Bildrechte: Münchner Kammerspiele

"Wartesaal" in den Münchner Kammerspiele

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Lion Feuchtwangers "Wartesaal" auf der Bühne

Über seine Erfahrungen im Exil schrieb Lion Feuchtwanger 1940 einen Roman. Nun hat der Regisseur Stefan Pucher eine Bühnenversion von "Exil" unter dem Titel „Wartesaal" in den Münchner Kammerspielen zur Uraufführung gebracht. Christoph Leibold:

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Lion Feuchtwangers historischer Roman „Exil“ ist ein Geschenk für jedes Theater, das sich mit einem der drängendsten Themen unserer Gegenwart befassen will. Man kann darin ungeheuer viel erfahren über diesen zermürbenden Zustand des Wartenmüssens auf bessere Zeiten, dem Flüchtlinge in der Fremde ausgesetzt sind. Wenn es unzähliger Behördengänge bedarf, bis man endlich die Personalpapiere bekommt, die bestätigen, dass es einen überhaupt gibt, ist nichts weniger als die eigene Daseinsberechtigung in Zweifel gezogen.

Herausforderung für jedes Theater

Feuchtwangers „Exil“ ist aber auch eine Herausforderung für jedes Theater. Ein Buch, dem auf der Bühne gerecht zu werden, allein schon wegen seines beträchtlichen Umfangs schwer ist. Stefan Pucher nimmt sich für seine Adaption immerhin drei Stunden reine Spielzeit. Vieles weglassen muss angesichts von rund 800 Romanseiten aber natürlich auch er. Doch der Regisseur entscheidet klug. Etwas überraschend bleibt die Qual des Wartenmüssens in dem Material, das er ausgewählt hat, zunächst eher im Hintergrund.

Wartesaal, türkis gekachelt

Sie ist aber im Bühnenbild von Babara Ehnes dauerhaft präsent. Gespielt wird – geschichtsgerecht in 30er Jahre-Kostümen – tatsächlich in einem Wartesaal, türkis gekachelt, mit Sitzbänken an beiden Seitenwänden und einer Uhr an der Rückwand, deren Zeiger sich träge über das Ziffernblatt schleppen. Diese Rückwand dient zudem als Projektionsfläche für Video-Bilder. Denn ein Teil der Szenen findet dahinter statt und wird fürs Publikum in Form von live gefilmten Schwarzweißaufnahmen erlebbar.

Der Regisseur fragt: Reicht Warten?

Pucher beschäftigt sich erstmal vordringlich mit dem zweiten großen Thema des Romans. Mit der Frage nämlich, ob warten und hoffen reicht. Oder ob man nicht handeln kann, ja muss. Und ob Worte reichen, um gegen die Barbarei vorzugehen oder Waffengewalt unumgänglich ist. Feuchtwangers Protagonist, Sepp Trautwein, ist eigentlich Komponist, übernimmt aber die Stelle eines Redakteurs, der in einer Pariser Exilzeitung gegen die Nazis anschreibt. Weshalb die ihn in eine Falle locken und verschleppen.

Vom Liberalen zum Nazi

Fortan macht sich Trautwein den Kampf des Entführten zu eigen; dass er mit dem Wort als Waffe die Nazis durchaus empfindlich trifft, zeigt sich daran, dass sie bald auch ihn mundtot zu machen versuchen. Samouil Stoyanov spielt diesen Trautwein toll, fast mit dem Trotz eines Kindes, das aus einem ganz elementaren Unrechtsbewusstsein Kraft schöpft. Sein Gegenspieler ist der Publizist Erich Wiesener. Ehemals liberal, hat er sich auf die Seite der Nazis geschlagen und heckt für sie eine Strategie gegen Trautwein aus.

Formal nicht sonderlich aufregend

Daniel Lommatzsch versteht es vorzüglich, die Ambivalenz dieser Figur auszuleuchten: ein Karrierist mit durchaus restdemokratischen Regungen. Überhaupt die Schauspieler! Dieser Abend straft alle Lügen, die behaupten, die Münchner Kammerspiele hätten kein gutes Ensemble mehr. Julia Riedler, Jochen Noch, Maja Beckmann, Walter Hess und viele mehr – sie alle ziehen uns ganz nah zu ihre Figuren. Oder aber die Kamera rückt uns Zuschauer ganz dicht an sie heran. Dieses Zusammenwirken von intimem Kamera-Acting und souveräner Bühnenbeherrschung schlägt in den Bann, und das obwohl Puchers Inszenierung formal nicht sonderlich aufregend ist; eine fast schon konventionelle Roman-Adaption, mit Dialogszenen und Erzählpassagen, wie das auf deutschen Bühnen eben Usus ist. Sogar eine Erzähler-Figur gibt es, Anette Paulmann spielt sie.

Ein großer Theaterabend

Paulmann führt die Inszenierung in einem unsentimental-eindringlichen Monolog gegen Ende dann doch zurück zum Ausgangsthema: zum Warten im Exil. Er handelt unter anderem davon, dass die Emigration keineswegs immer das Beste der Menschen zum Vorschein bringt, sondern im Gegenteil: oft auch ihre schlechten, schäbigen Seiten. Wundersamer Weise wirkt diese Rede gerade dadurch als bewegendes Plädoyer für Empathie mit allen Flüchtenden und Asylsuchenden. Auch heute. Bis zu Paulmanns Monolog war Puchers Inszenierung ein sehr guter Theaterabend. Am Ende ist es ein großer.

Wieder am 2. und 3. Dezember, weitere Termine.