Cem Özdemir bei einer Rede im Deutschen Bundestag
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Cem Özdemir im Deutschen Bundestag

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Cem Özdemir für "Rede des Jahres" ausgezeichnet

Das renommierte Rhetorik-Seminar der Universität Tübingen ehrt Cem Özdemir für eine Rede im Bundestag. Darin verteidigte der Grünen-Politiker leidenschaftlich die Pressefreiheit – und erklärte, warum die AfD Deutschland eigentlich verachtet.

22. Februar 2018 im Deutschen Bundestag: Die AfD hat den Antrag gestellt, die Bundesregierung solle dem gerade aus türkischer Haft entlassenen Journalisten Deniz Yücel eine "Missbilligung" seiner "wohlbekannten deutschlandfeindlichen Äußerungen" aussprechen. Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio stellt den Antrag am Rednerpult vor: Yücel, auf den überall ein "Hohelied" angestimmt werde, sei eine "Ikone der Linkspresse", der Eindruck einer "Vorzugsbehandlung" durch besonderen Einsatz offizieller Stellen in der BRD stehe im Raum.

"Journalismus ist kein Verbrechen"

Es folgt eine aufgeheizte Debatte, in der es um Satire, Pressefreiheit und Staatsbürgerschaft geht. Besonders leidenschaftlich und rhetorisch zugespitzt ist der Beitrag des Grünen-Abgeordneten Cem Özedmir. Gleich sein Einstieg packt das für ihn wichtigste Thema an: "Man muss sich vergegenwärtigen, worüber wir heute tatsächlich reden. Wir reden über die Arbeit und die Artikel eines deutschen Journalisten. So etwas kennen wir sonst nur aus autoritären Ländern. Der Deutsche Bundestag hingegen benotet nicht die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist das Parlament keine oberste Zensurbehörde."

Özdemir machte aus seiner Rede ein passioniertes Bekenntnis zur Pressefreiheit: "Journalismus ist kein Verbrechen", stellte er bündig fest – und nahm sich außerdem das Verhältnis der AfD zu Deutschland vor: Sie wolle bestimmen, wer Deutscher sei, was in seinen Augen ungefähr so wäre, "als wenn man Rassisten an das Ausstiegstelefon für Neonazis setzen würde". Und: Sie verachte alles, wofür dieses Deutschland, diese Bundesrepublik, eigentlich stehe: Erinnerungskultur, Vielfalt, Aufklärung, Parlamentarismus. Den Schlusspunkt seines leidenschaftlichen Beitrags setzte der deutsch-türkische Grünen-Politiker dann mit einem Verweis darauf, wo seine Heimat sei – in Schwaben. Und diese Heimat lasse er sich von der AfD nicht kaputtmachen.

Scharfzüngige Emotion, ciceronianische Wucht

Für die Rhetorik-Fachleute von der Uni Tübingen war Özdemirs Rede "ein eindrückliches Plädoyer für eine offene Gesellschaft, gegen Ausgrenzung und Spaltung". Den engagierten Ton des Redners sehen sie dabei nicht als Mangel an rhetorischer Qualität, im Gegenteil: "Scharfzüngig und emotional begegnet Cem Özdemir dem Antrag der AfD, den er mit großer Verve und rednerischem Können pariert", heißt es in der Jury-Begründung zur Auszeichnung. In jeder Sekunde der Rede seien Leidenschaft und Engagement des Redners zu hören und zu sehen: "Özdemir schafft es, eine entschlossene Verteidigung des Grundgesetzes mit einem Angriff auf den vermeintlichen Patriotismus der AfD zu verbinden und umreißt Grundzüge eines Verfassungspatriotismus, der ohne Spaltung und Ausgrenzung auskommt."

Zugleich wird der kurze Beitrag in eine große Tradition gestellt: "Mit ciceronianischer Wucht vermittelt er sein Anliegen äußerst lebendig, wirkt dabei authentisch und glaubwürdig. Er stellt den politischen Gegner, indem er den Antrag der AfD ernst nimmt, ihn nicht als Lappalie abtut, sondern als einen nicht zu akzeptierenden Angriff auf das Grundgesetz entlarvt." Die Auszeichnung zur "Rede des Jahres" gibt es seit 1998, frühere Preisträger sind Margot Käßmann, Marcel Reich-Ranicki und Gregor Gysi.

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