Eine Statue der Jungfrau Maria.
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Woher kommt der Glaube daran, dass Maria Jesus jungfräulich geboren hat?

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Die Jungfrau Maria: Übersetzungsfehler oder nur Symbol?

Für gläubige Katholiken steht fest: Maria hat als Jungfrau den Messias geboren. Dabei ist das Jungfernhäutchen weder ein Häutchen noch ein Indiz für die weibliche Jungfräulichkeit. Woher kommt dieser Mythos und warum hält er sich so hartnäckig?

Über dieses Thema berichtet: Evangelische Perspektiven am .

Maria aus dem Dorf Nazareth: Fromm, jüdisch, schwanger – aber nicht von ihrem Verlobten Josef. Der hält dennoch zu ihr. Ihr Kind gebiert sie unter widrigsten Umständen in einem Stall. So wird Maria in der Bibel dargestellt. Heute wird sie religiös verehrt wie keine andere Frau. Laut Kirchenlehre das größte Wunder: Sie sei zeitlebens Jungfrau gewesen - nach der Zeugung und auch nach der Geburt Jesu. Tatsächlich aber finden Religionswissenschaftler in keiner der Heiligen Schriften von Christentum, Judentum und Islam einen Ansatz für diesen Kult um die Jungfräulichkeit. Gynäkologen gehen heute sogar so weit und sagen: Das Jungfernhäutchen an sich ist ein Mythos.

Begriff "Jungfernhäutchen" soll verschwinden

Tatsächlich gibt es in der weiblichen Anatomie kein Häutchen, das die Vagina verschließt und beim ersten Geschlechtsverkehr reißt oder zerstört wird. Trotzdem wird noch heute in über 20 Ländern der Nachweis von Jungfräulichkeit protokolliert. Diese Jungfrauentests hat die WHO 2018 als Menschenrechtsverletzung eingestuft. Dr. Mandy Mangler ist Professorin, Gynäkologin und Chefärztin in Berlin. Sie kämpft dafür, dass der Begriff "Jungfernhäutchen" aus dem medizinischen Sprachgebrauch und den Lehrbüchern verschwindet. "Zwischen Vulva und Vagina, wo diese zwei Organe aufeinandertreffen, da ist ein Schleimhautkranz. Das ist gar kein Häutchen, wie viele denken", erklärt Mandy Mangler.

Korrekt heißt dieser Schleimhautkranz "Hymen" oder "Corona vaginalis". "Interessant ist auch, dass man diesen Schleimhautkranz eigentlich bei jeder Frau sieht, egal ob sie gerade ein Baby bekommen hat oder schon älter ist oder ganz jung oder schon mal Sex hatte oder keinen Sex. Man kann an dieser Falte einfach gar nichts ablesen", erklärt die Gynäkologin. Das bedeutet: Medizinisch ist das "Jungfernhäutchen" weder ein Häutchen noch ein Gradmesser für die Jungfräulichkeit einer Frau.

Maria nicht die jungfräulich Schwangere?

Dass Maria also nach der Empfängnis und nach der Geburt Jesu Jungfrau geblieben sein soll, wäre ein biologisches Wunder. Das dachte sich der Bibel zufolge auch Maria selbst. "Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?", fragt Maria einen Engel, der ihr ankündigt: "Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden."

Der Heilige Geist schwängert Maria? Das hat seit Jahrhunderten die Fantasien von Menschen angeregt. Dabei ist Maria nicht die Erste, die angeblich jungfräulich ein Kind geboren hat. In der griechischen Mythologie ist etwa von der Königstocher Danaë die Rede. Sie soll noch Jungfrau gewesen sein, als der Same des Gottes Zeus im Schlaf als Goldregen über sie gekommen sei und sie schwängerte. In der Antike galt das Geborenwerden von einer Jungfrau als Nachweis der göttlichen Abstammung. Alexander der Große und so manche Pharaonen sollen von Jungfrauen geboren worden sein. Die Mutter Buddhas gehört ebenfalls dazu: Sie träumte von einem weißen Elefanten, der in sie durch die Körperseite eindrang. Buddhas Mutter Maya soll sieben Tage später in den Himmel aufgefahren sein. Nur konsequent also, dass auch der christliche Messias von einer Jungfrau geboren wurde.

Die jungfräuliche Maria, nur ein Symbol für das Besondere?

Viele Theologen gehen heute davon aus, die "Jungfrau" Maria gehe auf einen Übersetzungsfehler in der Bibel zurück. "Die Jungfrauengeburt ist nur ein sehr kleines Detail in der Heiligen Schrift", so der Theologe Uwe Birnstein. Denn die Jungfräulichkeit Marias wird auf das Alte Testament und das Buch Jesaja zurückgeführt. Dort wurde das Wort "alma", was "junge Frau" heißt, fälschlicherweise als "Jungfrau" übersetzt. Im Neuen Testament wird das Thema Jungfräulichkeit nur von Lukas und Matthäus aufgegriffen. Bei Markus und Johannes wird gar nicht thematisiert, wie Jesus gezeugt worden sein soll.

Der Psychoanalytiker Dieter Schnocks empfiehlt, die jungfräuliche Maria nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen, da es "eindeutig unmöglich" ist: "Jungfrauengeburt sagt aus, dass es sich um eine göttliche Geburt handelt. Hier ist alles nicht normal menschlich, sondern es hat göttlichen Charakter." Problematisch sei aber durchaus, wozu die Jungfräulichkeit Marias im Alltag von Frauen führt: "Viele in der katholischen Kirche, Frauen, die auch feministisch unterwegs waren, waren empört über diese Jungfrauengeburtsgeschichte, weil sie sagen: Das hat uns Frauen in unserem Erleben der Sexualität viele Probleme bereitet, diese Vorstellung der Jungfrauengeburt", sagt Schnocks.

Jungfräulichkeit bis zur Ehe garantierte den Nachweis der Vaterschaft

Aus dieser Vorstellung heraus wird unterstellt: Sexualität sei unrein, schmutzig, sündig. So sehen es auch die katholischen Kirchenväter. Das führt dazu, dass noch heute von jungen Frauen verlangt wird, ohne vorherigen Geschlechtsverkehr in die Ehe zu gehen. Die weiße Farbe des Brautkleids gilt als Zeichen für die Reinheit der Braut. Nach der Hochzeitsnacht sollen Frauen dann mit einem Blutstropfen auf dem weißen Laken nachweisen, jungfräulich in die Ehe gegangen zu sein. Dabei zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass nur rund 25 Prozent der Frauen beim ersten Geschlechtsverkehr bluten. Und: Eine Blutung hat nichts mit der angeblichen Durchtrennung des Jungfernhäutchens zu tun, sondern passiert durch Verletzungen im Genitalbereich. Auch in Deutschland werden immer noch Hymen-Rekonstruktionen als Operation angeboten, um die Jungfräulichkeit einer Frau wieder herzustellen. Dabei wird die Schleimhaut am Eingang der Vagina vernäht.

Seyran Ateş, Muslima, Juristin und Frauenrechtlerin sagt, dass es beim Thema Jungfräulichkeit eigentlich um das Thema Ehe geht. "Ich will als Religionsgemeinschaft die Sitte und Moral einhalten, dass Geschlechtsverkehr in geordneten Bahnen stattfindet, nämlich innerhalb der Ehe." Das Gesetz der Jungfräulichkeit garantierte in einer Zeit, bevor es Vaterschaftstests gab, Sicherheit darüber, wer der Vater des Kindes ist, sagt die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Mithu Sanyal.

Sina Krüger ist Lehrerin in Berlin und arbeitet mit Schulbuchverlagen zusammen, mit dem Ziel, überholte Begriffe, Abbildungen und Texte in Schulbüchern zu überarbeiten. "Auf jeden Fall ist es wichtig, die richtige Sprache zu verwenden, weil Sprache Wirklichkeit schafft. Und mit einem Sprachverständnis geht auch ein Wirklichkeitsverständnis einher. Wenn wir keine wertschätzende und präzise Sprache haben, geht auch eine wertschätzende und präzise Bedeutung und wertschätzender Umgang mit den Geschlechtsorganen verloren."

Im Video: Woher kommt der Glaube daran, dass Maria Jesus jungfräulich geboren hat?

Eine Frau mit Blumen in der Hand, die eine Plastikfolie als Schleier trägt.
Bildrechte: © BR/UFA Documentary/Shutterstock/silverkblackstock
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Mythos Jungfernhäutchen

Dieser Artikel ist erstmals am 15.12.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Die Dokumentation "Mythos Jungfernhäutchen" von BR und ARD läuft am 13. Dezember 2023 im BR Fernsehen oder jederzeit in der ARD Mediathek.

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