Man könnte es als Kammerspiel bezeichnen. Kammerspiele sind im besten Falle große Dramen, die sich im kleinen Raum abspielen: Wenig äußere Action, aber enorme seelische Verwerfungen. Ein engerer Raum als das Innere eines PKW lässt sich als Handlungsschauplatz kaum denken. Andererseits sind Filme, in denen Autos eine entscheidende Rolle spielen, in aller Regel ja doch eher rasant, voller Stunts und Verfolgungsjagden. „Steig. Nicht. Aus!“ heißt eine neuer deutscher Film, der das Spektakel des Actionfilms mit der Psycho-Spannung des Kammerspiels zu verbinden versucht.
Erpresser fordert 450 000 Euro
An einem schönen Sommertag fährt der erfolgreiche "Immobilienhai" Karl Brendt in Berlin seine beiden Kinder zur Schule. Alles ist gut – da ruft ihn ein Unbekannter an: sollte Karl oder eines seiner Kinder aufstehen und aussteigen, explodierten tödliche Sprengsätze unter ihren Sitzen. Der Erpresser fordert 450.000 Euro, die auf ein Offshorekonto überwiesen werden sollen. Karl muss die Summe per Handy während der Autofahrt irgendwie organisieren.
Sohn droht zu verbluten
Erstaunlich, was sich Christian Alvart so alles einfallen lässt, um die Spannungsschraube enger und enger anzuziehen. Immer schwieriger wird’s für Karl: die Ehefrau liegt im Bett mit einem anderen, Geldgeber springen ab, Trümmer eines explodierenden anderen Wagens verletzen den Sohn, der auf dem Rücksitz zu verbluten droht, die Polizei glaubt, dass Karl seine Kinder entführt hat und positioniert Scharfschützen in der Stadt, die nur auf ihren Einsatz warten. Niemand außerhalb des Wagens weiß, was wirklich passiert, denn Karl muss auf Geheiß des Erpressers alle anlügen.
Möglichkeiten, den Blick zu öffnen
Schnell aneinander montiert sind die kurzen Einstellungen aus dem Wageninneren, dazwischen zeigen fließende Kamerafahrten Berliner Strassen und Plätze. Das ist versiert gedreht, ganz im Stil eines amerikanischen Actionthrillers. Tatsächlich bescheren vor allem junge Regisseure augenblicklich dem deutschen Kino eine ungewohnte Genre-Vielfalt. Axel Ranisch, Tini Tüllmann, Isabell Suba, Jakob Lass und Andreas Prochaska drehen wieder Western, Action-, Horror- und Gangsterfilme. Doch Genre bedeutet ja nicht Beschränkung auf Eingefahrenes, sondern die Möglichkeit den Blick zu öffnen, für das was abseits der ausgetretenen Pfade existiert.
Korruption, Manipulation, Verlogenheit
Quentin Tarantino schuf in seinen Thrillern in dem übertriebenen Spiel mit Vorbildern eine verteufelte Wahrheit. Christian Alvart vermischt in „Steig.Nicht.Aus“ typische Genre-Elemente mit Sozialkritik, er möchte auch von den Schrecken einer bösen Baubranche erzählen. Und Kurts verzweifelte Telefonate sollen zeigen, wie sehr Korruption, Manipulation und Verlogenheit diesen Wirtschaftszweig beherrschen. Vorhersehbar geschrieben verflacht dieses Thema jedoch den Film,. Die Figuren bleiben blass, haben kaum Konturen, werden wie Schachfiguren hin und her geschoben. Dabei könnten Erpresser und Erpresster doch schweigsame, faszinierende Männer sein, tragisch verstrickt und einsam. In „Steig.Nicht. Aus“ fehlen ihnen Abgründe, Motive und Sehnsüchte.
Mutter wird geradezu ignoriert
Wotan Wilke Möhring als Karl – erst im Jackett, dann im T-Shirt - fällt es schwer, gleichzeitig den sympathischen Familienvater, den Helden und den skrupellosen Immobilienhai zu spielen. Nicht zu fassen ist, dass Christian Alvart die Ehefrau von Karl, die Mutter der beiden Kinder, geradezu ignoriert. Gespielt von der grandiosen Christiane Paul, darf sie nur ein paarmal kurz auftauchen – anfangs sexy im engen Rock und hohen Pumps und dann am Ende mit versteinertem Gesicht an der Polizeiabsperrung. Stromlinienförmig inszeniert, verweilt „Steig.Nicht.Aus“ im Bereich des konventionellen Fernsehformats – zornig, dreckig und riskant ist der Film leider nicht.