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Paritätischer Gesamtverband beklagt soziale Schieflage

Deutschlands Wirtschaft brummt, doch von der guten Konjunktur können viele Menschen nicht profitieren. Niedriglohn und Altersarmut führen einen Teil der Gesellschaft ins soziale Aus. Es müsse etwas passieren, fordert der Paritätische Gesamtverband.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Verunsicherung und Sorge vor Armut, um die Rente und den sozialen Zusammenhalt prägen das Lebensgefühl eines Großteils der Bevölkerung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband, der sein Jahresgutachten zur sozialen Lage in Deutschland vorstellte, fordert deshalb ein Umsteuern in der Sozialpolitik. Der lange Wirtschaftsboom komme vielen Menschen in Deutschland nicht zugute, heißt es. Ein relevanter Teil der Bevölkerung sei in einer Situation, die gesellschaftliche Teilhabe erschwere oder ausschließe. Unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen Lage habe die große Mehrheit der Bürger inzwischen das Vertrauen in den Sozialstaat verloren.

Offensive Sozialpolitik gefordert

Beinahe 90 Prozent sorgten sich um den sozialen Zusammenhalt, erklärte der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock. Der Verband begrüßte, dass die Bundesregierung die Stärkung des Zusammenhalts zu ihrem vorrangigen Ziel erklärt hat. Was bisher beschlossen sei, reiche aber nicht aus, sagte Rosenbrock. Insbesondere für Langzeitarbeitslose und gegen die zunehmende Altersarmut müsse mehr getan werden.

Hartz-IV wird vielen nicht gerecht

Den größten Reformbedarf sieht der Paritätische bei der Grundsicherung für Arbeitslose (Hartz IV). Fast drei Viertel der sechs Millionen Bezieher seien gar nicht erwerbslos, sondern Kinder, Erwerbsunfähige, Alleinerziehende, Aufstocker, die zu wenig verdienen, oder Langzeitarbeitslose mit besonderen Schwierigkeiten. Das Hartz-IV-System werde den meisten dieser Menschen nicht gerecht. Zielsetzung einer wirklichen Grundsicherung müsse sein, ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, forderte der Verband.

"Der soziale Zusammenhalt ist eine wesentliche Grundlage für wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität und damit für den sozialen Frieden", so Rosenbrock. "Gesellschaften mit größerem Zusammenhalt sind – wissenschaftlich belegt – produktiver, friedlicher, sie bewältigen Krisen besser und sie sind auch innovationsfreundlicher und leistungsfähiger."

Mehr Erwerbstätige - 22 Prozent Niedriglohn

Dem Bericht zufolge ist im zurückliegenden Jahr die Zahl der Erwerbstätigen erneut gestiegen, von 43,6 Millionen auf 44,3 Millionen. Das sind gut 600.000 Menschen mehr als im Jahr davor. Der größte Teil davon, fast 40 Millionen Menschen, sind abhängig beschäftigt. Zum fünften Mal in Folge ist darunter die Quote der Teilzeitbeschäftigten gewachsen. Heute arbeiten 39,1 Prozent der Beschäftigten nur in Teilzeit. 4,3 Millionen Menschen sind selbstständig tätig.

Ebenfalls gestiegen ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, um 60.000 auf fast 31,7 Millionen Menschen. Dazu ist der Anteil der Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, nach den neuesten Zahlen zwar gesunken. Die Quote bleibt allerdings hoch: 22,6 Prozent der Beschäftigten – mehr als ein Fünftel – arbeitet im Niedriglohnbereich mit einem Stundenlohn von unter 10,50 Euro.

Arbeitslos - oft für immer

Auch die Situation bei den Arbeitslosen ist auf lange Sicht prekär. Seit 2011 ist die Zahl der Beschäftigten um etwa 3 Millionen Menschen gewachsen, die Zahl der Arbeitslosen aber nur um eine halbe Million gesunken.

Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind laut dem Bericht auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen. Ihre Zahl ist seit 2010 von damals 7,18 Millionen auf heute 7,86 Millionen Menschen angestiegen. Dabei ist die tatsächliche Zahl der in Armut lebenden Menschen viel höher. Etwa 40 bis 60 Prozent der Berechtigten nimmt ihre Rechte gar nicht in Anspruch - aus Unwissenheit oder Scham.

Mit Material von dpa, epd.