Junge Frau arbeitet in einem Pflegeheim (Symbolbild)
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Soziale Einrichtungen: Junge Freiwillige dringend gesucht

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Soziale Einrichtungen: Junge Freiwillige dringend gesucht

Ob in Pflege oder Umweltschutz: Sich für das Gemeinwohl zu engagieren, sei wichtig, sagte erst jüngst Bundespräsident Steinmeier. Doch immer weniger junge Menschen machen freiwillig ein soziales Jahr - und das hat Folgen. Ein Beispiel aus München.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Heißer Dampf steigt zur Decke, als Don Bosco-Volunteer Anne die Metallwannen mit Kartoffeln und Cevapcici aus dem Essensaufzug wuchtet. Es riecht nach Tomatensauce und frisch gewischtem Fußboden. In einer halben Stunde werden knapp 300 hungrige Jugendliche in die Kantine der Don-Bosco-eigenen Wohneinrichtung Salesianum in München stürmen.

Flink bewegt sich die 19-Jährige mit dem Rollwagen durch die Bankreihen, verteilt große Krüge mit Apfelsaft. Aber eigentlich würde sie gerade dringend ein Haus weiter gebraucht. Und zwar in der Tagesstätte, wo 45 Buben ihre Hausaufgaben machen.

  • Zum Artikel: "Zahl der Ehrenamtlichen in Bayern sinkt - was tun?"

Individuelle Betreuung ohne Freiwillige kaum möglich

Vergangenes Jahr gab es zwei Freiwillige in der Tagesstätte, in diesem Jahr gar keinen. Der Betreuungsschlüssel ist zwar gesichert durch festangestelltes Personal. Trotzdem - individuelle Förderung sei kaum noch möglich, sagt Pädagogin Angela Antis: "Wir können nicht darauf eingehen, wenn die Kinder Probleme haben. Sie müssen eine halbe Ewigkeit warten, wenn sie mit Hausaufgaben fertig sind, eine Frage haben oder das auch einfach nur korrigiert haben möchten."

Insgesamt sieben Freiwillige waren es vergangenes Jahr im Salesianum, drei sind es heuer. Diese niedrigen Zahlen bestätigen einen Trend. Seit über fünf Jahren geht es bundesweit abwärts mit der Zahl junger Menschen, die einen Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) machen. Waren es 2017 noch 41.912 Bufdis, sank deren Zahl in Deutschland bis 2021 auf 37.404. Niedriger waren die Zahlen nur 2012, im Jahr nach der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes, mit 34.345.

Fehlende Freiwillige: Geld- oder Generationen-Problem?

Über die Gründe grübelt die Pastoralbeauftragte Martina Edenhofer nach, die für die Koordination der Don Bosco-Volunteers im Salesianum zuständig ist: "Die Freiwilligen bekommen Kost und Logis und ein Taschengeld von 210 Euro, aber in München reichen 200 Euro noch nicht mal, um sich ein Ticket für die S- und U-Bahnen zu kaufen im ersten Monat. Deshalb müssen Eltern diesen Freiwilligendienst unterstützen. Und das können sich bei Weitem nicht alle leisten."

Anne glaubt jedoch, dass das Problem eher woanders liegt: "Ich würde sagen, das ist nicht mehr in den Köpfen meiner Generation drin, dass man einen Freiwilligendienst machen kann. Man hat im Kopf: Schule, dann Studium, dann Ausbildung und dann Berufsleben", so die 19-Jährige.

Auch sie ist eher zufällig zum Freiwilligendienst gekommen - weil ihr das angefangene Studium "Luft- und Raumfahrttechnik" nicht getaugt habe. Aus heutiger Sicht sei es aber die absolut richtige Entscheidung gewesen: "Alte Freundinnen haben mir gesagt, dass ich viel offener wirke und auch zufriedener und freudestrahlender den Menschen entgegenkomme."

Verpflichtendes soziales Jahr - richtig oder falsch?

Darüber, ob - wie von Bundespräsident Steinmeier vorgeschlagen - junge Leute zum Dienst am Gemeinwohl verpflichtet werden sollten, gehen die Meinungen auseinander. Die Pastoralbeauftragte des Salesianums, Martina Edenhofer, findet diesen Weg falsch: "In unseren Augen ist der Kern des Freiwilligendienstes, dass er freiwillig gemacht wird, und nicht, dass Leute dazu gezwungen werden."

Anders sieht das Gudrun Jansen von der Ökumenischen Sozialstation Hochzoll-Friedberg: "Ich glaube, wenn es so ein verpflichtendes Jahr gäbe, dass unsere junge Generation vielleicht auf die ein oder andere Art soziale Arbeiten, soziale Felder kennenlernen würde, wo sie vielleicht selber gar nicht draufkommen würde."

  • Zum Artikel: "Allgemeine Dienstpflicht – führt Zwang zu mehr Gemeinwohl?"

Nach dem Essen geht Anne hinunter in den Jugendtreff des Salesianums, wo sie die große Tischtennisplatte ausklappt. Ihr Dienst geht heute bis 22.30 Uhr. Viel Einsatz für wenig Geld und gesellschaftliche Anerkennung.

Gäste der Sendung "jetzt red i extra"
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Zahlreiche Politiker fordern ein Soziales Pflichtjahr für junge Menschen.

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