Menschen in Sitzposition, aber ohne erkennbare Stühle, im Marmorfoyer im Haus der Kunst
Bildrechte: Judith Buss / Haus der Kunst

Das Museum als Ort für eine Sitzung – auf fast durchsichtigen Plexiglasstühlen. Ausstellung des Designers Martino Gamper im Haus der Kunst.

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Die andere Sitzung: Martino Gamper im Haus der Kunst

Museen bieten in der Regel wenig Gelegenheiten zum Sitzen. Manchmal gibt es ein paar Bänke, aber frei bewegliche Stühle sind selten. Das Münchner Haus der Kunst lädt jetzt ausdrücklich zur "Sitzung" - auf Stühlen des Designers Martino Gamper.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Seit über drei Jahren, seit der Italiener Andrea Lissoni Ausstellungsleiter im Haus der Kunst in München ist, hegt er einen Traum. Er möchte ein offenes Haus leiten, in das die Menschen einfach so hereinkommen, auch wenn sie keine Ausstellung besuchen wollen. Ein Haus, durch das sie hindurchgehen von der stark befahrenen Prinzregentenstraße über die Terrasse mitten hinein in den Englischen Garten. Dazwischen sollen sich die Paare und Passanten auch mal hinsetzen und sich einfach umschauen, wie auf einer italienischen Piazza.

Doch leider verströmt das Haus der Kunst nun einmal den neoklassizistischen Ungeist der Nazi-Zeit – besonders die gigantische Mittelhalle. Ab jetzt soll das anders werden, sagt Lissoni: "Das ist eine Piazza. Ich benutze das italienische Wort. Eine Piazza ist ein Ort, wo man sich trifft. Ein Ort, wo man sich anders berühren kann, bewegen. Ein Ort, wo man sich hinsetzt. Und niemand besser als Martino Gamper kann diese Möglichkeit uns geben." Was Lissoni in der Mittelhalle zeigt, ist mehr als nur eine "Sitzung" mit neuen Stühlen. Es ist auch eine Choreographie, die im Fluss ist. Jeden Morgen eine Überraschung, wie die Stühle gestellt sind.

Designer-Stühle fürs Haus der Kunst

Martino Gamper, geboren 1971 in Meran, Südtirol, ist einer der berühmtesten Designer der Welt. Der Spezialist für Stühle lebt in London. Aber jetzt arbeitet er mit seinem Team monatelang in einer Werkstatt im Haus der Kunst, auf der Seite zum Englischen Garten. Sie bauen eifrig Stühle für die Mittelhalle, die jeden Morgen in einem anderen Muster gestellt sein werden: allein, zu zweit, zu dritt und so weiter.

Die Besucher können in die Mittelhalle kommen und die Stühle benützen – die Mittelhalle ist immer kostenlos für alle Besucher offen. Sie können ihre eigenen Sitzungen organisieren, formell oder informell. Sie können kommen, Essen mitbringen, Getränke mitbringen und sozusagen einen öffentlichen Raum bespielen und bewohnen.

Dadurch könnte sich der Ungeist der Nazi-Zeit in ein großes Piazza-Picknick verwandeln. Und natürlich soll auch die Schwellenangst vor dem Kulturort Museum abgebaut werden. Überdies entsteht eine neue Stuhl-Designlinie "Made in Haus der Kunst". Gewissermaßen aus einem Bauhaus der Kunst. Die ersten Modelle von Martino Gamper schauen einladend aus: Barock geschwungene Armlehnen, blau schimmernde Kinderstühle, interessante konzentrische Kreise auf der Sitzfläche.

Piazza-Picknick statt Nazi-Geist

"Die Idee war, Stühle zu schaffen für den Raum, für die Mittelhalle, die originell sind, die kreativ sind", erklärt Martino Gamper. "Das heißt, jeder Stuhl ist ein Einzelstück. Aber die sind in diesem Falle alle aus dem gleichen Holz geschnitzt. Das Holz selbst ist ein Abfallprodukt von der Furnierindustrie. Das haben wir so zusammengeleimt." Durch Mischung hätten sie 19 verschiedene Designs erzeugt: "Es gibt 19 Sitzflächen, 19 Füße, 19 Rückenlehnen." Jetzt stehen die kreativ-unterschiedlichen Stühle in der Mittelhalle und laden zum Verweilen ein. Zur Sitzung kommt noch eine Lichtung: Eine Lampenfirma lässt an langen Kabeln Leuchter herabhängen, die ein dezidiert mildes Licht verströmen. Außerdem wirkt so die Halle etwas niedriger. Martino Gamper ist so schon jetzt der angenehmste erste Eindruck gelungen, den das ehemalige Haus der Deutschen Kunst je hatte.

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