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Nach Mexiko!

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Die Kaninchen hoppeln weiter: "Aus einem Totenhaus" in München

Starb die Revolution im Straflager? Leoš Janáčeks Oper ist ein düsterer Abgesang auf den Traum von einer besseren Gesellschaft. Frank Castorf inszenierte gewohnt ideen- und anspielungsreich und fand Trost in Mexiko. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Bei Frank Castorf ist schon lange nicht mehr interessant, was er inszeniert, sondern dass er inszeniert. Das können wenige Regisseure von sich behaupten, Robert Wilson zum Beispiel, der amerikanische Lichtkünstler, oder auch so eine Theater-Legende wie der greise Brite Peter Brook. Sie alle inszenieren keine Stücke, sondern eine Weltanschauung, eine Philosophie, ein Kunstverständnis. Castorf ringt seit Jahren mit der Revolution und ihrem Scheitern, oder, allgemeiner ausgedrückt, er wühlt unter dem Schutt des 20. Jahrhunderts nach den Utopien, die darunter begraben sind.

Der Traum ist ausgeträumt

Der Traum von einer besseren Gesellschaft, er ist ausgeträumt, weg, aber die Gesellschaft ist noch da, das macht ihre Tragik aus, das ist ihr Problem, und daran arbeitet sich Castorf regelmäßig ab, auch gestern Abend an der Bayerischen Staatsoper bei Leoš Janáčeks 90-Minuten-Oper "Aus einem Totenhaus" nach einem Text von Dostojewski, der sowieso Castorfs Lieblingsautor ist. Auch der russische Klassiker fragte sich ja immer wieder, wie viel Opfer für eine Utopie gebracht werden müssen. Dostojewski saß wegen Verschwörung selbst im sibirischen Lager, diesem Sinnbild totalen Scheiterns, absoluter Ausweglosigkeit, wurde mit Elend und Gewalt konfrontiert und bekehrte sich zum orthodoxen Glauben, eine rückwärtsgewandte Utopie.

Stacheldraht und Kaninchen-Stall

Wie zu erwarten, interessierte sich Castorf also nicht für den Text, sondern für den Subtext der Oper, ließ die Sänger ihren jeweiligen Part an der Rampe statisch vorsingen und entfesselte dahinter einen Bilderbogen, in dem der Blick der Zuschauer spazieren gehen konnte. Ausstatter Aleksandar Denic, der Meister der Drehbühne, hatte einen Wachturm samt Stacheldraht und Kaninchen-Stall entworfen. Plakate werben für Reisen in die Sowjetunion, für den Film über die Ermordung von Leo Trotzki, für eine Cola-Sorte und den Horrorklassiker "Amityville". Wer vorher das Programmheft gelesen hatte, konnte neben dem Stalin-Todfeind und Straflager-Ideologen Trotzki, der in Mexiko im Exil war, auch die Künstlerin Frida Kahlo entdecken.

Spanische Predigt aus dem Lukas-Evangelium

Der "Día de Muertos" war Thema, der Tag der Toten, an dem die Mexikaner im Sensenmann-Kostüm und mit Totenköpfen ausgelassen feiern. Als ob das nicht genug war, ließ Castorf auf spanisch aus dem Lukas-Evangelium predigen, zitierte Dostejewskis Romane "Die Dämonen" und "Der Spieler", ließ es regnen und schneien, eine rote Stoffbahn abrollen und neben Revuegirls drei Riesen-Kaninchen auftreten. Tiere bei Dostojewski, das sei nämlich auch ein interessantes Thema. Wieder einmal hat Castorf seine Zuschauer also überfordert, mit einer Arbeit, die sich vom Bayreuther "Ring des Nibelungen" oder vom Berliner "Faust" stilistisch und inhaltlich nicht unterscheidet. Bei weniger genialen Regisseuren würde das als "Masche" abgetan, bei Castorf ist es "Kult", denn er sucht sich zu seinem großen Thema große Stücke - das passt!

Musik breit, gediegen, schwelgerisch

Fast wäre das Schlussbild arg platt ausgefallen: Der entlassene Sträfling bekommt den grünen Jogging-Anzug eines Marken-Sportartiklers überreicht, aber dann starren drei Menschen in den Kaninchen-Stall, als ob sie dort Erlösung suchen. Das hat Format. Dirigentin Simone Young, ehemals Chefin der Hamburgischen Staatsoper, blieb ihrem gewohnt luxuriösen Klangbild treu: Das ist aufwändig und sorgfältig erarbeitet, breit, gediegen, schwelgerisch, aber in diesem Fall auch etwas zu weich, zu unverbindlich, zu harmlos. Es fehlte die eisige Härte, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass Komponist Leoš Janáček zwar ein unwirscher Pessimist, aber kein hämischer Zyniker war und daher mehr Trauer als Wut in seine Partitur schrieb.

Der Marsch geht weiter

Unter den Solisten ragte Bo Skovhus heraus, ein eminenter Charakterdarsteller, der sein Beil so energisch schwang, als ob er damit die Tür zur Zukunft zersplittern wollte. Auch die übrigen 19 Solisten fügten sich eindrucksvoll in Castorfs Konzept, darunter der mexikanisch-amerikanische Tenor Galeano Salas als dauerbetrunkener Sträfling und der britische Bass Peter Rose als Erzähler und Alter Ego von Dostojewski. Trotzki ist am Ende natürlich tot, aber der Marsch geht weiter - vielleicht hoppeln die Langohren sogar durch die Opern-Institutionen.

Nächste Termine 26. und 30. Mai 2018, sowie weitere Termine.