Gregor Samsa dreifach: Ich, Über-Ich und Es. Die junge Regisseurin Pia Richter teilt für Ihre Inszenierung „Die Verwandlung“ nach Franz Kafka die Figur des Gregor Samsa, der sich vom Menschen in einen Käfer verwandelt, frei nach Sigmund Freud in die drei Segmente der menschlichen Psyche. Drei Spieler schickt sie auf die Bühne, die sich darauf verständigen, Gregor zu sein. Erst treten sie als Erzähler auf, im Verlaufe des Abends steigen sie immer mehr in die Geschichte ein, werden zu Figuren. Im zweiten der drei Kapitel übernehmen das Gregor-ES und das Gregor-Über-Ich dann auch die Rollen von Schwester, Mutter und Vater – und zum Schluss verschwimmt jede noch vorhandene Grenze zwischen den Personen.
Wofür steht das Käfer-Sein?
Die Szenerie ist denkbar einfach gehalten – alle drei Gregors tragen Bart und blonde Langhaarperücken und laufen in weißer Feinripp-Unterwäsche herum. Ein Ausdruck der Verwahrlosung, die Gregor Samsa im Laufe der Erzählung widerfährt. Ein Aufdruck auf dem Hinterteil der Unterhose verdeutlicht, wer das Ich, das Über-Ich und das Es darstellt. Pia Richter geht es um die Untersuchung der unterschiedlichen Qualitäten, was es heißt Käfer zu sein. Wofür steht das Käfer-Sein? Für Verweigerung, Schutz oder Isolation? „Auch für Gregor könnte man ja sagen, dieses Käfer-Sein ist ein Abgrund.“, sagt Pia Richter, „Ein Abgrund, den seine Seele als Vorstellung generiert, weil er sich in seinem eigenen Körper so fremd fühlt, und in seinem eigenen Leben so fremd fühlt, dass es ihm vorkommt, als sei er ein anderes Lebewesen.“
In den Zwängen des Kapitalismus
Nun könnte man die Grundidee zwar 90 Minuten lang auf der Bühne mit den drei Gregor-Figuren durchexerzieren. Aber das wäre bald langweilig – und würde auch nicht zum Landestheater passen. Die Überraschung kommt in Kapitel zwei. Für Pia Richter steckt in Kafkas Werk nämlich auch eine politische Aussage: Das Individuum im Zwang des Kapitalismus, im Zwang der Pflichten und Anforderungen, die es auch an sich selbst stellt. Und: Was passiert, wenn man nicht mehr funktionieren kann, welchen Wert hat ein Mensch dann noch für die Gesellschaft?
Problematische Überzeichnung
Die Figuren sind in der Aufführung stark überzeichnet, manchmal so stark, dass es ans Lächerliche grenzt – die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird dadurch von der Kernbotschaft der Inszenierung abgezogen – Pia Richter will sensibilisieren und Verständnis wecken für Andersartigkeiten. Streiten lässt sich deswegen auch darüber, ob Sandro Sutalo alias Gregor Samsas Schwester Grete so lasziv daherkommen muss. Die Schauspieler jedenfalls haben sichtlich Spaß an ihren Rollen und das überträgt sich auch aufs Publikum.
„Die Verwandlung“ nach Franz Kafka am Landestheater Schwaben in Memmingen. Premiere am 27.01.2018 um 20.00 Uhr, außerdem am 3. Februar 2018 und an weiteren Terminen bis Juni.