Halskette mit Davidstern
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2.200 judenfeindliche Straftaten seit Oktober: Für viele Jüdinnen und Juden in Deutschland bedeutet das, im Alltag immer auf der Hut zu sein.

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Zentralrat warnt: Jüdisches Leben wird unsichtbarer

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten stark zugenommen. Viele Jüdinnen und Juden in Bayern sorgen sich vor Angriffen und Anfeindungen, ziehen sich zurück – und wünschen sich mehr Mitgefühl.

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Jüdisches Leben sei unsichtbarer geworden. So beschreibt Michael Movchin, was sich nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober für Jüdinnen und Juden in Deutschland verändert hat. Movchin ist Vorsitzender des Verbands jüdischer Studenten in Bayern und engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus. Er selbst habe keine Angst, sagt er zu BR24. Aber er ist wachsam.

Gut 2.200 antisemitische Straftaten seit dem 7. Oktober

Wenn er in München unterwegs ist, fragt er sich stärker als vor dem 7. Oktober, "sollte ich meine Davidsternkette eher verdeckt tragen, sollte ich das Hemd hoch knöpfen oder einen Schal drumwickeln, um nicht aufzufallen?" Auch überlegt Michael Movchin, ob er bestimmte Plätze und Menschenansammlungen meiden soll. Eigentlich wünscht er es sich anders: "Ich bin Jude und ich möchte sichtbar sein."

Seit dem 7. Oktober ist die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten stark gestiegen. Seitdem habe es in Deutschland 2.249 solcher Straftaten gegeben, sagt der Beauftragte der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 registrierte das Bundeskriminalamt etwa 2.300 Straftaten. "Daran sieht man eben auch, wie dramatisch die Lage ist", sagt Klein.

Diese Straftaten seien für Jüdinnen und Juden eine "große und mentale Belastung", sagt Josef Schuster, der in Würzburg lebende Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie würden seltener jüdische Symbole in der Öffentlichkeit tragen, weniger jüdische Veranstaltungen und Gottesdienste besuchen. Sie würden ihre jüdischen Namen bei Bestell- und Taxiapps ändern, ergänzt Klein auf einer Pressekonferenz in Berlin. Und sie würden überlegen, ob sie in der Öffentlichkeit hebräisch sprechen.

Zentralrat der Juden startet Aufklärungskampagne

Der Antisemitismusbeauftragte kritisiert, dass die Situation der Jüdinnen und Juden zu wenig Mitgefühl in der Gesellschaft erregt; Klein zeigt sich außerdem erschüttert darüber, dass "das beschämend hohe Niveau" judenfeindlicher Taten trotz eben jener Zahlen weitgehend aus der öffentlichen Debatte und der Berichterstattung verschwunden sei.

Auch um dieser Empathielosigkeit etwas entgegenzustellen, hat der Zentralrat der Juden nun die Kampagne "#StoppRepeatingStories" in den sozialen Netzwerken gestartet. Darin berichten jüdische Menschen über antisemitische Angriffe, die sie erlebt haben. "Gerade junge Menschen verorten Antisemitismus nur noch in die Geschichtsbücher, dabei ist er heute leider real", sagt Schuster.

Um dem Judenhass entgegenzuwirken, fordert Felix Klein, den Strafrechtsparagrafen gegen Volksverhetzung zu reformieren und zu präzisieren. Außerdem müssten Präventionsprogramme gestärkt werden. Die Gedenkstätten bräuchten Planungssicherheit, so "dass sie insbesondere finanziell so gut aufgestellt sind, dass sie sich keine Sorgen machen müssen und viel Arbeit investieren müssen, wie sie an Mittel kommen". Zudem müsste die Lehramtsausbildung im Blick auf Antisemitismus verbessert werden.

"Unsicherheitsgefühle" bei Großdemo

Schuster und Klein begrüßen, dass zuletzt viele Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind. Mit Sorge blickt Schuster darauf, dass dort "ganz vereinzelt, Juden bedroht werden und Israelhass auftaucht".

Michael Movchin vom Verband jüdischer Studenten war auf der Großdemo am vergangenen Sonntag in München und berichtet von einem "problematischen Block aus meiner Sicht, welcher von einer palästinensischen Gruppe organisiert wurde, bei denen das Selbstbestimmungsrecht von Jüdinnen und Juden marginalisiert wurde". Zionismus sei dort mit Rassismus gleichgesetzt worden. Das habe bei Teilnehmenden Unsicherheitsgefühle verursacht, erzählt Movchin.

Die Organisatoren hätten diese Sorgen gehört. Man habe einen Treffpunkt für jüdische Personen festgelegt, an dem ausgeschlossen war, dass sie mit dem Block zusammentreffen. Insgesamt aber wünscht sich Movchin mehr Empathie für jüdisches Leid und, dass "zumindest ein Bruchteil von den vielen Menschen", die in den letzten Tagen und Wochen auf die Straßen gegangen sind, "auch dann auf die Straßen gehen, wenn es darum geht, an das Massaker, welches die Hamas in Israel durchgeführt hat, zu erinnern".

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