet die beiden Männer wie Gefangene aneinander. Felice vertraut sich dem örtlichen Pfarrer und Camorra-Gegner Don Luigi an, eine Figur die an den authentischen neapolitianischen Padre Don Loffredo angelehnt ist.

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Oreste Spasiano (Tommaso Ragno)

So pendelt der wortkarge Rückkehrer zwischen nostalgischen Gefühlen und Aufbruch, durchstreift seine Stadt, durchmisst sein früheres Leben. Doch das Netz der Vergangenheit zieht sich um ihn zusammen, er selbst wird beobachtet.

In oft dokumentarisch anmutender Manier zeigt Regisseur Mario Martone die abgewrackte Altstadt Neapels, in der düstere Blicke aus Fensternischen oder von zwielichtigen Figuren auf den steilen Gassen Felice klarmachen sollen: Wir sehen dich – du gehörst hier nicht her.

Schließlich wird sein Motorrad abgefackelt, seine Wohnung verwüstet, an der Wand die Botschaft: "Verschwinde!"

Trügerische Erinnerung

Der energetische Don Luigi und andere raten Felice dringend, die Stadt zu verlassen, denn Oreste ist ein höchst gefährlicher Mann geworden, doch die Nostalgie, die Erinnerungen an längst vergangene Jugendtage wiegen ihn in falscher Sicherheit.

Je mehr sich Felice wieder in seinem Element fühlt, desto näher kommt er auch der kriminellen Seite der Stadt, ohne all die Warnsignale richtig wahrzunehmen.

Dabei lädt sich das atmosphärisch dichte Drama, das mit langsamem Rhythmus und vielen elegischen Bildern konstruiert ist zusehends mit der Spannung eines Krimis auf.

Melancholie: ja, Schwung: nein!

Wenn möglich unbedingt in Originalfassung ansehen, denn viel zur Authentizität tragen die guten Darsteller bei, die allesamt ihre Dialoge im neapolitanischen Dialekt sprechen.

So ist "Nostalgia" zwar bei weitem kein cineastisches Meisterwerk, aber doch ein stimmiger Blick auf eine müde Stadt mit atmosphärischen Kamerafahrten, interessanten Charakteren und viel Melancholie geworden. Etwas mehr Drive hätte dem Drehbuch allerdings gut getan!

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