Junge Frau sitzend auf einer Treppe
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Burnout: "Stress kann eine krasse Gewohnheit werden"

Die Zahl der diagnostizierten psychischen Erkrankungen steigt seit Jahren – das hat nicht zuletzt mit dem Arbeitsverhalten zu tun, wie das Beispiel der Influencerin Louisa Dellert zeigt. Vergangenes Jahr machte sie ihre Burnout-Erkrankung öffentlich.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Louisa (Lou) Dellert ist Influencerin der ersten Stunde. Zunächst machte sie Fitness-Videos, später initiierte sie Veranstaltungen, dann kamen immer mehr Awareness Themen wie Ökologie und Nachhaltigkeit dazu. Ein Insta-Account mit gut 480.000 Followern verlangt schließlich Nachschub, und zwar quasi pausenlos.

Nicht einmal nachts konnte sie mehr zur Ruhe kommen. "Dieses Gefühl, nicht abschalten zu können im Bett, hat dazu geführt, dass ich immer öfter aufgewacht bin, und ganz doll geschwitzt habe und so ein Herzklopfen hatte", erzählt sie im BR-Podcast "Die Lösung". Bis es irgendwann nicht mehr ging und sie beim Einkaufen im Supermarkt weinend zusammenbrach.

Die eigenen Grenzen ignoriert

Vergangenes Jahr machte sie ihre Burnout-Erkrankung, also eine Erschöpfungs-Depression, öffentlich. Rückblickend ist ihr klar: Sie hat schon viele Jahre über ihre Grenzen gelebt. "Ich habe das nur immer total ignoriert und heute weiß ich natürlich, was damals diese Anzeichen waren."

Eine Burnout-Erkrankung entwickle sich nicht plötzlich, bestätigt die Verhaltenstherapeutin Maren Wiechers im Podcast "Die Lösung". Ein psychisches Warnsignal sei beispielsweise schlechterer Schlaf. Aber auch das Gefühl, nicht abschalten zu können, unruhig zu werden, wenn einmal nichts los sei, kann Wiechers zufolge ein Warnsignal sein. "Es kann uns dann ganz unruhig machen, wir scrollen dann durch unsere Kontakte oder lenken uns mit dem Handy ab, oder halten uns doch wieder plötzlich ganz beschäftigt." Ein freies Wochenende wirke dann fast schon bedrohlich. Eben, weil Stress eine krasse Gewohnheit werden könne. "Oft ist es dann so, wenn wir dann einen Gang runterschalten, einmal nichts tun, dass sich das dann nicht gut für uns anfühlt – im Gegenteil."

Psychische Erkrankungen: Steigende Zahl von Arbeitsausfällen

Die Zahl der Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen ist laut DAK-Report von 2022 weiter gestiegen – um 48 Prozent im Zehn-Jahres-Vergleich. Mit 118 Fehltagen auf 100 Versicherte waren Depressionen der wichtigste Krankschreibungsgrund im Jahr 2022. Die Diagnose Burnout wird in der Regel als Nebendiagnose einer Depressionserkrankung gestellt.

Wenn sich der Selbstwert aus dem Tätigsein speist

Bei Lou Dellert war das auch so. Sie suchte sich professionelle Unterstützung und lernte in der Therapie eigene Muster kennen – etwa, dass ihr andauerndes Weitermachen und Weitermachen auch an einen geringen Selbstwert geknüpft war. "Ich kompensiere immer diese Angst vor 'ich werd nicht geliebt', 'ich bin nichts wert' mit noch mehr Arbeit. Und das war wahrscheinlich auch am Ende der Grund, dass ich irgendwann nicht mehr konnte, weil ich wirklich zu allem 'ja' gesagt habe." Nur eben nicht zu sich selbst.

Die Münchner Psychotherapeutin Maren Wiechers erlebt in ihrer Praxis immer wieder, dass Patienten und Patientinnen zu ihr kommen und sagen: "Wenn ich selbstbewusster wäre, dann könnte ich mich besser abgrenzen. Oder: Wenn mein Selbstwert gut wäre, dann würde ich auch anfangen, freundlicher mit mir zu sein und mich nicht immer so durchs Leben jagen." Das aber sei genau der Teufelskreis. Der Selbstwert steige nicht einfach aus dem Nichts heraus. Maren Wiechers empfiehlt deshalb den umgekehrten Weg: "Indem wir unser Verhalten im Jetzt ändern, also konsequent beginnen, uns selbst besser zu behandeln, beeinflussen wir damit unser Selbstwertgefühl langfristig."

Yoga statt Smartphone – Melatonin statt Dopamin

Also abends Yoga bei Kerzenschein statt Timelines durchscrollen – denn, das zeigen inzwischen zahlreiche Studien: Das Smartphone mit all seinen Informationen ist für das menschliche Gehirn kein Entspannungs-Werkzeug, sondern ein weiterer Stressor, der eine neue Stressreaktion in Gang setzt. Das Nervensystem bleibt dann eher in diesem Zustand der Aktivierung, wie Maren Wiechers erklärt.

Das hat auch mit dem Hormonspiegel zu tun. "Abends steigt eigentlich unser Schlafhormon an, das Melatonin." Sein Gegenspieler ist das Stress-Hormon Cortisol. "Das Smartphone mit seinem blauen Licht und den ganzen Infos und Inhalten lässt unser Cortisol ansteigen – das Melatonin sinkt und wir finden schlechter in den Schlaf."

Lou Dellert ist aktuell noch dabei herauszufinden, wie viel Stress ihr guttut. Derzeit steht nur ein Termin pro Tag im Kalender. "Also das ist so das größte Learning für mich, dass weniger für mich persönlich mehr ist und dass ich gar nicht glücklich war mit diesen vielen Terminen und dieser großen Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit und dass es mir im Moment mehr Freude macht, in den Wald zu gehen und einen Spaziergang zu machen oder ein Puzzle zu Hause in Ruhe umzusetzen."

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