Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor.
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Sozialverbands-Bündnis warnt vor "Pflegekollaps"

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So möchte Sozialverbands-Bündnis "Pflegekollaps" verhindern

Die Kosten für die Pflege steigen und steigen - auch für die Betroffenen. Ein Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaft macht nun Druck für eine Pflegevollversicherung. Und unterlegt das mit einer Umfrage. Die Umsetzung steht in den Sternen.

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Die Zahlen, die das Bündnis erhoben hat, lassen aufhorchen. Laut der Forsa-Umfrage unterschätzen die meisten Menschen deutlich, welche Kosten auf sie zukommen, wenn sie im Pflegeheim untergebracht werden. Nur jeder Fünfte ist sich bewusst, dass über 2.500 Euro fällig werden können. Und bei jüngeren Menschen unter 45 Jahren weiß nur jeder zehnte, wie teuer ein Platz in einem Heim werden kann.

Nur jeder siebte glaubt, sich Kosten für Pflegeheim leisten zu können

Was eine überwältigende Mehrheit der Befragten ohne Wenn und Aber prognostiziert, dass sie Ddie notwendigen Beträge im Fall der Pflegebedürftigkeit nicht selbst aufbringen können. Und eine ebenso große Mehrheit von fast 90 Prozent hält die durchschnittlich 2.700 Euro pro Monat Eigenanteil für nicht angemessen.

Gestützt auf die Umfrage fordert das Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaften, dass die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung ausgebaut werden, das wünschen sich 81 Prozent der Befragten. Interessanterweise geht dieser Wunsch über die Parteigrenzen hinweg. Egal, ob Wähler und -Wählerinnen der Union, der SPD, den Grünen oder der FDP: Mindestens drei Viertel der Befragten stimmen dem Ansinnen des Sozialverbands-Bündnisses zu.

Sozialverbände: Pflegebedürftigkeit wird zur Armutsfalle

Bei der Vollversicherung werden alle pflegebedingten Kosten übernommen: Das sind vor allem Personalkosten, unabhängig davon, ob es sich um Pflege in der eigenen Wohnung oder in einem Heim handelt. Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten in Pflegeheimen gehören nicht dazu.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, trommelt seit jeher für die Pflegevollversicherung. Und er sieht die Zeichen der Zeit auf seiner Seite: "Pflegebedürftigkeit entwickelt sich immer mehr zu einer regelrechten Armutsfalle", sagte Schneider in Berlin. Es sei höchste Zeit, dass die Bundesregierung den Menschen mit einer Pflegevollversicherung Sicherheit gebe.

"Pflegebedürftige rutschen in Sozialhilfe"

Unterstützt wird Schneider vom Vorsitzenden des BIVA-Pflegeschutzbundes, Manfred Stegger: "Die Menschen sollen darauf vertrauen können, dass eine solidarische Pflegeversicherung das Pflegerisiko auch voll abdeckt". Sozialhilfe sei keine Alternative, Pflegebedürftige würden von Kunden zum Almosenempfängern.

Besonders erschütternd sei es, dass den Menschen, die Geld für die Pflege im Alter zurückgelegt hätten, das Geld nicht mehr ausreiche und die Menschen, obwohl sie vorgesorgt hätten, in die Sozialhilfe rutschten. Eine Studie der DAK-Krankenkasse hat im Frühjahr gezeigt, dass das Pflegeheim für viele Betroffene zur Armutsfalle wird.

Politisch keine Mehrheit für Pflegevollversicherung in Sicht

Wenn nun eine große Mehrheit den Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung befürwortet, heißt das jedoch nicht, dass politisch die Weichen dafür gestellt würden. Die Fronten verlaufen auch quer durch die Ampel-Regierung. Während SPD und Grüne mit der Idee sympathisieren, ist die FDP strikt dagegen.

Wie so oft geht es auch hier um die Finanzierung. Der Ausbau kostet sehr viel Geld, auch wenn es aktuell keine Zahlen dazu gibt. Nach einer Studie von 2019 ist laut ver.di mit 8,5 Milliarden Euro zu rechnen, nur haben sich die Zahlen der zu Pflegenden seitdem deutlich erhöht – und werden weiter steigen. In Bayern etwa wird es nach einem neuen Gutachten der bayerischen Staatsregierung bis 2050 fast 1,1 Millionen Pflegebedürftige geben. Im Dezember 2021 belief sich die Zahl auf 578.147.

Private und gesetzliche Versicherung würden zusammengelegt

Um die Kosten einer Pflegevollversicherung für die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen im Rahmen zu halten – die Gewerkschaft Verdi spricht von fünf Euro pro Monat mehr für die Versicherten – müsste man einige Maßnahmen ergreifen. So etwa die Private und die Gesetzliche Pflegeversicherung in einer Art Bürgerversicherung zusammenlegen. Was der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) als "erzwungene Einheitsversicherung" ablehnt.

Beitragsbemessungsgrenze würde angehoben

Außerdem müsste man die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 4.987,50 Euro monatlich auf 7.000 Euro heraufsetzen, um damit auch höhere Einkommen zu erfassen. Bis zur Beitragsbemessungsgrenze ist das Einkommen eines Beschäftigten beitragspflichtig, alles darüber ist beitragsfrei.

Alle Einkünfte in Bemessung einbezogen

Und es müssten wie bei einer Bürgerversicherung sämtliche Einkünfte, also auch Mieten oder Einkünfte aus Vermögen und Kapitalerträge für die Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Zudem würden auch Beamte und Selbstständige einzahlen.

Koalitionsvertrag: Ampel wollte keine Bürgerversicherung

Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband ist überzeugt, dass eine solche Reform kommt, kommen muss. Doch die Ampelkoalition konnte sich schon bei ihren Sondierungsverhandlungen nicht auf ein solches Konzept einigen. Im Koalitionsvertrag wurde daher auf das Wort "Bürgerversicherung" verzichtet.

Im Video: Immer mehr Heimbewohner müssen Sozialhilfe beantragen

Wegen stetig steigender Preise sind viele Pflegeheimbewohner mittlerweile auf Sozialhilfe angewiesen.
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Immer mehr Heimbewohner müssen Sozialhilfe beantragen

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