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Beyoncé macht weiter Musik-Clips

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Musik-Fernsehsender kriseln, das Musikvideo lebt

Viva ist Geschichte, MTV spielt keine Rolle mehr - trotzdem werden zahlreiche Musikclips produziert, und zwar interaktiv: Immer mehr Fans machen selbst mit in der "After-Youtube"-Welt, wie Buch-Autor Lars-Henrik Gass meint. Von Markus Mayer

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Langsam fährt die Kamera auf ein dunkelhäutiges Paar in einer monumentalen Ausstellungs-Halle des Louvre zu. Schnitt: Frauenkörper liegen verstreut auf einer Treppe des Gebäudes. Sie beginnen sich langsam zu erheben. Schnitt: Beyonce und Jay Z. rappen und singen gemeinsam vor Skulpturen und Gemälden des Kunsttempels. Titel des Videos: Apeshit. Die Message: Diese Sammlung alter Kunstwerke gehört uns, wir sind Weltbürger, die was hier dargestellt wird, fortführen, weiterleben. 

Individuelle Musikvideos

Nicht nur Superstars wie Beyonce und Jay Z. nutzen nach wie vor das Medium Musikvideo. Fast 80 Prozent aller professionellen und nicht-ganz-so professionellen Pop-Künstler und Bands, schätzen wir mal, haben heutzutage ein Video auf Youtube, das sich umsonst ansehen lässt. Musik-Fernsehsender wie MTV und Viva mögen den Betrieb eingestellt haben - die Musik-Clips aber haben überlebt. Schließlich hat das Cover-Bild, die Verpackung von Musik als erste Interpretation ausgedient in Zeiten fast unsichtbarer Soundfiles.

Avatare des Internets

Für das Gros heutiger Musikproduzenten muss deshalb ein Video her, eigene Songs und Tracks können verfilmt werden, um die Message zu untermauern oder sogar um neue Bedeutungsebenen hinzu zufügen. In dem Buch „After Youtube“ lässt Lars Henrik Gass, Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, dieses Phänomen von diversen Autoren diskutieren und analysieren.

Das Internet hat ganze Bildkulturen geprägt. Darin enthalten ist auch, was man auch in der zeitgenössischen Kunst als Post-Internet-Kunst tituliert. Avatare des Internets, also künstliche Figuren, künstliche Bildwelten, die nur im Internet existieren, teilweise auch interaktiv nur funktionieren. Wir haben in letzter Vergangenheit interaktive Musikvideos erlebt, die nur Sinn ergeben, wenn man sie individuell manipuliert. die gar nicht mehr abzielen einem breiten Publikum zu dienen, sondern regelrecht zum Spielen einladen. All diese Dinge erweitern unseren Begriff von Musikvideo. -Lars Henrik Gass

Nicht teuer, sondern originell

Der blaue Planet dreht sich nahezu bildfüllend. Es folgt ein Schwenk über die nächtliche Milchstraße, dann tastet die Kamera von oben Meere und Kontinente ab, die Oberflächenstrukturen der Erde geraten in den Blick. Titel des Videos von "Mouse On Mars": Froschroom. Die Message: Die Menschen verdanken ihre Existenz kosmischen Strukturen, die viel größer sind als wir. Videos müssen nicht unbedingt teuer, sondern originell sein. Im After-Youtube-Band gibt etwa "Mouse-On-Mars"-Produzent Jan Stefan Werner in einem Interview Auskunft. Er hat zu Anfangszeiten der Kölner Band durch Zerkratzen von analogem Filmmaterial ungewöhnliche Bewegungsmuster geschaffen.

Internet als großer Bildspeicher

Weil "Mouse On Mars" damals mit einem Track in den englischen Charts waren, wurde der avantgardistische Clip gesendet auf MTV. Die neue Generation von Musikvideos, weiß Lars Henrik Gass, ist allerdings anders angelegt. Oft wird nun der Gesamtzusammenhang von Internet und sozialen Medien thematisiert.

Zum Einen ist es so, dass die Videos auf das Internet Bezug nehmen und rekurrieren, dergestalt, dass sie eine google-Recherche zum Strukturprinzip eines Musikvideos machen, das heißt, das Video wirkt wie eine Echtzeit-Recherche von bestimmten Begriffen. das heißt, dass die Funktionsweise selbst sichtbar wird in den Arbeiten. das andere ist, glaube ich, etwas schwieriger und weniger offenkundig zu fassen, dass nämlich das Internet wie ein großer Bilderspeicher behandelt wird. Das heißt die Musikvideos beziehen sich auf eine Bildwelt, die im Internet abgespeichert ist. - Lars Henrik Gass

Mitmachen beim Pharrell Williams-Clip

Eine Folge: Der Konsument, der mit den Möglichkeiten des Netzes und des Smartphones vertraut ist, wird aktiv. Er wird wie überall im Netz zum "Prosumenten", wie es im Buch heißt: Er kann den Clip liken, ihn weiterschicken und weiter gestalten. Ein Beispiel dafür ist das Video zu Pharrell Williams Superhit Happy. Der Song wurde weltweit von Fans interpretiert. Erwachsene und Kinder aus über 150 Nationen haben zu dem Lied getanzt und gesungen - im Freien, bei Sonnenschein oder im Winter. Sie ließen sich dabei filmen. Die Bilder wurden zu einem Clip montiert. Die Message: Wir sind zwar verschieden, finden aber den Song und das Feeling, das er hervorruft, Klasse.      

After-Youtube-Kunst noch schwammig

Das After Youtube-Buch erklärt, dass neuere Musikvideos ohne enge Formatgrenzen auskommen. Längere Arbeiten sind durchaus üblich, heißt es, manche dauern gar bis zu 45 Minuten. Die Grenzen zu Performance, Netzkultur und anderen Künsten verschwimmen bei neuen Clips. Und selbst wenn der Begriff der After-Youtube-Kunst noch schwammig ist, die Aussichten sind gut, in Zukunft der gestaltete Musikvideos sehen zu können. Wir werden sie als solche erkennen - so viel steht fest nach der Lektüre des Buches.