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Winckelmann-Porträt von Anton Raphael Mengs, 1755

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"Edle Einfalt, stille Größe": 300. Geburtstag von Winckelmann

Er war der Kunstexperte des Papsts und beriet Kardinäle: Johann Joachim Winckelmann war der gefragteste Antiken-Fachmann seiner Zeit und Begründer der Archäologie. Dabei musste sich der Männer-Fan seine Bildung selbst erarbeiten. Von Peter Jungblut.

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Johann Joachim Winckelmann gibt es jetzt endlich auch nassklebend, als Briefmarke von der Post. Und obwohl er sich selbst nicht für eitel hielt, hätte er es wohl sehr genossen, zusammen mit den griechischen Göttern „Aphrodite“ und „Adonis“ in alle Welt geschickt zu werden. Zwischen der unübersehbar abgebildeten Liebesgöttin und dem etwas verschämt im Hintergrund versteckten Gott der männlichen Schönheit lächelt Winckelmann etwas skeptisch, etwas neugierig, ziemlich undurchschaubar – und genauso war auch sein Verhältnis zur Erotik, wie Claudia Keller weiß, die im Sommer in Weimar eine große Ausstellung über den Begründer der klassischen Archäologie kuratierte:

Zum Beispiel sagt Winckelmann auch, schön ist der Mensch, dessen Geschlecht zweifelhaft ist. Er hat also gar nicht so eine ganz fixierte Vorstellung davon, was schön ist, sondern gerade der Zweifel, also auch das Androgyne, das, was zwischen den Geschlechtern ist, interessiert ihn.

Winckelmann in rot und grün

Die Berliner Grafikerin Susann Stefanizen hat das Winckelmann Postwertzeichen entworfen, in rot und grün - aber auch, wenn es auf den ersten Blick so aussieht: Es ist keine 3-D-Briefmarke, eine entsprechende Brille hilft also nicht weiter, eher eine entsprechende Bildung. Denn Winckelmann ist natürlich bis heute Inbegriff des Bildungsbürgers: Als einziger Sohn eines Schumachers aus Stendal hat er sich sein Wissen so mühselig wie hartnäckig selbst erarbeitet. Um Geld verdienen, verwaltete er die Schulbücherei, las seinem blinden Lehrer stundenlang vor, fuchste sich rein ins Lateinische und Griechische, schlägt sich in Sachsen als Bibliothekar durch und fährt schließlich 1755 auf eigene Kosten nach Rom, wo er für einen Kardinal arbeiten darf.

Er liebte Männer

Dafür wurde er sogar katholisch, und, was ihm vielleicht noch wichtiger war: „In keiner Stadt der Welt war es leichter, den Umgang mit Frauen zu vermeiden“, wie ein Biograf etwas schelmisch formulierte. Winckelmann liebte Männer, ja, aber noch weit mehr die Kunst der Antike. Ortwin Dally, der Chef des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom:

Winckelmann selbst hatte hier in Rom die Möglichkeit, diese Statuen alle anzugucken, und das hat er getan, und es ist heute noch ungeheuer faszinierend und frappant, welche ungeheuren Entdeckungen er durch ganz genaues Beobachten gemacht hat. Und aus diesem Beobachten heraus hat er zu einem Gutteil seine Ideen entwickelt.

Unbändige Neugier und Belesenheit

Noch in Dresden hatte Winckelmann seine bahnbrechenden „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ veröffentlicht, mit der zentralen Forderung nach „edler Einfalt und stiller Größe“. Dank seiner unbändigen Neugier, seiner Belesenheit und seiner Sprachkenntnisse brachte er es bis zum päpstlichen Aufseher über die Altertümer.

Es war ihm möglich, durch genaues Beobachten der Statuen hier aus den Sammlungen und Stilvergleiche sogenannte Stilepochen aufgrund formaler Charakteristika voneinander zu unterscheiden. Dadurch, und das ist das eigentlich Interessante, werden Kunstwerke als Teil einer historischen Entwicklung begriffen. Durch dieses historische Modell ist letztlich Winckelmann zum Begründer der modernen Archäologie und Kunstwissenschaft geworden. - Ortwin Dally

Ermordet in Triest

Johann Joachim Winckelmann konnte sich tagelang der erotischen Ausstrahlung eines männlichen Torsos hingeben, eines Herkules oder eines Jünglings. 1768 wurde Winckelmann von einem Koch in Triest ermordet – bis heute wird gemunkelt, die beiden hätten ein Verhältnis gehabt, beweisen lässt es sich nicht. Das ist so rätselhaft, so brutal und poetisch wie die Ermordung des legendären Filmemachers Pasolini am Strand von Ostia. Winckelmann fasziniert – garantiert.