Bildrechte: Nik Schölzel/Mainfrankentheater Würzburg

"Magnolienzeit"

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Asche-Regen über Würzburg: Theaterprojekt "Magnolienzeit"

Es war ein sonniger Frühlingstag, an dem die Magnolien blühten, als Würzburg von britischen Bombern zerstört wurde: Die Erinnerung an den 16. März 1945 steht im Mittelpunkt eines Projekts am Mainfrankentheater. Nachtkritik von Christoph Leibold.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Vor knapp sechs Jahren bei der Gedenkveranstaltung zur Bombardierung Würzburgs hielt die Historikerin Rotraud Ries eine bemerkenswerte Rede. Die Stadt habe 1945 ihr Fundament verloren und pflege nun den 16. März als neuen Gründungsmythos: die Zerstörung als Grundlage des städtischen Bewusstseins. Doch sei es an der Zeit, so Ries, das Pathos dieses einseitigen Bewusstseins zu reduzieren.

Bewusstsein soll "geweitet" werden

Bis heute ist ein Besuch beim Modell des zerstörten Würzburg fester Bestandteil jeder ordentlichen Stadtführung - womit vor allem das Leid der Würzburger betont wird. Tjark Bernau lässt seine Rechercheprojekt mit so einer nachgestellten Führung beginnen, aber natürlich ist „Magnolienzeit“ der Versuch, ganz im Sinne von Rotraud Ries, das Bewusstsein zu weiten und das Gedenken auf ein anderes, ein breiteres Fundament zu stellen. Dafür steht schon die Wahl des Spielorts. Die Aufführung wird nicht im Theater selbst gezeigt, sondern im Max-Stern-Keller unter der alten Universität – benannt nach einem jüdischen Weinhändler, der 1938 vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen musste. Schilderungen der Judenverfolgung nehmen in „Magnolienzeit“ einigen Raum ein und stellen so den historischen Kontext her, der beim Gendenken an die Oper des Bombardements nicht selten verdrängt wurde, wie der Griff ins Zeitungsarchiv belegt.

Weiße Handschuhe fingern Akten 

„Magnolienzeit“ ist eine dokumentarische Tiefenbohrung. Tjark Bernau, sein Regieteam und Ensemble haben Dokumente gesichtet, Experten befragt und mit Zeitzeugen geredet. Einmal ziehen sich die fünf Darsteller, zwei Frauen, drei Männer, weiße Handschuhe über und fingern aus Archivmappen alte Artikel, um daraus zu zitieren. Meist werden die Texte aber einfach so vorgetragen – Ausschnitte aus Interviews mit Überlebenden der Bombennacht, aber auch Berichte jüdischer Würzburger, die von der Gestapo drangsaliert wurden:

Sprödigkeit eines Proseminars

Regisseur Tjark Bernau ist auch Schauspieler. Vor vier Jahren stand er in einem Projekt des Berliner Dokumentartheatermachers Hans-Werner Kroesinger über die Bombardierung Augsburgs auf der Bühne. In „Magnolienzeit“ spielt Bernau nicht selbst mit, erweist sich aber als gelehriger Schüler Kroesingers. Der Abend lebt von der gleichen Sorgfalt, mit der auch Kroesinger stets umfassendes Material und damit vielfältige Perspektiven auf ein Ereignis zusammenträgt, kollagiert und kontrastiert. Wie viele Arbeiten Kroesingers hat aber auch Bernaus Stück streckenweise etwas von der Sprödigkeit eines Pro-Seminars. Das kann man als wohltuend sachlich begrüßen oder aber als wenig sinnlich bedauern. Meist schwankt man als Zuschauer zwischen beiden Empfindungen. Dabei hat sich Tjark Bernau einige Mühe gegeben, das Material spieleirisch aufzubereiten.

Es war ein sonniger Frühlingstag

Das gelingt mal besser, wenn sich die Schauspieler zur Gedenkgemeinde formieren, mal schlechter, wenn sie etwa unbeholfen die Versteigerung des Hausrats verschleppter jüdischer Familien simulieren. Mehrere Sperrholzquader werden zu immer neuen Formationen gruppiert, um wechselnde Schauplätze anzudeuten. Aus einem Kübel werden schwarze Fetzen gekippt, die an einen Ascheregen denken lassen. Ein paar zartrosa Blätter kommen hinzu, wie Magnolienblüten; es war ein sonniger Frühlingstag, als die Flieger ihre Bomben über Würzburg abwarfen.

Deutsche Schuld mit bedenken

Dass das Gedenken an die Bombardierung deutscher Städte zwingend deutsche Schuld mit bedenken muss, ist keineswegs so unumstritten, wie man meinen möchte. Dass hat nicht nur die Dresdner Rede des AfD-Politikers Björn Höcke gezeigt, der über den Gemütszustand eines „total besiegten Volkes“ schwadronierte und der in „Magnolienzeit“ ebenfalls zitiert wird. Auch das Mainfrankentheater bekam während der Vorbereitung dieses Projekts E-Mails, deren Absender das Andenken an deutsche Kriegsopfer durch den Hinweis auf deutsche Schuld beschmutzt sahen. Ein deutlicherer Beleg, dass Tjark Bernau mit „Magnolienzeit“ einen neuralgischen Punkt getroffen hat, lässt sich wohl kaum denken.

Wieder am 14.,22. und 28. Februar, sowie weitere Termine