Eine Person erhält eine Spritze in den Oberarm.
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Zur Spritze gezwungen? Was eine Impfpflicht bedeuten würde

Die Forderungen nach einer allgemeinen Corona-Impfpflicht werden lauter. Würden dadurch Bürger zur Impfung gezwungen? Und welche Impfpflicht-Erfahrungen gibt es in der Geschichte und im internationalen Vergleich? Ein Überblick.

Der Bundestag hat gestern in erster Lesung über eine Corona-Impfpflicht für das Personal in Kliniken und Pflegeheimen debattiert. Auch eine allgemeine Impfpflicht ist seit einigen Wochen im Gespräch – obwohl sie lange als Tabu galt. Während manche die Freiheit des Einzelnen bedroht sehen, bewerten andere eine Impfpflicht als die Voraussetzung dafür, dass die Gesellschaft ihre Freiheit zurückgewinnen kann. Was hat es also mit einer allgemeinen Impfpflicht auf sich, und wie sieht die rechtliche Situation aus? Antworten auf aktuelle Fragen.

Warum wird eine allgemeine Impfpflicht diskutiert?

Eine Impfpflicht gilt als eine Chance, aus dem Dauer-Kreislauf von immer neuen Corona-Wellen und Einschränkungen herauszukommen. Die aktuelle Impfquote in der Bevölkerung mit knapp 70 Prozent ist Experten zufolge zu niedrig, um die Ausbreitung des Coronavirus wirksam einzudämmen und damit der Überlastung der Krankenhäuser entgegenzuwirken.

Die naturwissenschaftlich-medizinische Gelehrtengesellschaft Leopoldina sieht in einer allgemeinen Impfpflicht die "letzte Maßnahme, um eine Impflücke zu schließen, die sich augenscheinlich anders nicht beheben lässt".

Bedeutet eine Impfpflicht auch Impfzwang?

Eine "Impfpflicht" bedeutet zunächst, dass der Staat seine Bürger zu einer Impfung verpflichtet und ihnen die Entscheidung darüber nicht wie bisher selbst überlässt. Wer der Pflicht nicht nachkommt, wird sanktioniert – so wie auch jeder, der beispielsweise gegen die Anschnallpflicht verstößt, mit einer Strafe rechnen muss.

Ein "Impfzwang" würde vorherrschen, wenn der Staat diese Pflicht mit Gewalt durchsetzen würde und Personen durch Polizei oder Militär gegen ihren Willen impfen ließe. Dies wäre rechtlich wohl kaum zulässig und wird auch gar nicht diskutiert. Um es mit den Worten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zu sagen: "Es muss niemand Angst haben, dass er von der Polizei zum Impfen geschleppt wird oder er im Gefängnis landet." Denkbar ist, dass Impfverweigerer im Falle einer allgemeinen Impfpflicht eine Geldstrafe zahlen müssen.

Ist eine Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar?

Bei einer Impfpflicht muss das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Einzelnen mit dem Schutz der Allgemeinheit abgewogen werden. Theoretisch wird die körperliche Unversehrtheit bereits durch die Spritze verletzt; vor allem aber geht es um das zwar unwahrscheinliche, aber mögliche Risiko eines Impfschadens. Auch das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Glaubensfreiheit können von Bedeutung sein, etwa wenn sich jemand aus religiösen Gründen nicht impfen lassen möchte.

Allerdings sind die meisten Grundrechte nicht absolut, sondern können durch Gesetze eingeschränkt werden – anders wäre ein Staat kaum handlungsfähig. Staatsrechtlern zufolge schließt das Grundgesetz eine allgemeine Impfpflicht nicht aus. Ein Eingriff in die Grundrechte muss aber immer verhältnismäßig sein: Das heißt er ist nur zulässig, wenn dem Staat kein milderes Mittel zur Verfügung steht, um ein Ziel – in diesem Fall eine bestimmte Impfquote – zu erreichen. Inwieweit das zutrifft, darüber müsste letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Gab es in Deutschland schon einmal eine Impfpflicht?

Die Geschichte der Impfpflicht hat mit den Pocken begonnen – und zwar in Bayern. Als erster Staat der Welt führte das Königreich Bayern 1807 eine Pockenschutzimpfung ein, andere Staaten zogen nach. Bis Ende 1975 bestand auch in der Bundesrepublik eine allgemeine Impfpflicht gegen die Pocken, bis die Virenkrankheit als ausgerottet galt.

In der DDR waren auch andere Impfungen verpflichtend, zum Beispiel gegen Diphtherie und Polio. Das Thema Impfpflicht sei dabei laut dem Historiker Stefan Wolle kein Gegenstand öffentlicher Debatten gewesen. Impfen habe in der DDR als selbstverständlich gegolten.

Nach Jahrzehnten ohne Impfpflicht trat dann am 1. März 2020 die Masern-Impfpflicht für bestimmte Gruppen in Kraft. Sie gilt für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten sowie für Lehrerinnen und Erzieher. Wer dagegen verstößt beziehungsweise sein Schulkind nicht impfen lässt, muss ein Bußgeld bezahlen.

Was spricht gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht?

Kritiker sehen vor allem rechtliche Hürden beziehungsweise bewerten eine allgemeine Impfpflicht als ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte. Eine Impfpflicht könnte zudem die öffentliche Diskussion um die Corona-Maßnahmen weiter zuspitzen. Gewaltforscher sehen großes gesellschaftliches Konfliktpotenzial und befürchten eine weitere Radikalisierung von Impfgegnern und Teilen der Querdenker-Bewegung.

Anders als bei den Pocken handelt es sich bei Corona außerdem um keine Krankheit, die sich durch einmaliges Impfen ausrotten lässt. Ein Gesetzentwurf zur allgemeinen Impfpflicht müsste der Tatsache gerecht werden, dass das Coronavirus schnell mutiert und die vorhandenen Impfstoffe bislang keinen dauerhaften Schutz bieten.

Wie ist die Lage in anderen Ländern?

Eine Corona-Impfpflicht in bestimmten Branchen gibt es in einigen europäischen Staaten bereits. Sie ist meist mit der Androhung von Versetzung, Suspendierung oder Entlassung verbunden. In Frankreich gibt es seit Mitte September eine Impfpflicht für medizinisches Personal, Pflegekräfte und Feuerwehrleute; in Italien muss das Personal in medizinischen Berufen bereits seit Ende Mai gegen Covid-19 geimpft sein. Tschechien plant eine Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren sowie für einige Berufsgruppen.

Eine allgemeine Impfpflicht ist außerdem in Österreich geplant, bis Februar nächstes Jahres soll sie eingeführt sein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich dafür ausgesprochen, eine allge­meine Corona-Impfpflicht in der Europäischen Union zu prüfen.

Wie könnte ein Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht aussehen?

Eine wesentliche Frage wird wohl sein, wie Personen, die gegen die Impfpflicht verstoßen, sanktioniert werden. Bei der Masern-Impfpflicht kann das Bußgeld bis zu 2.500 Euro betragen. Auch der Verlust des Krankenversicherungsschutzes ist im Gespräch – Ungeimpfte müssten ihre Behandlung im Falle einer Hospitalisierung dann selbst bezahlen.

Wahrscheinlich müsste ein Gesetz zur Impfpflicht angesichts des dynamischen Pandemiegeschehens außerdem stetig an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Die berufsbezogene Impfpflicht, über die der Bundestag derzeit debattiert, ist für Mitte März angesetzt. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bezeichnete dieses Gesetzesvorhaben als "ersten Schritt", auf den dann weitere Folgen können. Der designierte Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte kürzlich angekündigt, ein Gesetzgebungsverfahren zur allgemeinen Corona-Impfpflicht "zeitnah" auf den Weg zu bringen.

Dabei solle jeder Abgeordnete "nach seinem Gewissen abstimmen" können. Das Bundesverfassungsgericht würde ein Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht erst nachträglich prüfen – sofern es denn im Bundestag überhaupt eine Mehrheit findet.

Unter Verwendung von Agentur-Material.

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